Ein Berater für Auswanderer:Der Entschleuniger

Lesezeit: 4 min

Die Lebenskünstler haben ihn nicht mehr losgelassen: Burkhard Riedel berät in einem Internetportal Auswanderer. Er selber ist einer davon: Er hat sich eine Auszeit in Costa Rica genommen und dort ein Hotel gegründet.

Daniel Peitz

Ein Herzchirurg kündigt den Job auf dem Höhepunkt seiner Karriere, stattdessen wird er Fernfahrer und tourt kreuz und quer durch Europa. Ein Koch segelt in die Südsee und pachtet sich vom König von Tonga eine ganze Insel für 99 Jahre. Ein Steinmetz überführt im Winter sündhaft teure Yachten für deren Besitzer vom Pazifik durch den Panamakanal in den Atlantik - Geschichten und Lebenswege, die der ehemalige Journalist Burkhard Riedel aus eigener Erfahrung kennt. Als Chefredakteur eines Verlages nimmt er sich 1995 eine Auszeit, um mit Freunden in Costa Rica ein Öko-Hotel aufzubauen.

Eigentlich wollte Burkhard Riedel Zootierarzt werden. Heute ist er Journalist und Weltenbummler. (Foto: Robert Haas)

Das Thema der "kreativen Lebenskünstler" hat ihn seitdem nicht mehr los gelassen. Über Jahre begleitete Riedel Aussteiger und Auswanderer bei deren Auszeit - seine Erfahrungen hat er in zwei Büchern niedergeschrieben. Vor kurzem startete er sein Internetportal unter dem Namen "Pura Vida" - es bündelt seine Erfahrungen und soll Menschen helfen, die mit ihrem Alltag unzufrieden sind und ein neues Leben beginnen möchten.

Auf dem Portal finden die Nutzer Informationen über das Auswandern. Riedel stellt den Werdegang verschiedener "kreativer Lebenskünstler" vor und bietet zudem Workshops und Seminare an: In einer Zeit, in der wissenschaftliche Abhandlungen über "Entschleunigung" geschrieben werden, scheint der Wunsch der Menschen nach einem neuen und vor allem langsameren Leben groß zu sein.

Dabei hatte sich Burkhard Riedel, der Beamtensohn aus Lübeck, einen Wandel in seinem Leben früher nie vorstellen können. Zootierarzt wollte er werden und nichts anderes. Das wusste Riedel schon während seiner Schulzeit und jobbte nebenbei im Tiergarten oder verbrachte seine Ferien in einem Vogelpark in England. Zum Studium der Tiermedizin war er 1975 nach Berlin gegangen. Ein Professor hatte ihm während einer Vorlesung dann aber dringend davon abgeraten, ausgerechnet Zootierarzt zu werden:

"Es gibt dafür nur 30 Stellen in ganz Europa, und die sind alle mit jungen Kollegen besetzt, also vergessen Sie das", erinnert sich Riedel an die düstere Vorhersage des Dozenten. Normale Tiermedizin kam aber nicht in Frage, und so ging es zurück nach Lübeck, wo er ein Volontariat bei den Lübecker Nachrichten begann. Zum Studium der Kommunikationswissenschaft und Amerikanistik zog es ihn nach München. Beim Spotlight-Verlag in Martinsried, der sich auf die Herausgabe von Fremdsprachigen Magazinen spezialisiert hat, fand er 1984 seine erste Anstellung.

Während einer Pressereise lernte er 1990 Costa Rica kennen und verliebte sich in das kleine Land in Zentralamerika, das bis heute zu den wenigen Ländern gehört, das kein Militär unterhält, und dessen damaliger Präsident Óscar Arias Sánchez zu dieser Zeit gerade den Friedensnobelpreis erhalten hatte. "Wenn es ein Land gibt, in dem es sich noch mal zu leben lohnt, dann Costa Rica", dachte Riedel.

Bei seinem Verlag nahm er sich fünf Jahre später eine Auszeit. Mit zwei befreundeten Paaren kaufte er 14 Hektar am Strand der Osa-Halbinsel am Pazifik. Darauf bauten sie vier Gästehäuser, eine Art rustikales Dschungelhotel. Neben der Anlage ließen sie ein Stück Urwald als Naturreservat schützen, für Riedel ein paradiesischer Anfang.

Doch neben aller Tropenromantik mit Sonnenuntergängen, Kolibris und Reggae-Bands mussten die Europäer lernen, dass es auch im Paradies ganz alltägliche Probleme gibt. Termiten machten sich am Holz zu schaffen, die hohe Luftfeuchtigkeit ließ Ledergürtel innerhalb weniger Tage verschimmeln, der Salzgehalt der Luft raffte CD-Player nach einigen Wochen dahin.

Ganz zog es Burkhard Riedel nicht nach Costa Rica, die Hälfte des Jahres verbrachte er in Deutschland und entwickelte für den Verlag neue Magazine.

Das Hotel entfaltete sich indes zu einem Sammelpunkt von Individualisten und ganz normalen Menschen, die mit ihrem Alltag nicht zufrieden waren und ein neues Leben beginnen wollten. "Die Leute fragten mich, wie ich mein neues Leben organisiert hatte, schon auf der Terrasse habe ich dann halbe Seminare abgehalten", erklärt Riedel. Über seine Erfahrungen schrieb er 1997 das Buch "Lebe deinen Traum" - der Ratgeber ist mittlerweile vergriffen.

Das Öko-Hotel und seine Gäste entwickelte sich für Riedel langsam zu einem Netzwerk. 2001 ließ er dafür den Namen "Pura Vida" beim Deutschen Patentamt schützen. Pura Vida ist eigentlich ein Gruß der Menschen in Costa Rica und heißt so viel wie "das pralle Leben". Im Kulturzentrum Gasteig in München hielt er erste Vorträge, bot Reiseberatung und Buchungsservice an.

Doch während Riedel in Deutschland Pura Vida aufbaute, ging für ihn der Traum vom Öko-Hotel in Costa Rica kaputt: Die zwei anderen Paare trennten sich, es gab Geldprobleme - und Anwohner machten Jagd auf Affen im einstigen Naturreservat. Als eine von Riedels Partnerinnen angeboten hatte, für immer nach Costa Rica zu ziehen und das Hotel zu übernehmen, zögerte Riedel nicht lange und verkaufte seine Anteile.

Das Netzwerk Pura Vida jedoch bleibt. Nach seinem 50. Geburtstag kündigt Riedel endgültig bei seinem Verlag und bricht zu einer neunmonatigen Weltreise auf. Er besucht alte Bekannte und findet neue Backpacker und Globetrotter, die wie er ein neues Leben begonnen haben. In San Francisco lernt er zwei Thüringerinnen kennen, die ein Lokal mit Ex-DDR-Kost eröffnet haben.

Auf einem Kreuzfahrtschiff arbeitet eine Friseurin, die ihr Handwerk in München gelernt hat. Nach einiger Zeit wechselt sie nach Australien, um dort auf mehreren Farmen zu arbeiten. Burkhard Riedel recherchiert die Lebenshintergründe seiner Bekanntschaften und interviewt sie über ihre Motivation und ihre Zukunftspläne.

In seinem neuen Buch "Neu denken - neu leben" beschreibt er verschiedene "Auszeit-Modelle". Zahnartzhelferinnen, die während der Hälfte des Jahres als Skilehrerinnen in den Dolomiten arbeiten oder als Reitlehrerinnen in Irland. Ganz auszuwandern stellt er allerdings eher in Frage, das sei schon längst wieder von gestern. Die Zukunft liegt für Riedel darin, das Beste aus beiden Welten für sich zu nutzen. "Es muss ja nicht für immer sein", sagt er.

© SZ vom 31.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: