Altstadt:Coole Klassik

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Die interkulturelle Stiftung Kolibri lädt junge Migranten einmal im Jahr zu einem Konzert ein, um sie mit europäischer Musik vertraut zu machen. Im Herkulessaal entsteht Party-Stimmung

Von Irini Bafas, Altstadt

Bevor Najam sich mit seinen Mitschülern zum Konzert in der Residenz trifft, hört er noch ein kurdisches Lied auf seinem Smartphone. Für den Iraker ist Musik etwas, das er vor allem aus Youtube und dem Fernsehen kennt. Bei einem Livekonzert, noch dazu einem klassischen, war der 18-Jährige noch nie. Gleich wird er zwei Stunden lang im Herkulessaal der Musik von Mozart und Mahler lauschen. "Ich hab' Angst, dass es langweilig wird", gesteht er. "Eigentlich tanze ich lieber."

Musik verbindet: die Flötistinnen Elza Bleikša (Lettland/Deutschland), Laia Albinyana Virgili (Spanien), Anna Hofer (Italien)und Blanka Borkowska (Belgien) von der Neuen Philharmonie München (von links). (Foto: Wolfgang Sreter)

Najam und seine Mitschüler aus der Klasse der Berufsschule für Berufsfindung besuchen ein Konzert der Neuen Philharmonie München, ein Benefizkonzert für Geflüchtete und Migranten. Neben den üblichen Zuhörern kommen an die 500 Schüler aus Berufsintegrationsklassen. Initiatorin des Abends ist Eva Nies von der interkulturellen Stiftung Kolibri. Die 72-Jährige und ihre ehrenamtlichen Kollegen organisieren seit Wochen Kartenpatenschaften für die Schüler, um den Saal mit möglichst vielen Jugendlichen zu füllen.

Najam hörte das erste Mal in seinem Leben klassische Musik. (Foto: Robert Haas)

Es ist das dritte Konzert dieser Art. Kolibri will so Migranten und Geflüchtete mit europäischer Musik vertraut machen und ihnen Orte in München zeigen, zu denen sie sonst gar nicht gehen. Integration durch klassische Musik. Die Musiker der Neuen Philharmonie sind Musikstudenten aus 15 Ländern Europas. Viele von ihnen sind kaum älter als Najam. Dirigent Yoel Gamzou ist gerade einmal 30 Jahre alt und Musikdirektor am Theater Bremen. 2017 wurde er mit einem der renommiertesten Musikpreise der Welt, dem Klassik-Echo, als Nachwuchskünstler des Jahres ausgezeichnet. Das hochkarätige junge Ensemble ist nicht zufällig ausgewählt - Eva Nies will dadurch mehr Nähe zum jungen Publikum schaffen. Außerdem kommen manche Musiker aus verfeindeten Ländern. "Musik verbindet eben", sagt Nies.

Musikpädagogin Mona Pishkar hatte die Jugendlichen mit ihrem Einführungskurs auf das Konzert vorbereitet. (Foto: Catherina Hess)

Zwei Tage vor dem Konzert bekommen Najam und seine 18 Mitschüler einen Einführungskurs zu klassischer Musik. Für die meisten von ihnen steht schließlich der erste Konzertbesuch ihres Lebens an. "Bei uns gibt es keine Orchester", erzählt Najams Mitschüler Safa. Mit konzentriertem Blick verfolgt der 19-jährige Afghane die Präsentation von Musikpädagogin Mona Pishkar. Sie erklärt, wie ein Orchester aufgebaut ist und wie die verschiedenen Instrumente klingen. Die Jugendlichen sollen nicht einfach nur im Konzert sitzen, sondern die Musik auch verstehen. Als Pishkar ein Stück auf der Geige vorspielt, beobachten die Jugendlichen schweigend, wie der Bogen über die Saiten gleitet. "So ruhig sind sie normalerweise nicht", sagt Klassenlehrerin Sabine Heckelmann.

Safa lebt seit drei Jahren in München, aber in der Residenz war er zuvor noch nie. (Foto: Robert Haas)

Mona Pishkar zeigt den Schülern auch Fotos der Münchner Konzertsäle: die Philharmonie, die Staatsoper, der Herkulessaal. "Das sind die wichtigsten Gebäude der Stadt", sagt Pishkar. Sie will, dass die Jugendlichen begreifen, was klassische Musik in München bedeutet. "Wow", raunt es durch das Klassenzimmer.

Zwei Tage später: Wenige Minuten vor dem Konzert steigt Najam die Treppe zum Herkulessaal hinauf. Sein Freund Safa erscheint in Hemd, Sakko, kariertem Schal und Lackschuhen. "Das hatte ich erst einmal an, bei der Hochzeit meiner Cousine", erzählt er. Auch aus anderen Schulklassen kommen einige in Anzug oder Sakko. Sie wollen sich anpassen und edel aussehen.

Als das Orchester zu Mozarts Violinkonzert Nummer 5 in A-Dur ansetzt, heben sich die Blicke der Jugendlichen Richtung Bühne. Najam sieht neugierig aus, sein Mund ist leicht geöffnet, während er zuhört. Viele Jugendliche neben ihm machen Videos und posten sie direkt auf Facebook oder verschicken sie per Whatsapp.

Schon nach dem ersten Satz jubelt das Publikum. Solist Gilles Apap schließt Mozarts Violinkonzert mit einer Improvisation ab. Er ist mit virtuosen Interpretationen von Standardwerken berühmt geworden. Mal hält er die Geige wie eine Gitarre und zupft die Saiten wie bei einem Country-Stück, mal klingt es eher nach Popmusik als nach Klassik. Auch eine türkische Melodie baut Apap ein und tanzt mit der Geige zwischen den jungen Musikern umher. Das Publikum klatscht und lacht, manche bewegen sich auf dem Sitz zur Musik. Wer jetzt den Saal betritt, könnte meinen, er sei bei einem Rockkonzert. Etwas ruhiger verläuft der zweite Teil. Dirigent Gamzou führt durch Mahlers Sinfonie Nummer 5, das Orchester spielt nahezu fehlerfrei.

Die Jugendlichen lernen an diesem Abend, dass klassische Musik harte Arbeit ist und trotzdem locker klingen kann und Spaß macht. Das Konzert endet mit großem Jubel. Safa sagt: "Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich öfter in solche Konzerte gehen." Und selbst Najam ist zufrieden. "Das war gar nicht langweilig. Aber Tanzen ist mir trotzdem lieber", sagt er und schnipst rhythmisch mit den Fingern.

© SZ vom 13.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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