Innenstadt:Warum München genug Fußgängerzonen hat

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Kommerz-Einerlei statt Vielfalt: Es wäre kein Gewinn, die Sendlinger Straße komplett für Autos zu sperren, sondern ihr Ruin.

Kommentar von Gerhard Matzig

Fuzo: Begrifflich ist das die Kurzversion der "Fußgängerzone" - und es ist kein Zufall, dass sich die Fuzo im Duden zwischen dem Fuzel (umgangssprachlich für Staub) und dem Fuzzi, dem Idioten, befindet. Die Fuzo, die anstelle der Sendlinger Straße realisiert werden soll, wäre genau das: ein Mittelding aus Idiotie und Staub. Wovon auch so manches Stadtplanungshirn zeugt. Denn die Fuzo ist ein lediglich behaupteter Fortschritt, ein nur angebliches Zukunftsversprechen - in Wahrheit stammt die Fußgängerzone aus der mit ideologischen Spinnweben überzogenen Ramschkiste jener Stadtplanungsideen, die sich schon vor langer Zeit als überholt und untauglich erwiesen haben.

Teil des Problems, nicht Teil der Lösung

Man muss doch nur die dramatische Verelendungsgeschichte der in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Meile der Verdammten studieren, bestehend aus Kaufingerstraße und Neuhauser Straße, die man vor den Olympischen Spielen in München 1972 frohgemut zur Fußgängerzone umerzogen hat, um zu begreifen, dass Fußgängerzonen im Städtebau meist eher Teil des Problems statt Teil der Lösung sind. Dabei haben die Zonen, die (an sich ja eine sympathische Idee) den Fußgänger privilegieren wollen, oft die gleiche Wirkung wie die hektischen Autoschneisen: Sie zersägen gewachsene Strukturen und identifikatorisch wirksame Räume. Im Grunde wird nur die Ökonomisierung privilegiert.

Innenstadt
:Warum München mehr Fußgängerzonen braucht

Schlendern statt parken: Der Bereich zwischen Stachus und Marienplatz ist die Mutter aller Flaniermeilen. Davon würde auch die Sendlinger Straße profitieren.

Kommentar von Alfred Dürr

Die Sendlinger Straße, überflüssigerweise seit einiger Zeit zwischen Färbergraben und Hackenstraße zur Teil-Fuzo degradiert, kann als Total-Fußgängerzone zwischen Sendlinger Tor und dem Anschluss zum Marienplatz nur verlieren. Und die Umgebung, ein bedeutsames, gewachsen urbanes Kontinuum im Herzen der Altstadt gleich mit. Wer die ursprüngliche Fußgängerzone zwischen Stachus und Marienplatz entlang geht (wobei das Entlanggehen oft einem Entlanggeschobenwerden gleicht), der begreift auf Anhieb, was aus Straßen wird, die nur vermeintlich den Fußgängern, tatsächlich aber zuallererst der Kommerzialisierung und Banalisierung des öffentlichen Raums zugesprochen werden. Man sieht: eine H&M-Filiale, eine Zara-Dependance, einen Pimkie-Ableger und die popbunten United Colors of Benetton, die hier wie überall sonst auf der Welt die popbunten United Colors of Benetton sind: nämlich stadtästhetisch-graues Einerlei.

Grausame Folgen für das Geschäftsleben

Wer sich in den Fußgängerzonen von Wien, München, Budapest oder sonstigen Städten, die an ihren Fuzos wie an heimtückischen Viren leiden, befindet, der weiß nicht zu sagen, welche Fußgängerzone zu welcher Stadt gehört. Dafür sorgen schon die Verdrängungsmechanismen des Marktes. Die einseitige Bevorzugung eines einzigen Straßenzugs hat für das Geschäftsleben im Viertel meist grausame Folgen. Die Mietpreise steigen so unerbittlich, dass kleinere Unternehmen verdrängt werden. Was sich durchsetzt und halten kann, sind die global herumgereichten Konzerne und Filialunternehmen, die aus Städten austauschbare Locations und Umsatzflächen machen. Der Architekturkritiker Gottfried Knapp schrieb schon vor Jahren in dieser Zeitung: "Der Darwinismus des Kapitals steht sämtlichen Fußgängerzonen ins Gesicht geschrieben."

Genau das ist am Beispiel der ältesten deutschen Fußgängerzone, sie befindet sich in Kassel, akribisch untersucht worden. Ergebnis: Ortstypische Familien- und Traditionsgeschäfte sterben im Bereich der Fußgängerzonen aus. Die sattsam bekannten Global Player der Gesichtslosigkeit triumphieren dagegen. Will man das in München? In wie vielen H&M-Regalen kann man denn noch stöbern, um ein paar Cent zu sparen? Würde man die Sendlinger Straße endgültig aufgeben und zur Fuzo entwürdigen, nähme man den Siegeszug der Banalität billigend in Kauf. Und die Gentrifizierung ebenso. Denn an der Sendlinger Straße gibt es nicht nur kleine Läden in der Erdgeschosszone, es gibt darüber auch tatsächlich Wohnraum und Büros oder Praxen. Aus diesem Mix besteht die viel gerühmte Urbanität. Sie muss erhalten bleiben an der Sendlinger Straße. Die Fußgängerzone wäre kein Gewinn für sie, sondern ihr Ruin.

© SZ vom 09.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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