"Tatort" Konstanz:Bösartig in seiner Dämlichkeit

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"Ja, ist denn heut' schon Weihnachten?": Der SWR macht auf Beckenbauer, im November - das muss schiefgehen. (Foto: SWR/Johannes Krieg)

Die Kommissare Blum und Perlmann ermitteln in einer Weihnachtsfolge - am 1. November. Nicht der größte Irrsinn dieser Episode.

Von Holger Gertz

"Ja, ist denn heut' schon Weihnachten?", hat Beckenbauer in besseren Zeiten mal im Werbeblock gefragt, und die Verantwortlichen in der ARD geben in diesem Tatort eine Antwort. Ist zwar gerade erst November, aber sie lassen trotzdem ein paar Nikoläuse in tragenden Rollen auftreten, der Kalender ist ihnen nämlich totalabsolut wurscht. Neulich spielte derselbe Schauspieler in zwei Tatorten hintereinander die gleiche Rolle, einen Rassisten, und jetzt ist dann halt schon Heiligabend.

Frage an die Programmkoordination: Warum ist eigentlich der Tatort mit den Bad Easter Bunnies damals tatsächlich passend zu Ostern abgefeuert worden - das wäre doch in der inneren Logik der ARD eindeutig was für den Spätsommer gewesen.

Ein Weihnachtsmann erschlägt am Ufer des Bodensees eine junge Frau, deren Baby erfriert fast im Kinderwagen. Es stellt sich heraus, dass die Frau mit einer Obdachlosen-WG zu tun hatte, dort suchen die Kommissare Blum und Perlmann (Eva Mattes und Sebastian Bezzel) unter Pennern und Punks nach Mörder und Kindsvater. Ist aber schwierig, nicht nur weil die Obdachlosen sich gelegentlich als Weihnachtsmänner verkleiden, Affengeräusche machen und auf dem Weihnachtsmarkt für Orang-Utans (!) sammeln, das Geld wird natürlich versoffen. Ein Baby in diesem Ambiente "scheißt dreimal in die gleiche Windel", sagt einer, der dieselbe Windel meint - aber das ist auch schon wurscht.

Saufen, schreien, Weltschmerz haben

Ihren Körpergeruch verklären die Herren als "Duft der Freiheit" und verhalten sich auch sonst konsequent klischeegemäß. Saufen, schreien, Weltschmerz haben. Am Krankenbett des Kindes werden sie weich, und das ist die nächste Klischeenummer, weil am Kinderbett ja jeder weich wird. Wunderbarer Kontrast war vor Monaten die Episode "Borowski und der Himmel über Kiel", da waren die Crystal-Meth-Konsumenten abgedrehte Furien und vor Glück schwebende Teenager, aber auch immer wieder ganz normale Menschen. Die Ambivalenz machte die Geschichte so stark.

Die SWR-Folge "Côte d'Azur" von Regisseur Ed Herzog (Buch: Wolfgang Stauch) dagegen ist mit breitestem Pinsel gemalt. Der zynische Kinderarzt ist überzeichneter als die Kaputtniks draußen, aber es geht immer noch härter, man bräuchte Glühwein, um das durchzustehen. Der Musikproduzent Jürgen Evers - sie nennen ihn die Hitmaschine - sitzt rauchend am weißen Tannenbaum und redet steindummes Altmänner-Lebenskrisen-Zeug. Um ihn herum eine Horde Mädels in Minirock und Kniestrümpfen. Wenn er "husch husch" bellt, galoppieren alle davon.

Hugh Hefner goes Konschtanz? Das ist nicht albern, das ist bösartig in seiner Dämlichkeit.

Am Ende auch noch kräftig Pathos in die Fugen, natürlich der tatorttypische Monolog, der alles erklärt, und dann kommen wie im Bauerntheater alle noch mal auf die Bühne und singen "O du fröhliche". Welt ging verloren, Christ ward geboren. Am ersten Tag im November, im Ersten Deutschen Fernsehen. Kompletter, kompletter Irrsinn.

ARD, Sonntag 20.15 Uhr.

© SZ vom 31.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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