TV-Kritik: "Hart aber fair":Kritik und Verteidigung von Scientology

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Ein Scientology-Sprecher wollte das Öffentlichkeitsbild seiner Kirche zurechtrücken. Doch wirkliche Antworten blieb er schuldig.

Lena Jakat

Jürg Stettler lächelt viel. Unwillkürlich drängen sich bei dem Herrn mit Nickelbrille und Schweizer Akzent Assoziationen zu Peter Griffin auf, der unbeholfenen Hauptfigur aus der Cartoonserie Family Guy. Und tatsächlich spielte der Pressesprecher von Scientology Deutschland am gestrigen Abend in Frank Plasbergs Talkrunde bei Hart aber fair die Rolle des guten Onkels, der im Grunde für jede Diskussion offen wäre - wenn man ihm nur zuhörte.

Von der "künstlichen Kontroverse" zur wahren Debatte

Direkt im Anschluss an den vielbeachteten Problemfilm Bis nichts mehr bleibt ließ Plasberg in der ARD über Scientology diskutieren, über "Sekten, Gurus und Gehirnwäsche". Offenbar hatte er sich fest vorgenommen, gerecht zu sein und auch Scientology zu Wort kommen zu lassen. Das gelang ihm so sehr, dass seine anderen Gäste beinahe etwas zu kurz kamen. Denn Stettler durfte immer und zu allem etwas sagen.

Den Film über ein Aussteigerschicksal hatte die ARD aus Angst vor Klagen heimlich gedreht, erst vor wenigen Wochen wurde das Projekt öffentlich.

Im Vorfeld der Ausstrahlung erhob Scientology empörte Vorwürfe, dennoch kam nun der Sektensprecher Stettler zu Plasberg, um aus der "künstlichen Kontroverse" ein wahre Debatte zu machen, wie er sagte. Das Vorhaben scheiterte jedoch an seiner eigenen Ausweichtaktik: Die Antworten auf entscheidende Fragen blieb er meist schuldig. So konnte er den Sinn von Machtübungen ebenso wenig erklären wie den Sinn von Nachhilfeschulen mit Scientology-Methoden.

Stattdessen kritisiert Stettler viel lieber den Film, Sektenkritiker an sich und den anwesenden Scientology-Aussteiger Wilfried Handl. Bei diesem Gast wurde der sonst eher nüchtern wirkende Scientology-Mann durchaus auch emotional: "Er arbeitet für unsere Kritiker und hat sich zu ihrem Sprachrohr gemacht. Er stapelt hoch", keifte Stettler in Richtung des Abtrünnigen und wackelte dabei mit dem Kinn.

Doch auch der ehemalige Sekten-Kollege Handl hielt die Anwesenheit des Scientology-Sprechers kaum aus. Hatte er doch eigentlich Interessantes aus dem Innenleben der Sekte zu erzählen, endeten seine Aussagen stets in einem Verbalangriff auf Stettler. Und Plasberg hatte gut zu tun, das Gespräch in ruhigere Bahnen zu bringen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Ex-TV-Pastor Jürgen Fliege zur Scientology-Debatte beizutragen hatte.

Denn auch die anderen Gäste hatten durchaus eine dezidierte Meinung zu Scientology. So widersprach Sektenexpertin Sabine Riede ruhig und bestimmt immer wieder Stettlers Ausführungen und berichtete von Erschreckendem aus ihrem Alltag mit Scientology-Aussteigern. Bayerns ehemaliger Innenminister Günther Beckstein hingegen versuchte einfach, den Sekten-Sprecher nicht so recht ernst zu nehmen und lächelte die Aussagen Stettlers weg.

Außerdem bemühte er sich, seine eigene Anwesenheit zu rechtfertigen: Er habe in der Zeit als Ministerpräsident nicht mit Scientologen gesprochen, erklärte Beckstein, die Organisation sei schließlich verfassungsfeindlich. "Genauso wie ich mich nicht mit der NPD an einen Tisch gesetzt habe." Und dabei wären seine Ausführungen zu den Beobachtungen des Verfassungsschutzes durchaus interessant gewesen, kamen jedoch etwas zu kurz.

Wirre Thesen

Denn es wollte ja auch noch Jürgen Fliege etwas sagen - und der, immerhin, sollte Stettler ein wenig zur Seite springen, ihn zumindest in die Diskussion einbeziehen. "Ich frage dich: Hast du Lust, dich von außen betrachten zu lassen?", wandte sich der TV-Pastor gleich zu Beginn im Seelsorger-Säuselton an den Vertreter der umstrittenen Organisation.

Der Mann für alle Glaubensfragen begann durchaus provokativ und verglich gezeigte Filmausschnitte zu Scientology-Übungen mit Vertrauensspielen in seiner eigenen Jugendarbeit als Pastor. Das habe er in seiner Gemeinde genauso gemacht. Immerhin wurden in den Ausschnitten eine E-Meter-Übung und Kinder, die stundenlang von Wand zu Wand laufen gezeigt. Dann aber distanzierte er sich von der Sekte und würzte die Sendung mit reichlich wirren Thesen.

Zwischendurch war mal Amerika schuld an Scientology, dann wieder rief er aus: "Die Männerreligion, die Kapitalismusreligion ist der Sumpf, in dem Scientology erst wuchern kann." Und: "Controlling ist vom Teufel." Da schaute auch Plasberg ein wenig irritiert und ließ - die eigene Scientology-Skepsis durchaus äußernd - lieber wieder den Sekten-Mann zu Wort kommen.

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