TV-Kritik: "The Winner is...":Her mit der Kohle

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Karriere war gestern, jetzt geht es nur noch ums Geld: Linda de Mol meldet sich mit der neuen Castingshow "The Winner is ..." zurück im deutschen Fernsehen. Wobei Talent dabei sehr in den Hintergrund gerät.

Carolin Gasteiger

"Noch eine Castingshow - aber diese ist ganz anders": Die Moderatorin mag um die Skepsis gegenüber ihrer neuen Sendung gewusst haben. Ist ja auch nicht verwunderlich, handelt es sich bei The Winner is ... doch um die x-te Castingshow, die dem geneigten TV-Zuschauer vorgelegt wird. Und so versucht Linda de Mol gleich zu Beginn, sich zu verteidigen. Und bedankt sich beim Publikum: "Vielen Dank, Sie kennen mich noch!"

"Bei uns macht man nicht mit, um unbedingt berühmt zu werden": Linda de Mol und ihre noch minderjährigen Kandidaten Gina-Christin und Jamal. (Foto: obs)

Der jüngeren TV-Generation dürfte Linda de Mol tatsächlich kein Begriff mehr sein. Seit der Traumhochzeit in den 1990er Jahren ist die blonde Holländerin mit ihrem unverwechselbaren Akzent von der Bildfläche verschwunden.

Nun holt sie ausgerechnet ihr Bruder John de Mol zurück ins deutsche Fernsehen. The Winner is ... stammt ebenso wie The Voice of Germany von seiner Produktionsfirma, in Holland hat er das Format bereits erfolgreich getestet. Eine völlig neue Castingshow soll das nun also sein, "die erste Talent-Game-Show der Welt", wie der Sender wirbt.

Denn den Kandidaten winkt kein hoch dotierter Plattenvertrag. Auch musikalisches Können und Talent, wenn auch hinreichend vorhanden, spielen anders als bei The Voice kaum mehr eine Rolle. Im Casting-Dschungel musste etwas Neues her. Mit einer Million Euro, die die Kandidaten im Finale gewinnen können, wappnet sich Sat 1 gegen die wachsende Casting-Müdigkeit des Publikums.

Zur Million führen acht Ausgaben der Show, in der die Kandidaten in acht Kategorien paarweise gegeneinander antreten. Von "Kinder" bis "Professionals", in letzterer melden sich auch bereits längst verglühte Popsternchen wie Lucy von den No Angels zurück. Der Jury aus hundert Unbekannten, aber der Musik durchaus kundigen, wie Linda de Mol versichert, steht Musikproduzent Mousse T voran. Bevor die Jury den Besten aus einem Duell kürt, der in die nächste Runde darf, können sich die Teilnehmer auch für den "Deal" entscheiden und ein Preisgeld in Höhe von 5000 Euro einheimsen.

"Bei uns macht man nicht mit, um unbedingt berühmt zu werden und Karriere zu machen, sondern um reich zu werden", konnte man vorab von Linda de Mol lesen. So sieht es auch die 14-jährige Gina Christin, die im Einspielvideo erklärt, ihr Vater habe Steuern hinterzogen und die Familie anschließend verlassen. "Es wäre toll, wenn ich hier ein bisschen Geld für meine Familie gewinnen könnte."

Eine perfide, neue Version des Aschenputtel-Prinzips: In den vergangenen zehn Jahren stürzten sich Heerscharen von mehr oder weniger talentierten Kandidaten in den Casting-Löwenkäfig und vor allem die Jüngeren wollten nur eines: berühmt werden. Bei The Winner is ... jedoch zählt nun nur noch die Kohle.

Mit The Voice of Germany lieferte John de Mol ein zwar nicht mehr ganz neues, aber doch sehr unterhaltsames TV-Format. Denn es ging immer noch um Musik. Die Vehemenz hingegen, mit der Linda de Mol immer wieder die 5000 Euro Preisgeld erwähnt ("5000 Euro, gar nicht schlecht für zwei Minuten Singen") lässt die Show zu einem Homeshopping-Abklatsch verkommen. Auch ihre Moderation scheint offenbar in den 90ern hängengeblieben zu sein: "Im Fußball ist Italien gegen Spanien ein garantierter Knaller. Bei uns sicher auch." Ah ja.

Aufregend ist das alles kaum: Der Zuschauer hört Songs, die er schon tausendmal gehört hat, von Kandidaten, die zum Teil auch nicht zum ersten Mal vor einer Jury stehen. Immer wieder werden Szenen aus Deutschland sucht den Superstar, Popstars oder sogar The Voice eingeblendet. Casting-Recycling vom Feinsten. Dass in dieser Talent-Game-Show das Game deutlich mehr zählt als Talent, beweist auch Pseudo-Juror Mousse T. Fast jedem Kandidaten-Pärchen bescheinigt er vor der Entscheidung der Jury: "Ihr seid tolle Sänger."

Zumindest ein wenig Spannung kommt auf, wenn sich einer der Kandidaten doch für das Preisgeld und gegen die nächste Runde entscheidet - und das, noch bevor das Jury-Urteil bekanntgegeben wird. Wie die Mutter des noch minderjährigen Jamal, dem man beste Chancen auf die nächste Runde zutraut, der aber nach dem "Deal" seiner Mutter sichtlich enttäuscht wirkt. Gut, dass die Jury sich für seine Gegnerin entscheidet. So bleibt ihm zwar wenig Ruhm, aber immerhin einiges an Geld. Und darauf kommt es ja an bei The Winner is ....

Das verdeutlicht auch der ehemalige Disco-King George McCrae, der auf de Mols Frage, warum er sich das knapp 40 Jahre nach seinem Welthit Rock Your Baby noch einmal antue, schlicht und einfach antwortet: "For the money."

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