Serie "Jerks":Christian Ulmen testet die Geschmacksgrenzen des Publikums

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Die Hauptfiguren Fahri Yardim und Christian Ulmen, glaubwürdig gespielt von: Fahri Yardim und Christian Ulmen. (Foto: Andre Kowalski/obs)

In der fantastischen Serie "Jerks" spielen er und Fahri Yardim sich selbst. Vieles ist dabei improvisiert, sensationell politisch unkorrekt - und wunderbar peinlich.

Von Johanna Adorján

Was haben zuletzt alle geguckt? Stranger Things, diese Netflix-Serie, die alle von Winona Ryder und den Achtzigerjahren träumen ließ und die um die Vierzigjährigen von ihrer eigenen Kindheit. Dann Designated Survivor, in dem Kiefer Sutherland einen amerikanischen Kongressabgeordneten spielt, der, nachdem die gesamte politische Klasse Washingtons bei einem Terroranschlag ums Leben kommt, plötzlich Präsident wird. Die vorerst letzte Folge endete mit einem Cliffhanger, von dem man sich erst einmal erholen musste. Aber was jetzt? Der Winter ist noch nicht einmal halb um, was könnte man als Nächstes schauen?

Es geht um die Angst vor Hodenkrebs und den richtigen Umgang mit Behinderten

Von diesem Donnerstag an gibt es Jerks, die erste deutsche Serie, die man nach amerikanischem Vorbild hintereinanderweg online streamen kann. VoD heißt das Prinzip, Video-on-Demand, und sie wird auf Maxdome zu finden sein, das ist das Videoportal des Medienunternehmens Pro Sieben Sat 1, das gern ein deutsches Netflix wäre, wenn es Netflix in Deutschland nicht längst gäbe. Das Rennen um die erste deutsche Streaming-Serie hat Maxdome jedenfalls hiermit gewonnen, vor Netflix und Amazon. Und wem das alles zu kompliziert klingt, der kann auch einfach bis zum 21. Februar warten, dann läuft die Serie ganz herkömmlich einmal die Woche auf Pro Sieben (dienstags, 23.15 Uhr). Vorab schon mal dies: Sie ist fantastisch.

Sie handelt von zwei Männern um die 40, die miteinander befreundet sind und versuchen, die Schwierigkeiten, die das moderne Leben so mit sich bringt, mit möglichst wenig Aufwand zu meistern. Ganz normale Typen also, ein bisschen feige, egoistisch und exakt so unaufrichtig, wie es für sie jeweils von Vorteil ist, trotz allem aber insgesamt sehr liebenswert und manchmal sogar rührend in ihrer sehr heutigen männlichen Hilflosigkeit, in der so viel von der trotzigen Weigerung steckt, erwachsen zu sein. Der eine hat eine Freundin mit bislang unerfülltem Kinderwunsch und zwei Kinder mit seiner Exfrau; der andere möchte partout kein Kind, auch wenn seine Freundin ihm das nicht ganz zu glauben scheint.

Es geht um Patchworkfamilien-Probleme, das ewige Faszinosum weiblicher Orgasmen, die Angst vor Hodenkrebs, um den richtigen Umgang mit Behinderten, das schlechte Gewissen, politisch unkorrekte Dinge zu denken und brutale Eifersucht auf einen 12-Jährigen. Ach, und die Hauptfigur ist ein erfolgreicher deutscher Schauspieler namens Christian Ulmen, bekannt etwa aus dem Kinofilm Maria, ihm schmeckt's nicht. Sein Freund ist ebenfalls ein erfolgreicher Schauspieler, Fahri Yardim, er spielt im Til-Schweiger- Tatort mit. Sie werden sehr überzeugend von Christian Ulmen und Fahri Yardim gespielt.

Jerks ist eine sehr freie Adaption einer dänischen Fernsehserie namens Klovn (Clown), die von zwei bekannten dänischen Comedians handelte, die sich darin selbst spielten. Als deren Vorbild wiederum muss natürlich Curb Your Enthusiasm von, mit und über Larry David gelten, die als erste komödiantische Serie damit spielte, die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation zu sprengen, ein Konzept, das in Deutschland etwa auch Bastian Pastewka für seine Serie Pastewka übernahm. Christian Ulmen führte bei Jerks zum ersten Mal auch Regie, was ihm, wie er am Telefon erzählt, ermöglicht habe, einfach alles wegzulassen, was ihn normalerweise an Dreharbeiten stört: Proben, Text, Licht mitsamt Lichtumbauten, gedreht wurde einfach nur tagsüber, Feierabend war pünktlich um 18 Uhr, was die Gesamtlaune aller Mitwirkenden extrem positiv beeinflusst habe.

Die Serie hält den Zuschauer nicht für blöder als sich selbst und ist wahnsinnig gut gemacht

Die Dialoge wurden improvisiert, vorgegeben war immer nur der jeweilige Konflikt, um den es in der Szene gehen sollte und wie diese enden soll. Etwa: Die Frauen besuchen einen Masturbationskurs, die Männer spionieren ihnen hinterher und werden dabei erwischt. Wie genau sich das entwickelte, lag dann in der Verantwortung der Schauspieler.

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Und die sind alle hinreißend: Christian Ulmen spielt Christian Ulmen aufrichtig unschuldig von einem Schlamassel in den nächsten stolpernd, Fahri Yardim ist immer genau einen Hauch charmanter, als er unmöglich ist. Ihre jeweiligen Freundinnen Emily (Cox) und Pheline (Roggan) sind glaubwürdig genervt und eigenständig genug, ebenfalls Hauptrollen zu sein. Ulmens Exfrau in der Serie wird in einer Art achtzigfachen Ironie von Ulmens Ehefrau im richtigen Leben gespielt, Collien Fernandes, und zwar so echt, dass man versucht ist, schnell zu googlen, ob die beiden am Ende nicht vielleicht inzwischen auch im wirklichen Leben getrennt sind (nein).

In Gast-Cameo-Auftritten tauchen die Rapper Kay One und Sido auf sowie der früher mal sehr bekannte Moderator Karsten Speck, der in der Serien-Fiktion inzwischen als Arzt in einer Samenbank wieder Fuß gefasst hat. Ralph Herforth hat einen fulminanten Auftritt als Befürworter von Heroin als Partydroge; Nora Tschirner wirft ihrem Kollegen Christian Ulmen vor, seine künstlerischen Ideale verraten zu haben und sich in Mainstream-Komödien selbst zu verkaufen. (Er habe Familie, er habe Zwänge, verteidigt sich Ulmen sichtlich verunsichert.) Sogar die Kinder sind so gut und natürlich, wie man es sonst im Film eigentlich nur von amerikanischen Kindern kennt.

Das Wichtigste: Diese Serie hält den Zuschauer nicht für blöder als sich selbst

Die einzelnen Folgen sind Etüden über Peinlichkeit und das Bewahren von Würde in würdelosen Situationen. Die Figuren, allen voran Ulmen und Yardim, sprechen immer genau das aus, was man gemeinhin nicht sagt, auch wenn dadurch nicht verhindert werden kann, dass man es denkt. Es ist also sensationell politisch inkorrekt. Oder sagen wir, die Grenzen des sogenannten guten Geschmacks werden durch Jerks extrem erweitert.

Und es ist wahnsinnig gut gemacht: Pro Folge gibt es zwei Handlungsstränge, die sich gegen Ende unverkrampft miteinander verknüpfen. Schnelle Schnitte erzeugen Spannung, einen Sog, den die Musik, ein an den Kinofilm Birdman erinnerndes Schlagzeug, unterstützt. Aber das Wichtigste: Diese Serie hält den Zuschauer nicht für blöder als sich selbst. Sie ist auf Augenhöhe gemacht. Ohne Rücksichtnahme darauf, ob irgendetwas vielleicht falsch ankommen könnte. Nichts wird entschuldigt oder beschönigt, nichts einmal zu oft erklärt oder vorsichtshalber mit ironischem Spaßmacher-Zwinkern versehen. Wenn etwas nun mal leider richtig lustig ist, so die unausgesprochene Vereinbarung zwischen dieser Serie und ihren Zuschauern, wird schon jeder selber wissen, über welche innere Bedenken er da gerade hinweglacht. Das macht so einen Spaß.

Jerks , abrufbar auf Maxdome* und Joyn*

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© SZ vom 26.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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