SZ-Adventskalender:Am Existenzminimum

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Wie der Verein "Ambulante pädagogische Erziehungshilfen" bedürftige Familien im Landkreis unterstützt

Von Petra Schafflik, Dachau

Die sechsköpfige Familie, in der die Mutter wegen Geldnot nicht zur Kur fahren kann. Die Alleinerziehende, die sich trotz Vollzeit-Job ein neues Bett für den Sohn nicht leisten kann. Familien, deren Arbeitseinkommen nicht ausreicht, sind im Landkreis keine Einzelfälle. Enorme Mieten und hohe Lebenshaltungskosten treiben immer mehr berufstätige Eltern und ihre Kinder in die Armut. So erleben es auch die sechs Sozialpädagogen, die im Auftrag des Jugendamts seit Jahren Familien in Krisensituationen unterstützen und sich im Verein "Ambulante pädagogische Erziehungshilfen" (amper) zusammengeschlossen haben. "Oft müssen wir erst einmal die finanzielle Existenz sichern, die pädagogische Arbeit bleibt auf der Strecke", sagt Sozialpädagogin Karin Reichlmeier, die bereits 30 Jahre in der Familienhilfe tätig ist. Weil Mieten steigen, Wohnungen nicht zu finden sind zu den Quadratmeterpreisen, wie sie die Sozialbehörde übernimmt, werde die Obdachlosigkeit steigen. Familien spüren den wirtschaftlichen Druck, "Eltern sind erschöpft und am Ende mit ihrer Kraft."

Der Alltag wird bei vielen Landkreisbürgern stärker als vor einigen Jahren vom Kampf ums finanzielle Überleben geprägt. Das berichten die Sozialpädagogen, die seit Jahren Familien im Landkreis in Krisen betreuen. Tatsächlich unterstützt das Job-Center 543 Bedarfsgemeinschaften, die zusätzlich zu einem Arbeitsverdienst noch Anspruch auf Unterstützung haben. Nicht alle sind 450-Euro-Jobber, mehr als ein Drittel übt einen Vollzeitjob aus, sagt Peter Schadl, Leiter des Job-Center. "Am meisten kämpfen Familien, die mit ihrem Verdienst knapp über dem Hartz-IV-Satz liegen", sagt Sozialpädagogin Julia Doben.

Trotz Arbeit bleibt in bedürftigen Familien der Kühlschrank leer. (Foto: Catherina Hess)

Oft wollen Eltern auch nicht der Gemeinschaft zur Last fallen, finanziell selbständig sein. "Aber sie arbeiten sich auf." Nebenjobs zur Vollzeitarbeit, Familien, in denen Vater und Mutter je zwei Arbeitsstellen haben - keine Seltenheit mehr im Landkreis. Weil den Rund-um-die Uhr-Arbeitern Zeit und Kraft fehle, gerät oft das Familienleben unter die Räder. "Gemeinsame Essenszeiten lassen sich nicht organisieren, viel lastet auf den älteren Geschwistern, die kochen, die Kleinen von der Kita holen und ins Bett bringen." Wer knapp über dem Limit für staatliche Unterstützung verdient, muss auch auf Sonderleistungen wie Zuschüsse für Nachhilfe oder zum Schulanfang verzichten. Wo viele Eltern an den Schulkosten verzweifeln, sagt Petra Auer. "Mit ellenlangen Listen, die noch die Marke der Schreibhefte vorschreiben, mit Kopiergeld, Materialgeld, teuren Arbeitsheften, Ausflügen, das summiert sich."

Ursache der finanziellen Not in Familien sind aus Sicht der Pädagogen einerseits die Niedrigeinkommen. "Es gibt viele Jobs, oft wird aber nur der Mindestlohn bezahlt", sagt Jürgen Berauer. Doch vor allem der extreme Wohnungsmangel im Landkreis sei Auslöser existenzieller Krisen. Unterkünfte zu den vom Sozialamt akzeptierten Quadratmeterpreisen von 8,69 Euro in Dachau und Karlsfeld oder 6,65 Euro in den übrigen Kreisgemeinden "gibt es auf dem Markt nicht". Die Folge: Wohnungssuchende müssten Angebote zu höheren Tarifen akzeptieren. Wer aber Hartz -IV-Leistungen bezieht, seinen Verdienst mit Unterstützung des Job-Centers aufstockt oder Niedrigverdiener ist, bestreitet dann einen Teil der Miete vom Existenzminimum. Bei derart knapper Kalkulation geraten Familien leicht in Mietrückstand, droht rasch die Obdachlosigkeit. Auch wer mehr Geld zur Verfügung hat, verzweifelt an der Wohnungssuche. "Oft können junge Erwachsene aus der elterlichen Wohnung nicht ausziehen, fünfköpfige Familien leben jahrelang in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, die Folge sind Ärger, Streit und Stress." Tatsächlich würden viele Krisen vermieden, könnten Eltern und Kinder in finanziell stabilerem Umfeld leben, sind die Pädagogen überzeugt.

Weil kein Geld für Freizeit übrig ist in Familien, die kaum ihren Alltag finanzieren können, springen die Dachauer Sozialpädagogen mit ihrem Verein ein. Unter dem Motto "amper unterwegs" organisieren sie Aktivitäten für Kinder, die ohne dieses Angebot nie in den Tierpark, ins Kindertheater oder in ein Museum kommen würden.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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