Serie: Wozu noch Journalismus? (5):Von Illner zu Illner

Unabhängiger Journalismus ist systemrelevant, findet ZDF-Moderatorin Maybrit Illner und befragt sich dazu gleich mal selbst.

Maybrit Illner

Wozu noch Journalismus? Die Ethik der Medienmacher ist in Gefahr: Journalisten werden zu Handlangern der Politiker, bloggen im Netz und werden durch Laien ersetzt. Wie ist der Journalismus zu retten - und wieso sollten wir das überhaupt tun? In dieser Serie - herausgegeben von Stephan Weichert und Leif Kramp - setzen sich angesehene Publizisten auf sueddeutsche.de mit dieser Frage auseinander. In dieser Folge befragt sich ZDF-Moderatorin Maybrit Illner zu ihren eigenen Erfahrungen im Qualitätsjournalismus.

Maybrit Illner, Foto: ZDF, Svea Pietschmann

Erfahrungen bei der Arbeit in den Öffentlich-Rechtlichen: Maybrit Illner

(Foto: Maybrit Illner, Fotos: AP, dpa, Grafik: sueddeutsche.de)

Maybrit Illner: Ich habe eine ganz einfache Frage, Frau Illner: Wozu brauchen wir eigentlich noch Journalismus?

Maybrit Illner: In meiner Sendung mag ich zwar gar nicht, wenn Gäste die Fragestellung in Frage stellen. Aber das ist keine einfache, sondern einfach eine unsinnige Frage. Ich habe lange genug in der DDR gelebt, um zu wissen: Es gibt keine freie Gesellschaft ohne freien Journalismus. Eigentlich geht es doch darum: Wie kann Journalismus unter extrem veränderten wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Bedingungen weiter seine Aufgabe erfüllen?

Illner: Und ich mag es nicht, wenn Interviewpartner sich selbst die Fragen stellen, die sie beantworten möchten. Weichen Sie also bitte nicht aus: Wozu brauchen wir noch Journalismus?

Illner: Okay, wenn Sie gespreizte Binsen mögen: Die Aufgabe des Journalisten ist es, Informationen zu sammeln, aufzubereiten, zu werten, verständlich zu vermitteln, damit die Menschen eine bessere Grundlage für ihre Entscheidungen haben - als Privatperson, Verbraucher und Steuerzahler.

Illner: Information und Orientierung findet man aber zum Beispiel auch in Blogs und sozialen Netzwerken ...

Illner: Das bestreitet ja auch niemand und das bereichert unser Leben an vielen Stellen sicher enorm. Aber Journalismus ist etwas anderes: ein Handwerk. Seine Grundlage ist die gründliche Recherche, die Informationen prüft und gewichtet und anschließend auch kommentiert.

Alle Blogs und digitalen Networks überlassen das Recherchieren den Profis, eben weil es einen Unterschied gibt zwischen Journalisten und dem sogenannten User. Oder wenn Sie ein Metapher wollen: Viele graben - und manche Hobby-Archäologen machen tolle Funde. Aber das ersetzt nicht die Archäologie als Wissenschaft.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Journalismus nicht nur nach den Prinzipien der Marktwirtschaft funktionieren darf.

Grundlage ist die materielle Unabhängigkeit

Illner: Auch Ämter, Unternehmen oder Parteien behaupten, dass sie informieren und kritisieren ...

Illner: Ja, aber der entscheidende Unterschied ist doch: Der Journalist bekommt Geld dafür, dass er schreibt, und nicht dafür, was er schreibt. Er ist frei, die Mächtigen in Politik und Wirtschaft zu kritisieren und sie so zu kontrollieren. Er ist unabhängig. Das ist der Unterschied zwischen Journalismus und PR.

Illner: Ja, Frau Illner, das klingt schön - in der Theorie. Aber mit solchen Sentenzen lassen Sie die Gäste in Ihrer Show doch auch nicht davonreiten. Wie sieht es in der Praxis aus?

Illner: Das wissen Sie doch selber: nicht so dolle. Deshalb habe ich eingangs schon auf die extrem veränderten Bedingungen hingewiesen. Und deshalb sag ich ganz banal: Die Grundlage des Journalistenberufs ist die materielle Unabhängigkeit. Ein Journalist, ob fest oder frei, der sich und seine Familie von seinem Beruf nicht ernähren kann, der muss ihn früher oder später aufgeben. So bitter das ist ...

Illner: Vielleicht haben Journalisten einfach zu hohe Ansprüche?

Illner: Ethisch können die Ansprüche gar nicht hoch genug sein. Aber auch Sie wissen: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral." Nehmen Sie die Kolleginnen und Kollegen von der taz: Sie machen einen Superjob und gelten seit Jahren als Beispiel dafür, mit wie wenig man auskommen kann, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen und man unabhängig schreiben kann. Aber auch dort werfen viele irgendwann das Handtuch. Journalismus als Hobby kann sich kaum einer leisten.

Illner: Vielleicht gibt es ja einfach zu viele Journalisten - schließlich regelt die Nachfrage den Preis ...

Illner: Ich dachte, das hätte ich schon gesagt ...

Illner: Ich hänge fasziniert an Ihren Lippen.

Illner: ... noch mal zum Mitschreiben. Ich glaube nicht, dass Journalismus nur nach den Prinzipien der Marktwirtschaft funktionieren darf. Und wenn man beobachtet, dass die Zahl der Menschen stetig abnimmt, die Vollzeit arbeiten und von ihrer journalistischen Arbeit leben können, dass auf der anderen Seite aber der Bedarf an Content - zum Beispiel in den Online-Medien - ständig zunimmt, dann passt das nicht zusammen. Wussten Sie, dass es in den USA schon lange und jetzt auch in Berlin mehr PR-Leute, Pressesprecher und Werber gibt als Journalisten?

Illner: Der Wirtschaft geht es eben nicht gut, warum soll es dem Journalismus besser gehen?

Illner: Natürlich sehe ich den Zusammenhang. Keine Frage, seit dem Platzen der sogenannten Internet-Blase stecken die Medien permanent in der Krise. Um sinkende Werbeeinnahmen zu kompensieren, werden Sendungen abgesetzt, Redaktionen aufgelöst, Arbeit verdichtet und Tarifverträge umgangen. Gut finde ich das überhaupt nicht. Ob diese Maßnahmen nämlich das Überleben einer Zeitung oder eines Senders sichern oder ob es doch eher um ein paar Prozentpünktchen mehr Rendite für Verleger und Aktionäre geht, das ist im Einzelfall schwer zu beurteilen. Die gewaltigen Renditeerwartungen der Finanzwelt haben die Geldgeber in der Medienwirtschaft jedenfalls nicht unbeeindruckt gelassen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum wir vielleicht doch öffentlich-rechtliche Internet-Plattformen als unabhängiges Medium brauchen.

GEZ-Gebühren gelten als uncool

Illner: Ich finde, Sie machen sich das ganz schön leicht. Sie kritisieren die ganze Zeit die kommerziellen Medien - warum reden Sie nicht auch über Ihre eigenen Probleme?

Illner: Dazu komme ich unbedingt noch, keine Sorge. Aber schauen wir noch ganz kurz auf den Kunden, den Leser oder Zuschauer. Der hat keineswegs weniger Lust auf Information und Unterhaltung. Nur nutzt er dafür zum Beispiel Internet und Handy. Journalisten könnten ihre Arbeiten auch auf diesen Wegen verbreiten. Das Problem ist nur, dass gerade junge "Nutzer" nicht dafür bezahlen wollen. Das höhlt die Wertschätzung für den Journalismus aus. Das Netz hat eine Gratismentalität geschaffen, an der bis jetzt jedes noch so clevere Gebührenmodell abprallt. Auf die Frage, wie Journalisten im Netz Geld verdienen sollen, möchte ich schon ganz gerne mal eine andere Antwort haben als: "Da werden Modelle entstehen, die wir uns heute nur noch nicht vorstellen können ..."

Illner: Ach, das find ich ja keck. Wollen Sie jetzt auch noch fürs Netz eine GEZ-Gebühr einführen?

Illner: Nein, das passt nicht zum Netz. Aber vielleicht sollte man trotzdem mal darüber reden, warum GEZ-Gebühren als total uncool gelten, während man für die Inhalte im Netz großzügig bezahlt - mit den intimsten persönlichen Daten ... Wie wär's denn mal mit einer Gegenfrage: Brauchen wir nicht bald öffentlich-rechtliche Internet-Plattformen als unabhängiges, verlässliches Medium, wo Journalisten verantwortlich für eine Nachricht sind und hinter einer Nachricht stehen?

Illner: Könnte es sein, dass es zur Berufskrankheit von Journalisten zählt, sich selbst zu wichtig zu nehmen? Müssten Journalisten die Gesellschaft nicht einfach durch gute Arbeit von ihrer Wichtigkeit überzeugen, als durch Jammern oder Betteln?

Illner: Jammern und Betteln hört sich anders an. Natürlich muss die Qualität stimmen. Aber der Umkehrschluss ist halt auch daneben: Nicht alles, was derzeit bedroht ist oder verschwindet, ist schlechter Journalismus. Im Gegenteil. Und Regisseure, Schauspieler oder Tänzer, denen die Bühnen geschlossen oder die Gelder wegrationalisiert werden, haben ihre Arbeitslosigkeit auch nicht zwangsläufig durch schlechte Arbeit verschuldet.

Illner: Okay, dann lassen wir das Thema materielle Unabhängigkeit. Darüber haben wir in der Tat lange genug geredet. Um die inhaltliche Unabhängigkeit der Journalisten machen Sie sich ja offenbar weniger Sorgen ...

Illner: Die wird in guten Verlagshäusern und Sendern schon deshalb gepflegt, weil davon die Glaubwürdigkeit der eigenen Marke abhängt - und damit auch ihr wirtschaftlicher Erfolg. Wo Mitarbeiter aber täglich mit Absetzung oder Entlassung rechnen müssen, rückt diese noble Haltung in den Hintergrund.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, ob Maybrit Illner selbst schon einmal eine Zensur durch Chefs erlebte.

Querköpfe und Freidenker

Illner: Aber bei Ihnen im Beamtenfernsehen ist alles in Ordnung - da unterliegt man keinen Zwängen und Abhängigkeiten ...

Illner: Ob Sie es mir glauben oder nicht - nach 17 Jahren persönlicher Erfahrung sage ich: Nein. Ich habe bis zum heutigen Tag noch nie Zensur durch meine Chefs erlebt. Das lässt mich unbedingt das öffentlich-rechtliche Fernsehen als einen Ort der Freiheit und Unabhängigkeit ansehen - und unsere Sendung ohnehin. Aber es gibt natürlich versuchte Einmischung von außen auf einen solchen Sender - durch Parteien, Verbände oder mächtige Einzelinteressen. Da muss jeder Kollege selbst mit seinem Bild im Spiegel fertig werden.

Wer durch Liebedienerei bestimmten Parteien oder Personen gegenüber seine Karriere zu fördern versucht, tut das absolut ohne Not und ist für mich kein Journalist. Darüber sollten Journalisten auch offen diskutieren. Da müssen deutlicher Grenzen gezogen werden ... Angeblich hat man sich früher ja in den öffentlich-rechtlichen Redaktionen die Parteibücher um die Ohren gehauen. Das habe ich nicht erlebt. In meinen Redaktionen, im Morgenmagazin oder bei unserer Polit-Talkshow, arbeite ich mit professionellen, unabhängigen Kollegen, Querköpfen und Freidenkern. Im Übrigen ist das Programm, das wir machen, der nachprüfbare Beleg für diese, meine Innensicht.

Illner: Na prima, Frau Illner, willkommen in der heilen Welt! Aber war da nicht gerade was mit Ihrem Chefredakteur?

Illner: Das war alles andere als schön. Wir leben eben nicht in einer heilen Welt. Dass es immer wieder Druck aus Parteien und Gremien gibt, ändert nichts daran, dass öffentlich-rechtliches Fernsehen kein Staatsfernsehen ist und werden darf. Die Idee, dass auch die journalistischen "Kontrolleure" kontrolliert werden, ist richtig. Das ist die Aufgabe der Öffentlichkeit, ihrer Vertreter in den Gremien, der kritischen Medienjournalisten und vor allem der Zuschauer. Das Internet bietet hier übrigens hervorragende Möglichkeiten. Es wäre gut, wenn dieser jüngste Fall dafür sorgen würde, dass die Strukturen überdacht werden. Wie das genau geschehen kann, ist kompliziert. Das Prinzip aber ist einfach: Auch in den Aufsichtsgremien braucht es eben mehr unabhängige Personen.

Illner: Und die Erde ist eine Scheibe ...

Illner: Nee, unabhängige Journalisten gibt es zum Glück noch viele - in Zeitungen, Verlagen, Sendern und Online-Plattformen. Aber wie lange es sie noch gibt, das ist eine offene Frage. In den USA erleben wir ein Massensterben von Qualitätsmedien (vor allem Zeitungen), in Frankreich stützt der Staat Zeitungen und Online-Medien mit Milliarden. Für das Überleben des Journalismus müssen wir auch über Lösungen nachdenken, die zwischen Markt und Staat funktionieren. Denn nicht nur Banken sind systemrelevant. Der unabhängige Journalismus ist es auch.

Illner: Frau Illner, ich danke Ihnen für dieses Selbstgespräch.

Maybrit Illner, Jahrgang 1965, ist Journalistin und Moderatorin. Sie begann ihre Karriere in der Sportredaktion des DDR-Fernsehens. Acht Jahre lang moderierte sie das ZDF-Morgenmagazin. Seit 1999 ist sie das Gesicht des Polit-Talks im ZDF.

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