Wiesn-Show "Dirndl! Fertig! Los" mit Florian Silbereisen:"Blamier' du dich zuerst"

DIRNDL FERTIG LOS DIE OKTOBERFESTSHOW 2017; "Dirndl! Fertig! Los!", ARD, Florian Silbereisen

Stets bemüht: Florian Silbereisen, Oktoberfest-Show-Moderator der ARD.

(Foto: ARD/JürgensTV/Joensson)

Funktioniert das Oktoberfest auf dem Fernsehschirm? Die ARD probiert es mit "Dirndl! Fertig! Los!" und Florian Silbereisen. Das Ergebnis brennt wie Hölle.

TV-Kritik von Johanna Bruckner

Vielleicht hat man den Ufo-Spinnern Unrecht getan. Vielleicht sind jene Menschen, die behaupten, von Außerirdischen entführt worden zu sein, einfach nur vor dem Fernseher eingeschlafen. Und im Studio von Dirndl! Fertig! Los! aufgewacht. Das liegt zwar, passend zum Titel, im Münchner "Circus Krone" - aber selbst Oktoberfest-Gewöhnte sind hier auf einem anderen Stern. Der ihren verdammten Namen trägt. Wer wäre da nach 195 Minuten nicht traumatisiert?

Hundertfünfundneunzig Minuten. Ohne einen einzigen Mitleidswerbeblock, um überhaupt mal die Bühne zu verarbeiten, die aussieht wie die Kommandozentrale eines Raumschiffs mit vier Armen. (Was passiert in den Ufo-Extremitäten? Menschenexperimente?) Nein, es geht direkt los mit einer netzhautzerfetzenden Lichtshow und Ross Anthony.

Der Ex-Bro'Sis-Sänger und Ex-RTL-Dschungelkönig singt ein Schlager-Medley mit schnellen Wechseln. Während man noch über die Liedzeile "Ich seh' dich noch wie heut'/du trugst ein Hochzeitskleid/und bald solltest du seine Frau sein/ich wollt dich aus Spaß entführ'n" nachdenkt, stehen schon fünf junge Männer in Lederhosen mit Ringelshirts auf der Bühne. Die Mitglieder von Voxxclub haben eine Choreographie einstudiert und brüllen dazu in Richtung Zuschauer: "Du kannst nur fliegen, wenn du den Arsch hochkriegst und es versuchst." Natürlich nicht auf Hochdeutsch, sondern auf Bairisch. Damit das mit dem Hinternhochkriegen ankommt, schießen Funken aus dem Boden. Brennt wie Hölle.

Ist das ein Hilfeschrei ins Ohr des Kutschers?

Einer wusste, was kommt. Florian Silbereisen fährt kurz vorher in einer Kutsche am "Circus Krone" vor. Er trägt das Gesicht eines Mannes, der sich ergeben hat. Dem Dauerlachen und den peitschenden New-Schlager-Beats. "Pünktlich zum Start der Wiesn präsentieren wir live aus München die Oktoberfest-Show 2017 zum Mitfeiern und Mitsingen!" Ist das ein letzter verzweifelter Hilfeschrei ins Ohr des Kutschers? Doch der Mann auf dem Kutschbock verrichtet seine Arbeit genauso stoisch wie die sechs Kaltblüter. Vielleicht liegt es in der Natur von Mensch und Gaul, vielleicht sind die Aliens schuld. Später singt ein strahlender Silbereisen: "Einmal links, einmal rechts, einmal vor und zurück/so ist der Lauf der Welt/das Leben tanzt Sirtaki."

"Gehirnwäsche", würde vermutlich der Ufo-Spinner flüstern, wenn er neben einem säße. Allein auf dem Sofa fällt einem zu solchen Weisheiten nichts mehr ein. Außer vielleicht: "Griechischer Wein - komm' schenk mir ein."

Alkohol hilft schließlich. Und viel Alkohol hilft dabei, aus dem Zelt zu fliegen. Lieber "Kotzhügel" als noch ein Medley. Deshalb stechen der Moderator und sein Gast Andy Borg gleich zwei Fässer an. Es gilt, die diesjährige Zwei-Schläge-Anstich-Marke von Münchens OB Dieter Reiter zu unterbieten. Ex-Musikantenstadl-Leiter Borg sagt zum Interims-Zirkusdirektor Silbereisen: "Blamier' du dich zuerst, ich bin gern Zweitblamierter." Und so wird auf die Fässer eingedroschen, dass das Bier spritzt. Wie hatte OB Reiter kurz zuvor geraten? "Immer cool bleiben."

Höchste Zeit, die Hoheit über die Sendung zurückzugewinnen und sich ein bisschen überlegen zu fühlen. Es geht ins Interview mit dem sechsjährigen Simon, der der ARD von wohlmeinenden Eltern zur Verfügung gestellt wurde, um sich ein bisschen über dieses urig-skurrile Hobby lustig zu machen. Silbereisen: "Was ist das Tolle am Fingerhakeln?" Simon: "Dass mer gwinnt." Silbereisen: "Und, hast du denn schon oft gewonnen?" Simon: "No ned so, weil i der Kloanste bin."

Das schlechteste Playback seit Milli Vanilli

Es gibt nichts zu holen für Silbereisen an diesem Abend. Dafür darf er geben. Zum Beispiel eine Goldene Schallplatte an ein Trio namens D'Artagnan. Oder die perfekte Vorlage für ein bisschen Eigenwerbung an Hansi Hinterseer. Das hört sich in etwa so an: "Neues Album, neue Sendung - ist ja toll, Hansi!" Findet Hansi auch: "Florian, das ist so nett, dass du das erwähnst." Erwähnenswert ist auch, dass Hansi Hinterseer das schlechteste Playback seit Milli Vanilli auf die Bühne bringt.

Das Publikum schlägt trotzdem die aufblasbaren Klatschstäbe gegeneinander, als gäbe es einen Riesenkuschelbären zu gewinnen. Das ist eben auch Schlager. Fans, die gehorsam "Sarah"-Schilder in die Höhe halten, wenn es die Schnulze fordert. Und die sich anstandslos in den Ausschnitt filmen lassen, wenn es gesanglich derber zugeht (Stichwort: Arsch hochkriegen). Schämen müssen sich dafür nur die ARD-Kameramenschen. Aber hey! Es ist Wiesn! Da ist wahlweise alles erlaubt oder egal.

Parallelwelt, anderer Stern, Vorhof zur Hölle - who are we to judge?

Dekolleté-Zooms? Erlaubt. Mireille Mathieu dazu nötigen, "Goodbye My Love" für ihre jüngst verstorbene "Maman" zu singen? Erlaubt. Dem Publikum Veronica Ferres als Schlagersängerin zumuten? Erlaubt. Oberkörperfreie Bongo-Trommler als Background-Musiker? Unbedingt erlaubt. Gebührengelder für einen 195-minütigen Gaga-Marathon raushauen? Egaaal.

Auf dem Oktoberfest sei alles anders, weiß Moderator Silbereisen zu berichten. Hier herrschten zehn Grad mehr als im übrigen München (wegen der ganzen schwitzenden Körper) und auch die Rolltreppen in der U-Bahn-Haltestelle bewegten sich schneller als anderswo (um die schwitzenden Körper zügig zur kühlen Maß zu bringen). Parallelwelt, anderer Stern, Vorhof zur Hölle - who are we to judge? Oder wie es im Festzelt heißen würde: Who the fuck is Alice?

Ob sie eigentlich wisse, wie erfolgreich sie sei, will Silbereisen am Ende von Andrea Berg wissen. "Ich weiß es nicht in Zahlen, aber ich weiß es hier im Herzen", sagt die Schlagerkönigin.

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