Christian Udes letzter Auftritt auf dem Oktoberfest:"Das Festzelt ist kein Platz für Melancholie"

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Christian Ude genießt seinen letzten großen Auftritt auf dem Oktoberfest, von Wehmut keine Spur. Für den Anstich braucht er wieder nur zwei Schläge. Das macht ihn, mindestens in dieser Hinsicht, zum besten Oberbürgermeister aller Zeiten.

Aus dem Festzelt von Thierry Backes

Würde er ihn wagen, den Meisterschlag? Den einen kräftigen Hieb, der ihm einen festen Platz in den Geschichtsbüchern sichern würde? Es wäre eine hübsche Schlusspointe gewesen für Christian Ude, ein letztes Ausrufezeichen hinter einer langen Karriere im Münchner Rathaus - und in der Anzapfbox auf dem Oktoberfest.

Doch der Oberbürgermeister probiert es gar nicht erst mit einem Rekord, das täten "nur grob fahrlässige Schankkellner", sagt er: Er holt einmal ordentlich aus und treibt den Wechsel in das Bierfass, setzt noch einmal routiniert nach, dreht sich dann um und ruft über das Mikrofon des Bayerischen Rundfunks (BR) in die ganze Welt hinaus: "Ozapft is! Auf eine friedliche Wiesn!"

Keine Panne zum Abschied also, aber auch nur wenig Emotionen: Ude, 65, winkt beim Einzug, lächtelt, grüßt. Traurig wirkt er nicht, aber was soll er sonst auch sagen? "Es geht mir prächtig", antwortet er vergnügt in der Anzapfbox, als ihn BR-Reporter Christoph Deumling fragt, wie er sich denn heute fühle, jetzt, da seine Ära zu Ende gehe. "Die Wehmut wird während des Festes kommen - und die Tränen am Ende."

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Vielleicht ist es ja wirklich so, wie Ude es schon beim traditionellen Wiesn-Rundgang am Donnerstag gesagt hat: "Das Festzelt ist kein Platz für Melancholie. Spätestens um fünf vor zwölf packt mich das Lampenfieber." Die Aufregung merkt man ihm bei seinem letzten Auftritt als Anzapfer der Nation kaum an.

Anders als 1993: Damals ist Christian Ude noch ein Neuling auf dem Oktoberfest. Als er in den Schottenhamel einzieht, wird er mit einem Pfeifkonzert empfangen. Der OB braucht damals sieben Schläge; erst, als ihn die Umstehenden auffordern, er solle doch bitte aufhören, der Zapfhahn stecke doch längst fest im Fass, hört er auf. Dabei sei ihm beim dritten Schlag ein "wahrer Meisterschlag" gelungen. Ude: "Das Dumme war nur: Keiner hat den Meisterschlag erkannt. Keiner. Ich auch nicht."

21 Jahre und 20 Anstiche später - nach den Anschlägen vom 11. September fiel die Zeremonie 2001 aus - ist für Ude klar, dass dies sein letzter großer Auftritt vor einem Millionenpublikum sein wird. Den will er genießen, und das tut er auch. Dass er am Ende ein wenig zu schnell ist, sechs Sekunden oder vier, das wird nur eine Randnotiz bleiben. Ude wirkt gelöst, so, als sei ihm die herbe Niederlage bei der Landtagswahl am vergangenen Sonntag tatsächlich egal. Als freue er sich auf die letzten paar Monate im Amt - und auf den Ruhestand.

Man kann das etwa an der Art ablesen, wie er die obligatorischen Interviews in der Anzapfbox gibt, auch dann noch, als Horst Seehofer längst schon auf der Empore sitzt und auf sein Hendl wartet. Geduldig antwortet er jedem, der etwas wissen will. Aber was heißt hier "etwas": Im Grunde ist es immer ja immer das Gleiche. Man kann es auch an dem wiederholten "Hoch" ablesen, das er, den Krug in der Hand, brüllt, als er die Band "Die Krüge" sehen will.

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Ude gibt den entspannten, altersweisen Quasi-Alt-OB. Auf der Wiesn wird man sich gerne an diesen Ude erinnern. Das Anzapfen, das hat er bis auf das erste Mal immer souverän gelöst - 1996 erstmals mir nur drei Schlägen, 2005 erstmals mit zwei. Das Kunststück hat er in den vergangenen Jahren immer wieder hingekriegt, man kann das bieder nennen oder cool. Jedenfalls hat es bei Ude nie gespritzt, und das ist das Wichtigste für einen Oberbürgermeister, der das größte Bierfest der Welt eröffnen muss.

In den Worten von Alt-OB Georg Kronawitter gesprochen: "Anzapfen muss er (der OB) können, wenigstens das." So gesehen ist Ude der beste Bürgermeister, den München nach dem Krieg hatte. OB Thomas Wimmer, der 1950 die heutige Tradition spontan begründete, weil ihn der Wirt Michael Schottenhamel darum bat, das erste Fass anzuzapfen, brauchte bei seinem Debüt ganze 19 Schläge.

Hans-Jochen Vogel schoss 1971 bei seinem Abschied eine Fontäne ins Gesicht, 1972 versuchte sein Nachfolger Kronawitter aus einem Krug zu trinken, dem der Boden fehlte. Und Erich Kiesl, Münchens einziger CSU-Oberbürgermeister nach dem Zweiten Weltkrieg, passierte 1978 das vielleicht lustigste Malheur. Er verwechselte die Vokale und ruft: "Izapft Os!"

Derlei ist Christian Ude in seinen 20 Amtsjahren nie passiert, vielleicht wirkt er ja auch deshalb so erfreut, als er von der Empore ein letztes Mal als Oberbürgermeister der Menge zuprostet, Seite an Seite mit Ministerpräsident Horst Seehofer. Das Volk jubelt, und man darf annehmen, dass diesmal nicht der Ministerpräsident gemeint ist.

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