Bergkirchen:Kritik aus der Praxis

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"Es reicht nicht, nur Räume zur Verfügung zu stellen und die Pädagogen mit einem Hungerlohn im Regen stehen zu lassen." Bergkirchens Erzieherinnen haben einen Brandbrief geschrieben.

Walter Gierlich

Kommunen und freie Träger von Kindertagesstätten klagen seit langem, dass ausgebildete Kräfte für neue Betreuungseinrichtungen kaum noch zu finden seien. Doch die Erzieherinnen, die jetzt schon für bescheidene Gehälter in Krippen und Kindergärten arbeiten, sind in der Öffentlichkeit bisher kaum zu Wort gekommen. Das Team des Bergkirchener Kinderhauses Tabaluga möchte nicht länger schweigen. In einem Brandbrief an Ministerien und Abgeordnete schreiben Iris Hille-Lüke und ihre zwölf Mitarbeiterinnen: Die Kinder hätten ein Recht auf sehr gut ausgebildete Erzieherinnen, "die den heutigen Anforderungen ihres Berufes gewachsen sind und die von ihrem Beruf leben können".

Archivbild: Der Kindergarten Tabaluga. (Foto: DAH)

Iris Hille-Lüke nennt es im Gespräch mit der Dachauer SZ "unverständlich, wie man so lange nur auf eine Seite schauen konnte und dabei das Personal vergessen." Konkret meint sie damit den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für alle Mädchen und Buben von drei Jahren an, den die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen durchgesetzt hat. Schon da sei jedem Pädagogen klar gewesen, "dass die Regierung den Elementarbereich reformieren will, ohne an die Kinder und die pädagogischen Kräfte zu denken", heißt es im Schreiben an Politiker und Behörden.

Schon als sie 1986 mit ihrer Ausbildung begonnen habe, hätten Erzieher für Reformen im Bereich der frühkindlichen Bildung und Erziehung gekämpft, betont die Kinderhaus-Leiterin. Schon damals habe man gefordert, die Ausbildung der Fachkräfte zu verbessern und die Bezahlung der tatsächlich erbrachten Leistung anzupassen. Erfolge gab es nicht: "Zu keiner Zeit fanden die Fachkräfte Gehör für ihre Angelegenheiten." Und weiter kritisiert Hille-Lüke. "Jetzt aber, wo wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen, sind Reformen möglich und werden gegen jede Vernunft durchgesetzt." Doch nun werden wohl Krippen leer bleiben, weil das Personal fehlt, glauben die Bergkirchener Erzieherinnen, die in ihrem Kinderhaus 100 Mädchen und Buben von sechs Monaten bis zum Schuleintritte betreuen. "Es reicht eben nicht, nur Räume zur Verfügung zu stellen und die Pädagogen mit einem Hungerlohn im Regen stehen zu lassen", so Hille-Lüke. Zumal die Anforderungen extrem gestiegen seien. Als "Schlag ins Gesicht" empfinden sie und ihr Team den Vorschlag von Ministerin von der Leyen, ehemalige Schlecker-Mitarbeiterinnen anzulernen, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Daran sehe man, wie gering die Wertschätzung der Regierung für die Arbeit der Erzieherinnen wirklich sei, meint Hille-Lüke. "Ich kann dem nur entgegensetzen: Es gibt zurzeit wohl keinen Beruf, der so viel Wissen, geistige Flexibilität, Toleranz, Kreativität und Belastbarkeit fordert wie der Beruf der Erzieherin."

Die erfahrene Pädagogin beklagt, dass das auch finanziell in keiner Weise gewürdigt werde. In kaum einem Beruf, so ihre Erfahrung, hörten Fachkräfte nach so kurzer Zeit wieder auf oder wechselten in besser bezahlte Bürojobs. Und Iris Hille-Lüke fürchtet: "Wenn die Regierung die Arbeit der Pädagogen in den Einrichtungen nicht auch finanziell anerkennt, werden wir spätestens in zehn Jahren die ersten großen Probleme in unserer Gesellschaft beobachten, die auf die fehlende Qualität in den Kindertagsstätten zurückzuführen sind."

© SZ vom 05.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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