Betrunkene Jugendliche auf dem Oktoberfest:Bis sie vom Stuhl kippen

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Sie trinken so viel, dass sie kaum noch stehen können: Auf dem Oktoberfest greifen Behörden ständig alkoholisierte Teenager auf. Werden die Eltern informiert, reagieren diese ungehalten oder erschreckt. Manche weigern sich sogar, den Nachwuchs abzuholen.

Susi Wimmer

Der Anruf kam überraschend: Der schwäbische Geschäftsmann befand sich beim Wandern im Allgäu, als Armin Anstett ihn am Handy erreichte. "Hier ist die Jugendschutzstelle am Oktoberfest, ihr Sohn ist bei uns", sagte er. Der 14-jährige Bub hatte sich auf der Wiesn gehörig volllaufen lassen, konnte kaum noch stehen, war schließlich aufgegriffen und zur Dependance des Jugendamtes im Behördenhof gebracht worden. "Können Sie ihn abholen?", fragte Anstett.

Erste-Hilfe-Station des Roten Kreuzes auf dem Oktoberfest: Hier landen die betrunkenen Jugendlichen. (Foto: dpa)

Dass Jugendliche ihre Grenzen ausloten, Alkohol trinken, und mal einen Rausch heimbringen, "das war schon immer so", sagt der Leiter der Jugendschutzstelle auf der Wiesn. Allerdings hat sich die Zahl betrunkener Kinder und Jugendlicher auf dem Oktoberfest in den letzten drei Jahren mit etwa 60 auf hohem Niveau eingependelt. "Erst letzte Woche hatten wir einen 15-Jährigen mit 2,8 Promille", erzählt Anstett. Burschen, die bei diesem Wert noch stehen können, trinken regelmäßig. Alkoholiker.

Armin Anstett marschiert sicheren Schrittes durch den Schottenhamel. Was bei den meisten um diese Uhrzeit eher selten ist. Bereits um 17 Uhr ist das Wiesnzelt gerammelt voll, das Jungvolk tanzt auf den Bänken, torkelt durch die Gänge und grölt "Country Roads". Zelte wie Hacker, Bräurosl oder Winzerer Fähndl sind bei der Jugend "in", Lederhose und Dirndl sowieso. Auch Anstett trägt Tracht. Geschickt schiebt er sich durch die Masse von Betrunkenen, weicht den Bedienungen aus, grüßt die Security-Leute.

Doch dann fixieren seine Augen ein zierliches Persönchen, eine junge Frau im Dirndl, die am Geländer lehnt und sich unterhält. Anstett überholt, sieht ihr direkt ins Gesicht und zückt seinen Ausweis: "Jugendschutzkontrolle. Wie alt sind Sie? Kann ich Ihren Ausweis sehen?" Freundlich, aber bestimmt kontrolliert er die Daten, unterhält sich kurz, das blonde Dirndlmädchen lacht: Sie ist 19. "Bei den jungen Frauen ist es oft schwierig, das Alter zu schätzen. Mit der Schminke auch", sagt Anstett.

Die Vorschriften auf der Wiesn sind glasklar und den Wirten, Bedienungen und Ordnern hinreichend bekannt: Jugendliche dürfen erst ab 16 Jahren Bier, Wein und Sekt trinken. Eine Bedienung, die einem 15-Jährigen eine Maß hinstellt, macht sich strafbar. Die Zusammenarbeit mit Festwirten und Ordnern, sagt Anstett, sei problemlos. Auch sie sind nicht scharf auf den Ärger mit minderjährigen Betrunkenen. Und es gebe bereits Zelte, wo die Wirte von sich aus die Regeln verschärft haben: Sie machen vom Hausrecht Gebrauch und lassen niemanden unter 18 Jahren ein.

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Wenn Jugendliche pöbeln, orientierungslos wirken, blass in der Ecke sitzen, dann werden sie von Anstetts Truppe angesprochen und in das kleine Büro im Behördenhof mitgenommen. Dort sitzt gerade Georg Hopp. Er versucht, mit einem jungen Kerl ins Gespräch zu kommen, herauszufinden, wo er war, ob er alleine ist, wie es ihm geht. "Es gibt auch Burschen, da verschlechtert sich der Zustand in Sekundenschnelle, die kippen dann hier vom Stuhl." Gleich nebenan sitzt das Rote Kreuz. Dort werden Betrunkene an den Tropf gehängt und überwacht, damit sie nicht ins Koma fallen oder an Erbrochenem ersticken. Zwei Stunden Kochsalzlösung in den Körper oder schlimmstenfalls in eine Klinik.

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Hopp und Anstett alarmieren in solchen Fällen die Eltern, die "meistens moderat reagieren", erzählt Hopp - zuweilen aber natürlich auch überrascht, ungehalten oder auch erschreckt. "Ab und zu gibt es Eltern, die sich weigern, ihre Kinder abzuholen", erzählt Armin Anstett. "So weit fahr' ich nicht", sagte etwa ein Vater. Wenig überrascht wirkte auch ein Herrschinger, der seinen Filius auf der Wiesn abholen musste. 2,4 Promille hatte der 16-Jährige. Ein Wert, der den Vater nicht sonderlich erstaunte. Wenn die Jugendamt-Mitarbeiter das Gefühl haben, in der Familie liegt einiges im Argen, verständigen sie den Sozialdienst.

Der schaut dann bei der Familie vorbei und bietet Beratungsgespräche an. Notfalls, wenn das Jugendamt eine "akute Gefährdungssituation" für den Jugendlichen sieht, kann es auch sofort reagieren. Ein 14-jähriges Mädchen etwa geriet in Panik, wollte nicht heim, weil ihr Vater sie wieder schlagen würde, erzählt Anstett. Die Polizei wurde eingeschaltet, das Mädchen blieb nach Rücksprache mit dem Vater an diesem Abend in der Obhut des Jugendamtes und schlief in der Jugendschutzstelle des Münchner Waisenhauses.

Früher, sagt Anstett, "ist man abends weggegangen und hat was getrunken". Heute seien viele Jugendliche schon betrunken, wenn sie auf der Wiesn ankommen. Das Event-Phänomen, das das ganze Jahr über anhält, gehe quer durch alle Schichten. Laut Statistik ist der Großteil der Burschen und Mädchen, die saufen, bis sie in eine Klinik eingeliefert werden müssen, Gymnasiasten. "Die haben heute einen Druck wie Manager", meint Anstett.

Der Geschäftsmann, den Anstett beim Wandern im Allgäu erwischt hat, brach seine Tour übrigens ab und holte den betrunkenen Sohn auf der Wiesn ab. "Allerdings war er ziemlich angefressen."

© SZ vom 06.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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