Nach Hundeattacke in München:Gezeichnet fürs Leben

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Das kleine Mädchen musste wochenlang im Krankenhaus behandelt werden, so schwer waren die Verletzungen. (Foto: Angelika Bardehle)

Was bringen Maulkorb- und Leinenzwang? Ende April berät die Stadt München über die Frage, wie man Unbeteiligte besser vor Hundeattacken schützen kann. Für die kleine Pauline kommt die Debatte zu spät. Sie wurde vor neun Monaten von einem Labrador-Mischling ins Gesicht gebissen - und leidet bis heute an den Folgen.

Von Manuela Warkocz

Reaktionen wie kürzlich im Zoo sind für Andrea Brechtel und ihren Mann immer wieder furchtbar. Da zeigte ein Bub mit dem Finger auf ihre zweijährige Tochter Pauline und rief laut: "Die hat aber eine komische Nase." Damit könne sie immer noch nicht umgehen, sagt die Mutter.

Am 9. Juni 2012 hatte ein Labrador-Mischling am Athener Platz in Harlaching Pauline mitten ins Gesicht gebissen und schwer verletzt - an einer Bank nahe einem Spielplatz, an dem Hunde untersagt sind. Das kleine Mädchen musste wochenlang im Krankenhaus stationär behandelt werden. Mehr als zehn Eingriffe in Vollnarkose waren nötig. Bis heute ist Paulines rechte Gesichtshälfte lädiert, schlaffe Muskeln entstellen sie, das rechte Auge schließt nicht richtig.

Bald wird das aufgeweckte Kind kosmetische Operationen über sich ergehen lassen müssen. "Der Vorfall war einschneidend für unser ganzes Leben", sagt Andrea Brechtel. Sie könne nicht mehr entspannt an der Isar spazieren gehen oder zum Rodeln an den Perlacher Muggl. "Denn überall laufen Hunde frei rum. Dann ist sofort die Angst da." Die 42-Jährige und ihr Mann Armin Müller, 43, wollen deshalb, dass Hunde in der Öffentlichkeit einen Maulkorb tragen müssen.

Doch die Debatte darüber, wie Unbeteiligte, vor allem Kinder, vor gefährlichen Hundeattacken in München geschützt werden können, hat noch immer zu keinem Ergebnis geführt. Nach der schrecklichen Attacke auf Pauline hatten Stadtpolitiker aller Parteien Konsequenzen gefordert - vom Leinenzwang bis zum Einzäunen von Spielplätzen.

Natürlich entbrannte sofort eine erregte Diskussion zwischen Gegnern und Befürwortern solcher Maßnahmen. Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle will im April im Stadtrat ein ganzes Paket zur Diskussion stellen, wie künftig in der Landeshauptstadt mit Hunden umgegangen werden soll.

Der Fall Pauline beschäftigt auch die Justiz. Die 73-jährige Hundehalterin muss sich demnächst wegen fahrlässiger Körperverletzung vor dem Münchner Amtsgericht verantworten. Was ihr insbesondere angelastet wird: Ihr Hund Bippo hatte schon zuvor zugebissen. Auflagen der Behörden, etwa sich mit ihrem Vierbeiner von Kindern fernzuhalten, hatte die Rentnerin missachtet.

Auch die Behörden waren damals in die Kritik geraten. Denn trotz ihres uneinsichtigen Verhaltens durfte die Frau ihren Hund auch nach der Attacke auf Pauline behalten. Eine Gutachterin hatte festgestellt, Bippo sei nur "ein Angstbeißer". Jetzt darf er allerdings nur noch mit Maulkorb auf die Straße.

Ein Maulkorb für alle Hunde?

Ob ein genereller Maulkorb- oder Leinenzwang die Sicherheit in der Stadt erhöht, dürfte zu den zentralen Punkten in der KVR-Vorlage gehören, die am 30. April auf den Tisch kommen soll. Details will die Behörde noch nicht verraten. Nur so viel: Man werde "zweigleisig fahren", sagt Sprecherin Daniela Schlegel. Die Beißvorfälle seien Anlass zu überlegen, was man bei den behördlichen Reaktionen ändern könne und solle. Die andere Schiene seien die diversen Anträge zur Prävention.

So wollen SPD-Stadträte unter anderem wissen, ob Kommunen überhaupt eine allgemeine Leinen- und Maulkorbpflicht aussprechen dürfen, ob auffällig gewordene Hunde gekennzeichnet werden können und ob die Stadt generell Hundebesitzer verpflichten kann, einen Hundeführerschein abzulegen - eventuell verknüpft mit einer reduzierten Hundesteuer. Außerdem regen die Sozialdemokraten eine bessere Information an, wo in der Landeshauptstadt Leinenpflicht und Aufenthaltsverbote für Hunde herrschen.

Für die Grünen kommt ein Leinenzwang nicht infrage. Sie setzen sich vielmehr für einen Hundeführerschein ein. "Er reduziert nicht nur das Risiko gefährlicher Übergriffe auf Menschen, sondern gibt dem Hundehalter auch größere Sicherheit in der Haltung und Erziehung seines Schützlings und trägt damit zum Wohl des Tieres bei", sind sich die Grünen-Stadträte Florian Vogel und Sabine Krieger sicher. Sie verweisen auf Niedersachsen. Dort ist der Hundeführerschein seit 2011 Pflicht, wenn man sich seinen ersten Hund anschafft.

Auf mehr Überwachung in öffentlichen Anlagen und höhere Bußgelder setzen die Freien Wähler in München. Sie halten außerdem Zonen für sinnvoll, die explizit für frei laufende Hunde eingerichtet werden - das muss sich nicht mit dem Antrag der CSU beißen, die die Sicherheit von Kindern durch das Einzäunen städtischer Spielplätze gewährleisten will. Eine dauerhafte Lösung können sich die Freien Wähler nur "im Einvernehmen mit den Münchner Hundehaltern" vorstellen, betonen Johann Altmann und Ursula Sabathil.

Ohne eine möglichst breite Akzeptanz in der Bevölkerung dürfte bei diesem emotionalen Thema ohnehin nichts gehen. Deshalb hat das KVR für umfangreiche Rückendeckung gesorgt. Erfahrungen anderer Städte wie Berlin, Hamburg, Nürnberg, Augsburg, Fürth, Erlangen und Ingolstadt wurden ebenso eingeholt wie die Meinung von Verbänden und Fachleuten.

Für Pauline und ihre Eltern kommen diese Vorschläge zu spät. Das kleine Mädchen wird noch lange unter den Folgen des Angriffs zu leiden haben.

© SZ vom 02.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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