Bombenfund in Schwabing-West:"Ich evakuiere mich dann mal"

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Leere Straßen, lakonische Stimmung: Wie Anwohner und Geschäftsleute auf die Vorbereitungen zur Bombenentschärfung reagieren.

Von Nina Bovensiepen, Ingrid Fuchs und Jakob Wetzel

Der Tengelmann hat ganz normal geöffnet. Nur wenige Meter von der Fundstelle der Fliegerbombe entfernt, kommt an diesem Mittwoch allerdings kaum ein Kunde in der Georg-Birk-Straße vorbei. Wie auch, seit dem Morgen räumen Polizei und Feuerwehr das Neubauviertel in Schwabing-West, sperren Straße um Straße. Nur dem Marktleiter hat noch niemand gesagt, dass er schließen soll. Die Einsatzleitung nicht, und die Konzernzentrale genau so wenig.

Auch Maria Müller lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie steht in ihrem Kiosk in der Petra-Kelly-Straße wie an jedem anderen Tag. "Ich warte, bis die Polizei mich bittet, zu zu machen", sagt sie. In Müllers Kiosk sind um halb neun zwei Nachbarinnen bei ihr zum Kaffee. Die eine will später eine Ausstellung besuchen, die andere ihre Tochter. "Wollen wir hoffen, dass alles gut ausgeht", sagt Müller. Sie selbst wird später ebenfalls zu ihrer Tochter gehen.

"Beste Grüße und bis Donnerstag"

Andere machen gar nicht erst auf. Die Kinderkrippe "Zwergenwiese" hat die Eltern bereits am Dienstag informiert, dass kurzfristig geschlossen werden musste. Am Mittwoch hängt nur noch ein Aushang an der Tür. "Beste Grüße und bis Donnerstag" ist darauf zu lesen.

Mitbekommen haben die Schwabinger in dem Neubauviertel den Bombenfund vor allem durch die plötzliche Stille am Dienstagnachmittag. "Sonst ist hier ja täglich Großbaustelle", sagt eine der Nachbarinnen, "es war so ruhig."

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Am Mittwoch ist es noch ruhiger. Die Straßen sind menschenleer, unterwegs sind fast nur Polizisten und Feuerwehrleute. Hin und wieder dröhnt eine Durchsage aus den Lautsprechern eines Einsatzwagens. "Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei", heißt es, "wegen einer akuten Gefahr muss diese Straße kurzfristig geräumt werden. Folgen Sie bitte den Einsatzkräften zur sicheren Sammelstelle, dort erhalten Sie weitere Anweisungen. Durchsage Ende."

"Hoffen wir, dass es schnell vorüber ist"

Die Stimmung: eher lakonisch. "Ich evakuiere mich jetzt mal", so verabschieden sich die Nachbarn am Morgen voneinander und diskutieren allenfalls kurz, ob sie ihr Auto stehenlassen können, oder ob es vielleicht doch besser ist, das Fahrzeug mitzunehmen oder wenigstens umzuparken. Nicht dass es, wenn die Entschärfung beginnt, zum Versicherungsfall wird.

Petra Mittendorfer ist in der Früh noch schnell einkaufen gegangen - doch dann versperrten ihr Polizisten den Rückweg in die Wohnung. "Aber ich habe gesagt, da sind ja meine beiden Söhne noch drin! Dann haben sie mich reingelassen." Kurz nach halb elf schlägt sich die Familie durch den Olympiapark. Der Großvater holt die Kinder mit dem Auto ab, zu Bekannten konnten sie nicht. "Die meisten wohnen ja auch hier" im Evakuierungsgebiet, sagt Petra Mittendorfer.

8000 Menschen müssen in Sicherheit gebracht werden, davor kann der Sprengmeister nicht mit der Entschärfung der Fliegerbombe beginnen. Polizei und Feuerwehr klappern die Häuser ab, weisen denen, die sie überhaupt noch antreffen, den Weg aus der Sperrzone. Im Studentenheim Schwere-Reiter-Straße müssen mehr als 240 Wohnungen kontrolliert werden. Das zieht sich.

Betroffen ist auch die Polizei selbst. In der Barbarastraße befindet sich die Ermittlungsstelle des Landeskriminalamts, die Außenstelle kümmert sich unter anderem um Rauschgiftdelikte und Organisierte Kriminalität. Gegen Mittag ist klar, dass die Dienststellen geräumt werden müssen.

Wie die Zimmer im Motel One in der Petra-Kelly-Straße. Es muss alle seine Gäste vorübergehend ausquartieren. "Hoffen wir, dass es schnell vorüber ist", sagt ein Hotelmanager.

Bis 19 Uhr, so die Feuerwehr, soll die Sperrzone gelten. So lange kann, wer nirgends anders unterkommt, in die Olympiahalle ausweichen. Man rechne bei einer Evakuierung damit, dass etwa zehn Prozent der Betroffenen in die Notunterkunft müssen, erklärt ein Einsatzleiter des Roten Kreuzes: "Das wären dann also 800 Menschen. So viele werden es aber heute wohl nicht."

Erst nach und nach erreichen die Shuttle-Busse für die Anwohner die Olympiahalle. Am Mittag sieht es drinnen noch ziemlich leer aus. Tanja Sueter und ihr Sohn Florian sind seit elf Uhr hier. Die beiden mussten ihr Zuhause bereits am Dienstagabend verlassen - ihr Haus liegt direkt am Fundort der Bombe.

Spielen mit Sanitätern: In der Olympiahalle wurde auf die Bedürfnisse von Kindern besonders geachtet. (Foto: Robert Haas)

Tagsüber haben sie mit Verwandten Florians 13. Geburtstag gefeiert, um halb acht standen fünf oder sechs Polizisten vor der Tür, erzählt Sueter. Die hätten sie aufgefordert, ihre Wohnung sofort zu verlassen. "Darüber habe ich mich schon etwas geärgert, die wussten doch schon seit dem Nachmittag, dass die Bombe da liegt."

Drei Familien mussten die Nacht in einer Schule verbringen

Die Familie wurde zu einer Grundschule ins Olympiadorf gebracht, musste dort aber erstmal warten. "Wegen der Ferien konnte der Hausmeister nicht erreicht werden, das ist im Notfallplan der Stadt offenbar nicht einkalkuliert", sagt Sueter. Etwa eine Stunde hätten sie deshalb im Auto warten müssen, dann nochmal in der Aula der Schule. "Dafür hat dann aber jede der drei Famlien die dort hingebracht wurden ein Einzelzimmer bekommen - also ein eigenes Klassenzimmer zum Übernachten."

Gut geschlafen haben sie auf den Feldbetten nicht, ihr Mann sei heute Morgen in die Arbeit gegangen, Tanja Sueter und ihr Sohn wurden in die Olympiahalle gebracht und warten nun auf den Rängen bis sie wieder zurückkehren dürfen.

Etwas zu gut geschlafen hat Tino Oelker. Er wurde am Morgen von zwei jungen Bundespolizisten aufgeweckt, da war es 11.50 Uhr. Von dem Bombenfund hatte er bis dahin nichts mitbekomen. Er habe einen Unfall gehabt in der Trambahn und sei krankgeschrieben, und zum Einschlafen brauche er eine Schlaftablette. Und durch die schalldichten Fenster habe er auch nichts von den Durchsagen der Polizei gehört. Er öffnete also im Schlafanzug die Tür und sagte "Guten Morgen", da hätten alle lachen müssen, auch er selber.

Eine halbe Stunde hatte er Zeit, um sich fertigzumachen und die Wohnung zu verlassen. Das habe gerade gereicht, um sich anzuziehen, etwas zu frühstücken, das Handy ein bisschen aufzuladen und Elektrogeräte vom Netz zu nehmen, "man weiß ja nie". Andererseits ist es auch nicht seine erste Bombe. Tino Oelker wohnt seit 2004 in der Gegend. "Weil das Gelände früher Kasernengebiet war, wurden immer wieder Munitionsreste gefunden", sagt er. "Gestern Abend habe ich schon gesehen, dass da wieder eine Absperrung war, aber mir nichts Großartiges dabei gedacht."

Heinrich Blank hat gar nicht erst auf die Evakuierung gewartet. Er wohnt weit genug von der Bombe weg und konnte die Nacht noch in der eigenen Wohnung verbringen. Am Morgen ist er dann mit seinen Töchtern einfach selbst in die Olympiahalle gefahren.

Angst hat er nicht: "Ich vertraue da ganz auf die Experten, die sich um die Entschärfung kümmern." Ein seltsames Gefühl sei es aber schon, wenn man sein Zuhause verlassen müsse. "Ich habe vor allem auch noch die Bilder von den Anschlägen in Brüssel gestern im Kopf, das ist hier natürlich etwas ganz anderes, aber man kann ein bisschen nachvollziehen, wie sich die Menschen dort fühlen müssen, die in Unsicherheit leben und gerade nicht wissen, wie es weitergeht."

"So viele Nachbarn trifft man selten"

Seine Töchter scheint der Ausflug in die Olympiahalle nicht allzu sehr zu stören. Mit bunten Gemälden kommen sie aus der Kinderecke zurück. Der Ausnahmezustand ist eher aufregend. Gegen 13 Uhr wird der Hunger aber doch zu groß, die Snacks, die es von den Helfern gibt, reichen nicht mehr so recht aus. Die Familie bricht auf ins Olympiadorf. "Wir holen uns dort jetzt Pizza oder Döner und schauen dann, wie es hier weitergeht", sagt Heinrich und verabschiedet sich vorübergehend.

Auf den Rängen sitzen inzwischen etwa zwei Dutzend Menschen, sie tauschen die paar Informationen aus, die sie haben. "Eine Freundin hat mich gewarnt, ich soll Sachen für vier Tage Evakuierung einpacken", erzählt eine Frau und löst damit Schrecken bei ihren Sitznachbarn aus. "Nein, nein", beschwichtigt ein anderer, "bis ungefähr 19 Uhr habe ich gehört, dann können wir zurück."

Wie lange es tatsächlich dauern wird, hängt davon ab, ob die Bombe schnell entschärft werden kann. Bis dahin tauschen die Menschen hier Geschichten aus und erzählen sich aus ihren Leben. Ein Mann kann der Sache sogar etwas gutes abgewinnen: "So viele Nachbarn trifft man selten auf einmal."

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