Abschied vom Oktoberfest 2014:Der Rest vom Fest

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Weg mit den Restspuren: Am Montag beginnt in den Bierzelten der Abbau. (Foto: REUTERS)

Zweifelhafte Promis und eine Fischsemmel aus Gummi: Das Oktoberfest ist mehr Schein als Sein. Es erfüllt Erwartungen und enttäuscht sie. Ein Rückblick auf 16 Tage Kollektivrausch.

Von Stephan Handel

Erwartungen wollen erfüllt werden - das ist im ganzen Leben so, also auch auf dem Oktoberfest. So gesehen, ist die Wut jenes Mannes mehr als verständlich, der am Samstagabend für den Nachhauseweg eine Fischsemmel erstand, dann aber daheim feststellte, dass ihm die Verkäuferin versehentlich ein Stück der Dekoration, eine Fischsemmel aus Gummi eingepackt hatte. Der Mann fuhr zurück auf die Wiesn, um sich zu beschweren, und war so in Rage, dass ihn nicht einmal mehrere Freifischsemmeln beruhigen konnten. Die Polizei musste kommen.

Was aber erwartet der durchschnittliche Wiesn-Besucher, außer dass er wirklich eine Schweinshaxn bekommt, wenn er eine bestellt? Das ist sehr individuell, aber zu vermuten ist, dass die meisten Erwartungen erfüllt werden können - die nach der schrillen, lauten Wiesn, aber auch die nach der gemütlichen, nach der, na ja, leisen.

Allerdings könnte einen anderen Eindruck gewinnen, wer sein Bild von der Wiesn nur aus der Lektüre mancher Münchner Tageszeitungen nährt - dann wäre das Oktoberfest tatsächlich nichts als eine Ansammlung durchgeknallter Halb-Promis, deren Aufgeblasenheit in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Bedeutung steht.

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Für ihren gemeinsamen Wiesn-Besuch haben sich die Löwen-Spieler mit Einheitstracht, Lebkuchenherzchen und breitem Grinsen ausgestattet. Nur einer muss noch an seiner Begeisterungsfähigkeit arbeiten.

Das sieht zum Beispiel so aus: Eine ehemalige Fußballspielerfrau ruft in einem Reservierungsbüro an und fordert dringend einen Tisch, da sie Besuch habe von ihrer Freundin, ebenfalls eine ehemalige Spielerfrau. Das Reservierungsbüro gibt Auskunft, dass das nicht so einfach sei, aber man werde sich bemühen, ob es denn nicht einfacher wäre, gleich mit dem Management von Spielerfrau II zu verhandeln? Nein, sagt da Spielerfrau I, das müsse nun schon über sie laufen, denn dann sei ihr Spielerfrau II beim nächsten Mal etwas schuldig. Das Reservierungsbüro konnte dann doch noch einen Tisch für die beiden allerbesten Freundinnen freimachen, allerdings nur bis 22 Uhr, denn dann sollte Joachim Herrmann kommen, der Innenminister, um sich vom Salafisten-Ausweisen zu erholen.

Auf der anderen Seite wurde zum Beispiel mehrmals der Kabarettist Andreas Giebel gesichtet, wie er mit seiner Frau kam, sich einen Platz suchte, ein Bier bestellte, dieses trank und dann wieder ging - offensichtlich ohne auch nur einen einzigen Fotografen angerufen zu haben, der das alles auch angemessen festhalten würde für die Nachwelt. So wie Giebel besuchen wohl Hunderttausende andere Münchner jedes Jahr das Oktoberfest. Allerdings werden sie dabei selten von RTL oder Spiegel TV gefilmt, denn das würde ja kratzen am Bild: dass die Wiesn eine einzige Orgie aus Bier, Urin, Erbrochenem und anderen Geschmacklosigkeiten ist.

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Vom Wort Geschmacklosigkeit ist der Weg nicht weit zu - nein, nicht zu den Dirndln, denn deren Hochzeit sei ja vorbei, war zu lesen, wenn auch nicht immer zu sehen. Wiesnhit, so wurde verkündet, sei das Lied "Atemlos" von Helene Fischer, und richtig ist, dass es tatsächlich in allen Zelten gespielt wurde, wobei auffiel, dass die meisten Sänger und Sängerinnen es besser, also weniger piepsig hinbrachten als Helene Fischer selbst.

Ob es aber auf die Dauer ins Repertoire wandert, so wie "Fürstenfeld", "Ein Stern" oder, am überraschendsten vielleicht, "Brenna tuats guat" von Hubert von Goisern? Es gab ja auch schon Wiesnhits, die komplett verschwanden, der unerträgliche Holzmichl etwa oder der debile Ententanz. Prognose: "Atemlos" wird einen ehrenvollen Platz auf den Setlisten der Bands bekommen, aber der Hype, der, ob zufällig oder aus Kalkül, durch die Charts-Position entstanden ist, wird sich nicht halten lassen.

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Das Wetter war nur gelegentlich schön, was zum einen den Effekt hatte, dass die Menschenmassen überschaubar waren, zum anderen wurde Siegfried Able vom zweiten Wochenende an nur noch mit Schal um den Hals und homöopathischen Tropfen in der Hand gesehen: Mandelentzündung.

Über den Einstand seines Marstall-Zeltes musste der neueste Wiesnwirt keinesfalls verschnupft sein - der war allermindestens solide, in manchen Bereichen, so bei der Zelt-Ausstattung, hat Able sogar neue Maßstäbe gesetzt, über die die Wirte der anderen großen Zelte bis zum nächsten Mal nachzudenken haben werden. Die haben Able ja bekanntlich auf Bewährung gesetzt - Zuspruch bekam er hingegen von seinen ehemaligen Kollegen, den kleinen Wiesnwirten: Die brachten am ersten Montag als Start-Geschenk einen kleinen Maibaum in den Marstall; er steht jetzt dort im Biergarten.

Welches Image Ables Pferde-Zelt im Lauf der Zeit bekommen wird, wie es sich einfügt in die Palette der anderen Bierhallen - das wird die Zeit erweisen. Bei den etablierten hat die Schützenfesthalle der Familie Reinbold ihren Aufstieg in der Rangliste der Beliebtheit fortgesetzt, während die Schottenhamels ihrem in die Jahre gekommenen Zelt durchaus mal ein paar Investitionen gönnen könnten.

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Einen erstaunlichen Aufstieg scheint die Bräurosl zu nehmen: Bislang Mitglied in der Reihe der eher ruhigen, gediegenen Zelte - außer die schwule Community kommt zum Feiern -, haben es nun offensichtlich viele Münchner Gymnasiasten zu ihrem Lieblingsort erkoren, was für sie wie für die Wirtsfamilie Heide schön ist, mit einer kleinen Einschränkung, die allerdings auch für alle anderen Zelte gilt: Das legale Alter für den Genuss von Bier liegt in Bayern bei 16 Jahren; darüber nachzudenken, wie diese Schutzgrenze auch eingehalten wird, wäre alle Anstrengung wert.

Ein Fall für die Security in den Zelten? Eher nicht. Die Sicherheitsleute waren durch Fernseh-und Zeitungsbeiträge in Verruf geraten, so dass die Stadt sich veranlasst sah, die Vorschriften zu verschärfen. Trotzdem gab es natürlich auch heuer Berichte von Fällen, wo Gäste von den Ordnern nicht so behandelt wurden, wie sie es sich wünschten. Allerdings: In mindestens zwei Fällen zeigten sich die Wachleute aufgeschlossen, gesprächsbereit und am Ende sogar mit dem nötigen Ermessensspielraum ausgestattet, um das Anliegen des Gastes zu erfüllen. Höfliche, kompetente Security-Mitarbeiter - wer hätte das erwartet auf der Wiesn?

© SZ vom 06.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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