Türkisches Tagebuch (X):Erdoğan begünstigt Manipulation und Desinformation

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Wie soll man weiterhin über die Hintergründe des Putsches berichten, wenn alle Journalisten verhaftet werden? (Foto: REUTERS)

Warum konzentriert sich die Regierung nicht darauf, die Schuldigen des Putschversuchs dingfest zu machen anstatt so viele Reporter zu verhaften? Journalismus stellt kein Verbrechen dar.

Gastbeitrag von Yavuz Baydar

Die letzte Verhaftung, von der ich gehört habe: Arda Akın, ein junger Reporter der Tageszeitung Hürriyet, die zur Doğan-Mediengruppe gehört. Arda stand auf der ersten Verhaftungsliste, die am Montag herausgegeben wurde und vor allem die Namen von Reportern enthält. Im Mai hat er noch den European Union Investigative Journalism Award 2016 gewonnen, einen Preis, der jedes Jahr in sechs Balkanländern und der Türkei ausgeschrieben wird. Gewonnen hat er mit einem Text über die Korruption in den Reihen der AKP-Chefs.

Mit ihm sitzen nun bereits 40 Journalisten in Haft. Ihre Verhaftung, vor allem die von hochgeehrten Kollegen wie dem 72-jährigen Nazlı Ilıcak oder dem ebenfalls 72-jährigen Schriftsteller Şahin Alpay, hat viele alarmiert. Der ehemalige schwedische Außenminister Carl Bildt, der Alpay seit vielen Jahren kennt, schrieb auf Twitter: "Alpays Verhaftung ist sehr besorgniserregend. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass er jemals irgendeinen Militärputsch unterstützt haben sollte."

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Unterdessen gehen die Sanktionen und Maßnahmen weiter. Per Notstandsdekret wurde soeben eine riesige Anzahl von Medienhäusern und Anstalten geschlossen und vom Staat enteignet. Die Liste ist wirklich beeindruckend lang: 45 Zeitungen, 16 TV-Kanäle, 15 Radiostationen, drei Nachrichtenagenturen, 15 Zeitschriften, 29 Verlagshäuser. Einige der Unternehmen oder Redaktionen wurden durchsucht und durften danach "unter treuhändischer Verwaltung" weiterarbeiten, aber es scheint klar zu sein, dass auch sie zumachen müssen und die Zahl der arbeitslosen Journalisten weiter anwachsen wird. Wir werden gerade Zeugen der Zerstörung der türkischen Medienlandschaft. Für die verbleibenden Medienhäuser bedeutet der Ausnahmezustand massive Selbstzensur und Verzicht auf jegliche kritische Berichterstattung.

Die Massenschließung betrifft all jene Redaktionen und Häuser, die angeblich mit der Gülen-Bewegung in Verbindung stehen, was in den meisten Fällen auch stimmt. Dennoch drängen sich zwei Fragen auf: Warum konzentriert sich die Regierung nicht darauf, die Schuldigen des Putschversuchs dingfest zu machen, sondern setzt alle Energie in ihre Jagd auf Journalisten? Wir alle wissen, dass Journalismus, solange er nicht Gewalt predigt oder sich mit Gewaltherrschaft gemeinmacht, kein Verbrechen darstellt.

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Außenminister Çavuşoğlu verlangt von Deutschland, der Gülen-Bewegung nahestehende Richter und Staatsanwälte auszuliefern.

Sollten Journalisten in die Planung und Durchführung des Putschversuchs verwickelt gewesen sein, der ein schweres Verbrechen war, müssen sie selbstverständlich vor Gericht gestellt werden. Aber je weniger Platz in den Medien für Reportagen und Analysen bleibt, desto schwieriger wird es ja, die Öffentlichkeit über die Wahrheit hinter dem Putschversuch und über die dramatische Situation, in der sich die Türkei befindet, zu informieren. Der Manipulation und Desinformation sind Tür und Tor geöffnet. Außerdem nährt die plötzliche Schließung so vieler Medienhäuser die Furcht, dass weitere Teile der Medienlandschaft bald dran sein werden, etwa die kurdische Presse.

Wohlgemerkt: Richter und Staatsanwälte haben jetzt viel größere Befugnisse als bisher. Sie können jederzeit Hausdurchsuchungen anordnen, ja selbst die Büros der Journalistenanwälte sind nicht vor solchen Razzien sicher. Um Leitungen anzuzapfen und Leute abzuhören, braucht es keinen richterlichen Beschluss mehr, die Staatsanwälte können das von sich aus verfügen. Viel hängt jetzt davon ab, ob die Opposition mit einer Stimme spricht und darauf drängt, dass wir zur Normalität zurückkehren. Uns stehen harte Zeiten bevor.

© SZ vom 29.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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