Christian Thielemann:Leichtigkeit mit Klangmagie

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Dirigent Christian Thielemann soll sich noch stärker auf seine Rolle als Generalmusikdirektor der Stadt München konzentrieren. Eine Vertragsverlängerung bleibt bislang aus.

Reinhard J. Brembeck

Seit fünf Jahren arbeitet der Dirigent Christian Thielemann als Musikchef der Münchner Philharmoniker, und nun ist es höchste Zeit, seinen in zwei Jahren auslaufenden Vertrag zu verlängern. Das aber, möchte man meinen, dürfte nur eine reine Formsache, geradezu eine Lappalie sein.

Christian Thielemann bei den Proben mit seinem Orchester, den Münchner Philharmonikern, im Gasteig in München. (Foto: Foto: Münchner Philharmoniker)

Denn Thielemann, der eigenwillige Solitär unter den Dirigenten, gilt gerade konservativen Musikfreunden als die Vollendung des Dirigententums, und auch kritischere Zeitgenossen können kaum umhin, seine Deutungen deutscher Spätromantik, allen voran Wagner, für grandios zu halten.

Umso unverständlicher ist es, dass immer noch keine Vertragsverlängerung bekannt gegeben wurde. Und hört man sich auch nur ein wenig in der Stadt um, sieht man auch nur ein wenig auf das, was andere große Symphonieorchester so treiben, dann ahnt man recht schnell, dass über dem Traumduo Thielemann und München doch die eine oder andere dunkle Wolke der Verstimmung dümpelt.

Da ist zum einen das Verhältnis zwischen dem Orchester und seinem Dirigenten, das sich nach einem heftigen Liebesrausch mittlerweile in so etwas wie eine Zweckehe eingependelt hat. Das hat verschiedene Gründe. Thielemanns Bayreuth-Engagement, das ihn immer vor Spielzeitende abzieht und auch verhindert, dass er die Saisoneröffnung dirigiert, ist auf Dauer sicher nicht ideal, auch wenn der Dirigent ansonsten durchaus seine Anwesenheits- und Dirigierpflichten erfüllt.

Immer wieder wird auch beklagt, dass der reisescheue Christian Thielemann allzu wenige Tourneen mit dem Orchester unternähme. Tourneen aber sind nicht nur wichtig für das Orchester und sein Selbstbewusstsein, seine Selbsteinschätzung, sondern auch für die zunehmend von Marketingüberlegungen bestimmte Selbstdarstellung der Stadt. Denn dieses Ensemble ist der bei weitem wichtigste Werbeträger der Kommune, was sich schon in dem unglücklichen Titel "Das Orchester der Stadt" ausdrücken soll.

Deshalb ist es auch mehr als kontraproduktiv, wenn Thielemann jetzt die Beethoven-Symphonien, sozusagen die tiefste Seele des gesamten symphonischen Repertoires, nicht mit seinem Orchester sondern mit den Wiener Philharmonikern aufnimmt. Das kann, das muss man geradezu als Affront auffassen, der nicht unbedingt mit dem Titel eines Generalmusikdirektors vereinbar scheint.

Dann ist da die leidige, schon oft diskutierte Frage des Repertoires. Thielemann steht fast schon idealtypisch für Bruckner, Brahms, Schumann, Mendelssohn, Beethoven, Strauss - das ist bekannt. Deshalb kommt viel Publikum, deshalb sind seine Konzerte ausverkauft. Aber jenseits dieses durchaus wichtigen Repertoires erlahmt des Dirigenten Interesse sehr schnell.

Auch wenn Thielemann, viel zu selten, mit französischer Musik oder moderaten Zeitgenossen brilliert, kann er etwa bei Strawinsky oder Schnittke durchaus befremden. Mahler oder Bach möchte man sich von ihm wünschen, einen Haydn-Zyklus, Schostakowitsch, frühe Mozart-Symphonien, Havergal Brian, Rott, Ives, Roussel, Vaughan Williams, Sciarrino. Es gibt doch so viel zumindest diskutable Musik. Aber Thielemann scheint darauf zu vertrauen, dass Brahms für ihn noch eine 5. Symphonie schreibt. Was recht unwahrscheinlich ist. Und so fragt man sich, was dieser Dirigent, der seine Lieblinge so gut wie durchgearbeitet hat, noch so alles für sich entdecken wird - oder ob er in Zukunft vor allem auf Reprisen setzt.

Klar jedenfalls ist, dass Thielemanns genialer Stil, der eine beeindruckende Leichtigkeit mit Klangmagie und einer dadurch in die Moderne übersetzten dunklen Orchestertönung mischt, nicht unbedingt für jede Art von Musik geeignet ist. Vielleicht schreckt ihn genau dieser Umstand immer wieder davon ab, neues Repertoire mit offenen Armen zu erobern. Seine größten Konkurrenten jedenfalls sind in diesem Punkt sehr viel aufgeschlossener, was ihren jeweiligen Orchestern eine meist interessantere Programmatik beschert als den Philharmonikern.

Deshalb auch zieht sich ein deutlich wahrnehmbarer Riss durch die Konzerte des Orchesters. Da sind die Auftritte des Chefs, der sich die Rosinen des Repertoires mehr oder weniger vorbehält. Auf der anderen Seite stehen die Gastdirigenten, die sich mit dem Rest abgeben. So entsteht durchaus der Eindruck, dass die Philharmoniker ein Zweiklassenkonzertsystem anbieten, das nicht nur für die erste Riege der Dirigentenzunft wenig attraktiv erscheint. Denn wer wollte nicht mit diesem Orchester einmal Brahms, Bruckner oder Beethoven spielen?

Jedenfalls lehrt ein Blick in die Konzertagenda der Berliner Philharmoniker, dass das auch anders geht und auch in München anders gehen müsste. Und es würde Thielemanns Glanz umso mehr zum strahlen bringen, wenn Rattle und Salonen, Haitink und Boulez, Muti und Harnoncourt sein Orchester leiten dürften. Da müsste Thielemann unbedingt Verwaltungsaufgaben delegieren, da müsste er sich weniger in die ihn nicht direkt betreffende Planung einmischen.

Dem Vernehmen nach liegt Thielemann bereits ein zweiter Vertrag unterschriftsreif vor. Nicht mehr darin enthalten ist eine angeblich geforderte millionenschwere Ausstiegsklausel für den Fall, dass der Philharmonikeretat noch einmal gekürzt werden sollte. Es mag ehrenwert sein, dass sich ein Chef so schützend vor seine Leute wirft.

Aber für eine dem finanziellen Abgrund entgegeneilende Kommune ist so etwas natürlich nicht hinnehmbar, ganz abgesehen davon, dass kleinere Kulturinstitutionen gar nicht die Möglichkeit zu solch einer Drohgebärde haben. Hoffentlich hat Thielemann stattdessen in Sachen Philharmonie-Akustik massive Forderungen gestellt, deren dringend nötige Verbesserung nur er durchsetzen kann.

Vor diesem Hintergrund scheint es zumindest möglich, dass eine Vertragsverlängerung doch noch gefährdet sein könnte. Denn Thielemann ist begehrt, es gibt durchaus Vakanzen, die auch ihn reizen könnten (Dresden etwa). Dass es so weit kommt, ist aber unwahrscheinlich. Denn es ist geradezu undenkbar, dass Oberbürgermeister Christian Ude, der einen gewissen Hang zum Populismus nie verbergen kann, Thielemann ziehen lässt. Andererseits wäre es zwar bedauerlich, aber durchaus keine Katastrophe, wenn Thielemann ginge.

Viele Orchester sehen sich derzeit gezwungen, nach den bekannten großen und fast immer recht alten Dirigenten plötzlich auf neue Namen setzen zu müssen. Selbst das New York Philharmonic wagt den Sprung vom omnipräsenten Lorin Maazel auf den so gut wie unbekannten Alan Gilbert. Dahinter steht die zunehmende Sehnsucht, ein charakteristisches Stadtprofil, ein Branding auch via Musikchef zu entwickeln - selbst Rattle und Nagano stehen für solche Tendenzen.

Dabei geht es vor allem um Identität, Unverwechselbarkeit, Einmaligkeit. Denn die Zeit der überall in den großen Musikzentren präsenten Dirigentengestalten scheint vorbei. Deshalb ist mittlerweile auch ein Münchner Modell vorstellbar, mit einem jungen Dirigenten, der nichts anderes liebt, kennt und dirigiert als die Philharmoniker.

Doch im Moment wäre es natürlich viel besser, wenn sich Thielemann dieser Rolle annähme, wenn er sich mehr oder weniger ausschließlich auf seine Rolle als Generalmusikdirektor der Stadt München besänne und alles andere hintanstellte. Und sei es auch nur, weil selbst er ein besseres Orchester als diese Philharmoniker so schnell nicht finden dürfte.

© SZ vom 08.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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