IS-Enthüllungsbuch:"Die Geheimdienste wollen lieber Whatsapp-Nachrichten lesen"

Souad Mekhennet Journalistin in der ARD Talkshow GÜNTHER JAUCH am 11 01 2015 in Berlin Thema der S

Die Journalistin Souad Mekhennet in einer Talkshow

(Foto: Müller-Stauffenberg/imago)

Die Journalistin Souad Mekhennet hat sich mit hochrangigen IS-Mitgliedern getroffen und gemerkt, wo es bei der Terrorbekämpfung noch hakt.

Interview von Hakan Tanriverdi

Seit dem 11. September 2001 berichtet Souad Mekhennet über islamistischen Terrorismus, inzwischen fest für die Washington Post. In ihrem neuen Buch Nur wenn du allein kommst erzählt sie von Wegen, die Menschen in den Dschihadismus führen, und wie man über den IS berichten kann.

SZ: Frau Mekhennet, wie verrückt muss man sein, um sich mit einem hochrangigen Mitglied des "Islamischen Staats" zu treffen, das zuständig gewesen ist für die Folter von Geiseln?

Souad Mekhennet: Sie sprechen von Abu Yusaf. Zum Zeitpunkt des Interviews wusste ich noch nicht, dass er diese Funktion innehatte. Das IS-Video, auf dem James Foley hingerichtet wurde, war ebenfalls noch nicht publik. Der IS veröffentlichte es drei Wochen später, am 19. August 2014.

Aber Sie wussten, dass der IS Geiseln hielt. Deutsche Polizisten hatten Sie gewarnt, dass es Pläne gab, Sie unter Vorwand eines Interviews in die Region zu locken, um Sie anschließend zu entführen.

Dazu muss man wissen: Das Interview fand ein paar Wochen nach der Ausrufung des sogenannten Kalifats statt. Keiner wusste, was der IS eigentlich vorhatte. Ich bin Fellow an verschiedenen Institutionen in den USA und führte auch Gespräche mit Politikberatern, die auch die Obama-Regierung berieten. Die äußerten die kuriosesten Ideen über den "Islamischen Staat".

Was denn zum Beispiel?

Einige Leute haben gedacht: "Sollen die halt ihr Kalifat haben. Wenn sie erst einmal regieren, werden sie schon von selbst eines Besseren belehrt." Das waren teilweise sehr naive Vorstellungen.

Also reisten Sie an die türkisch-syrische Grenze.

Wie alle anderen auch konnte ich nur analysieren, was der IS in sozialen Netzwerken von sich zeigte. Ich habe aber den Anspruch, von den Leuten selbst zu erfahren, wer sie sind und was sie eigentlich wollen. Unser Job ist es, mit allen Seiten zu reden. Dabei ist es egal, wie wir zu diesen Menschen stehen. Die Leser müssen die Chance haben, die Aussagen einer Person zu hören, die in dieser Gruppe aktiv ist - und in der Befehlskette eben nicht unten steht, sondern etwas zu sagen hat. Wer das Interview gelesen hat, konnte sehen, wohin die Reise geht.

Kurz vor dem anberaumten Treffen haben sich die Bedingungen plötzlich verändert.

Ja. Wir wollten uns tagsüber treffen, an einem Ort, wo viele Menschen sind. Stattdessen trafen wir uns kurz vor Mitternacht, in einem Auto. Ein Kollege von mir durfte nicht mit dabei sein. Ich habe mich dann dazu entschieden, dennoch hinzugehen. Hätte es das Foley-Video damals schon gegeben, hätten meine Redaktion und ich nicht zugestimmt, dass ich mich in das Auto setze.

Sie schreiben seit dem 11. September 2001 über islamistischen Terrorismus, treffen international gesuchte Verbrecher. Auch Geheimdienste interessieren sich für Ihre Arbeit.

Die wollen wissen, wo ich diese Leute treffe.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie in Nordafrika unter anderem auch von "hit teams" eines amerikanischen Geheimdienstes verfolgt wurden, als Sie 2008 den Anführer von al-Qaida im Maghreb besuchen wollten.

Die Dienste wollten wohl durch Journalisten an diesen Anführer rankommen. Wenn eine Drohne mal eine Rakete abfeuert, dann wäre ich wohl ein Kollateralschaden mehr oder weniger gewesen. Ich muss meinen Job aber ohnehin so erledigen, dass ich Geheimdienste nicht zu diesen Leuten führe.

Wie macht man das?

Das ist eine Herausforderung. Es gibt bestimmte Personen, mit denen ich nie über mein Handy telefonieren würde - und deren Nummer ich dort auch nicht eingespeichert habe. Im Fall von Jihadi John ...

... dem Schlächter des IS, Mohammed Emwazi, den Sie enttarnt haben.

Dafür musste ich mich mit einer Quelle treffen. Die übergab mir eine von ihnen ausgesuchte Sim-Karte, unter der mich dann jemand anrief. Ich muss manchmal die Spielregeln der Seite befolgen, mit der ich reden will, zumindest, was die Kommunikation angeht. Ich lasse mir aber nicht sagen, welche Fragen ich stellen darf und welche nicht.

"Ich schaute in den Spiegel und sagte: 'Egal, was passiert. Die werden dich nicht brechen.'"

Nach einem Einsatz in Ägypten landeten Sie 2011 im Foltergefängnis und dachten, dass Sie vergewaltigt werden.

Ja, ich war in einem komplett verdreckten Badezimmer, schaute in den Spiegel und sagte zu mir selbst: "Egal, was passiert, die werden dich nicht brechen. Es ist dein Körper, es ist nicht deine Seele."

Sind Sie eigentlich in psychologischer Beratung?

In Ägypten ist viel passiert. Kurz zuvor saßen wir auch eingekesselt in einem Auto, um uns herum ein wütender Mob, den ein deutsches Reporterteam vorher noch angestachelt hatte. Die Menschen waren bewaffnet mit langen Schwertern und Messern. Wir sind glimpflich davongekommen. Ich hatte jedenfalls Albträume nach Ägypten und mein damaliger Arbeitgeber, die New York Times, empfahl mir eine Person, mit der ich reden sollte. Ich beschrieb ihm also am Telefon die Symptome und fragte ihn, wie lange normal ist. Er sagte: fünf Wochen.

Hatte er recht?

Ja. Ich musste vieles verarbeiten, bin nach Marokko gefahren in ein Hotel auf einen Berg, der mein Zufluchtsort ist, habe Minztee getrunken und in den blauen Himmel geschaut. Den Zirkel durchbrochen hat für mich mein Kindle. Ich habe gesehen, dass meine Gefängniswärter einen Beziehungsratgeber für Single-Frauen durchgeblättert haben, den ich angefangen hatte zu lesen. Die waren wohl ganz enttäuscht, dass da nur Text drin war. Diese Vorstellung nahm mir die Angst vor diesen Menschen.

Leseprobe

Einen Auszug aus Mekhennets Buch stellt der Verlag auf seiner Homepage zur Verfügung.

Sie haben in Berlin auch mit Dennis Cuspert alias Deso Dogg geredet, nachdem er ein Dschihadist wurde. Was hat der Ihnen erzählt?

Er hat mir erzählt, dass er, bevor er sich für den Dschihadismus interessierte, versucht hat, mit Imamen zu reden und in Moscheen gegangen ist, um über die Themen zu diskutieren, die ihn beschäftigten. Dort wurde er weggeschickt, weil die Leute Angst hatten, dass ihnen vorgeworfen wird, Leute zu radikalisieren. Aber wenn niemand da ist, der mit diesen Leuten redet, bevor sie sich dem Dschihadismus anschließen, dann wird sich schon jemand finden, der genau diese Themen besetzt. Und das ist nicht die Gesellschaft. Das ist ein Teufelskreis, aus dem man nicht ausbrechen kann.

Cuspert sprach mit Ihnen auch über den Fall von Khaled el-Masri. Ein deutscher Bürger, den die CIA entführte und folterte, vermutlich aufgrund eines Rechtschreibfehlers.

Da war nicht nur die CIA beteiligt, und die Frage, wer in Deutschland wann und was gewusst hat, ist auch sehr interessant. An dem Tag im Jahr 2004, an dem el-Masri Kontakt zu mir aufnahm, ging der amerikanische Botschafter zum damaligen Innenminister Otto Schily (SPD), dem Parteigenossen vom damaligen Kanzleramtschef und heutigem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, und sagte: "Sorry, da ist uns ein Fehler unterlaufen".

Bis heute hat sich die CIA nicht bei el-Masri entschuldigt.

Solange wir nicht über die Fehler reden, die bei uns passieren, und Vorgänge bei uns und in der islamischen Welt mit zweierlei Maß messen, wird el-Masri von Rekrutierern als Beispiel angeführt werden. Die werden sagen: "Die Deutschen haben auch davon gewusst, keiner hat was unternommen, niemand hat sich bei ihm entschuldigt." Es ist wichtig, dass wir über diese Themen reden.

Was ist denn dran an Heuchelei-Vorwürfen?

Es geht nicht darum, wer Recht hat und wer Unrecht. Aber wenn ich mir anschaue, was Geheimdienste in den vergangenen Jahren in Sachen Terrorismusbekämpfung gefordert haben - mehr Befugnisse, mehr Zugänge - dann muss ich sagen: Seit all den Jahren sind sie nicht bereit, über die Punkte zu sprechen, die dazu führen, dass jemand sich für eine dieser Gruppen interessiert. Sie wollen lieber Whatsapp-Nachrichten lesen. Aber dann ist es schon zu spät, da haben die Rekrutierer sich diese Leute schon gekrallt und radikalisiert.

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