Barrierefreiheit:"Wir hinken hinterher"

Lesezeit: 2 min

Wie aus einer Diskussion im Kreisausschuss über Behindertentoiletten eine Grundsatzkritik wurde.

Von Wolfgang Eitler

Buga in München, 2005 Hinweisschild zu den behindertengerechten Toiletten und dem Wickelraum auf der Bundesgartenschau in München - Riem. (Foto: Andreas Heddergott)

Hans-Peter Posch, Kreisrat der FDP ist ein Spezialist für Anliegen des Alltags. Das war bei seinem Vorstoß zum Schutz vor Wildwechsel so, der sich zum augenscheinlichen Erfolg für seine kommunalpolitische Tätigkeit entwickelte. Wer kennt nicht die kleinen blauen Signale, welche Waldtiere erfolgreich daran hindern, Straßen zu überqueren und Autofahrer zu gefährden? Posch hatte einen Zuschuss des Landkreises an die Waldbesitzer durchgesetzt. Auch sein Toiletten-Antrag am Freitagmorgen im Kreisausschuss schien von ähnlich bürgernaher Qualität zu sein: Jeder kann mitreden, weil dafür allein das Gefühl reicht. Aber am Ende verließ Posch die Sitzung mit einem sarkastischen "Sehr gut".

Eigentlich wollte der Kreisrat nur erreichen, dass der Landkreis auf den zahlreichen Festen der Vereine kostenlos behindertengerechte Toiletten aufstellt. Zudem sollten Mütter dort ihre kleinen Kinder wickeln können. Die Vereine hätte es sicherlich gefreut; Hans-Peter Posch hätte die FDP und sich für so viel Vereinsnähe loben lassen können. Aber den übrigen Kreisräten bis auf Bernhard Räpple von der ÖDP war nicht wohl dabei.

Denn die Vereine machen mit ihren Hallen- und Sommerfest sehr viel Geld. Deshalb fragte sich der Kreisausschuss, ob es wirklich Aufgabe eines Landkreises sein kann, "semiprofessionelle" (CSU-Sprecher Wolfgang Offenbeck) Veranstaltungen zu finanzieren. Den Organisatoren ist es aus Sicht des Gremiums zuzumuten, auf eigene Kosten solche behindertengerechten Toiletten anzubieten. Damit schien der Sachverhalt ausreichend geklärt, wenn nicht noch der Behindertenbeauftragte Wolfgang Rettinger das Wort ergriffen hätte. Auch er lehnte die Kombination aus Wickelraum und Behindertentoilette ab. Diese Kombination könne man nur wollen, wenn man die Probleme behinderter Menschen nicht erfasst habe. Denn sie benötigten einen abschließbaren Raum, der nicht von anderen frequentiert wird, da ein Toilettengang bei einem Rollstuhlfahrer bis zu einer Dreiviertelstunde dauern könne.

Unabhängig davon empfand der Kreisausschuss Poschs Antrag als wichtigen Impuls, dass auch die Vereine des Landkreises sich der Forderung bewusst werden, die unter dem Stichwort "Inklusion" zusammengefasst wird. Veranstaltungen müssten künftig so organisiert werden, dass behinderte Menschen selbstverständlich an ihnen teilnehmen können. Deshalb wird ein Hallenfest künftig wohl nur noch genehmigt werden, wenn der Veranstalter danach handelt. Insofern erreichte Posch mit seinem Antrag das Gegenteil seiner Absicht: Die Vereine müssen künftig mehr und nicht weniger Geld für die Vorbereitung ausgeben.

Zuletzt kritisierte Behindertenbeauftrager Rettinger den Zustand der Hotels und Gaststätten im Landkreis: "Fast keine Toilette ist behindertengerecht ausgebaut." Und: "Kein einziges Zimmer ist barrierefrei." Rettinger vermisst diese Forderung in dem eben verabschiedeten Konzept für einen besseren Tourismus im Landkreis Dachau. Daraufhin meldete sich Landrat Hansjörg Christmann (CSU) mit einer Grundsatzkritik an der Behindertenpolitik zu Wort: Demnach unterstützen Bundesregierung und Länder das Prinzip der Inklusion. "Aber wir hinken hinterher."

© SZ vom 15.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: