"Tatort" aus Bremen:Ein Film, den man nur sehr schwer aushalten kann

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Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) am Bett von Horst Claasen (Dieter Schaad), der seine pflegebedürftige Frau aus Verzweiflung getötet haben soll. (Foto: dpa)

Der "Tatort" aus Bremen erzählt eindringlich vom Drama um den Pflegenotstand. Und zoomt dabei ganz nah an den Wahnsinn heran.

Von Katharina Riehl

Tatort-Episoden mit starkem volkserzieherischen Impetus sind in dieser Kolumne schon oft abgewatscht worden, weil es nun einmal selten gut ausgeht, wenn eine Krimihandlung nur zu dem Zweck gebaut wird, eine pädagogisch wertvolle Botschaft unters Volk zu bringen. Der Fall aus Bremen von dieser Woche ist nun Beweis dieser Regel und Beweis des Gegenteils zugleich.

Der Film beginnt an einem leisen Morgen in der Wohnung des Ehepaars Claasen, alte Leute, um sie herum sorgsam drapierte Erinnerungen an gesündere und bessere Zeiten. Herr Claasen sitzt in seinem Sessel, dann erhebt er sich mühsam, geht ins Schlafzimmer, drückt seiner Frau ein Kissen ins Gesicht. Als er sicher ist, dass sie tot ist, will er sich selbst mit einer Handvoll Tabletten das Leben nehmen. Dann ruft er die Polizei, damit die Leichen schnell gefunden werden und der Hund - weder mit Lärm noch mit Gerüchen will Herr Claasen den Nachbarn nach seinem Tod zur Last fallen. Weil die Beamten zu schnell sind, überlebt der alte Herr, und Inga Lürsen (Sabine Postel) und ihr Kollege Stedefreund (Oliver Mommsen) ermitteln.

Die Kommissare sind in ihrem eigenen Film eher als Nebenrollen besetzt

"Im toten Winkel" (Buch: Katrin Bühlig; Regie: Philip Koch) ist ein Krimi über den Pflegenotstand, nicht der erste am Sonntagabend im Ersten. Lürsen und Stedefreund stoßen bei ihren Ermittlungen schnell auf einen Herren vom Medizinischen Dienst, und anhand von dessen Patientenliste wird der gesamte Wahnsinn der häuslichen Pflege so nah rangezoomt, dass man es beim Zusehen oft nur sehr schwer aushalten kann. Die Tochter, die seit vier Jahren die demente Mutter pflegt, und die für ihre Verzweiflung kein anderes Ventil hat als diese Mutter; der junge Ehemann mit dem Sohn, der seine Frau nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma zu Hause versorgt.

Der Film begegnet seinem Thema mit sehr großer Ernsthaftigkeit und gibt den einzelnen Geschichten so viel Raum, dass die Kommissare in ihrem eigenen Film eher als Nebenrollen besetzt sind. Aber am Ende ist "Im toten Winkel" dann eben doch ein Krimi, es muss einen Täter geben und somit einen Schuldigen am Leid dieser Menschen. Es muss zugunsten der Krimihandlung das Drama der häuslichen Pflege zu einem Verbrechen banalisiert werden.

Am Ende stehen Kommissarin Lürsen und ihre Tochter auf einem Dach und erklären dem Tatort-Zuschauer bei Dämmerlicht und mit feuchten Augen, wie man es zwischen Kindern und ihren alten Eltern zu halten habe. Wie fänden wir uns nur zurecht im Leben ohne unsere ARD?

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 10.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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