Rückzug von der "Daily Show":Wie mir Jon Stewart die USA erklärte

Jon Stewart verlässt die Daily Show

Welterklärer trifft US-Präsident: Jon Stewart interviewt in der "Daily Show" Barack Obama.

(Foto: AFP)

Schrille Fox-News-Kommentatoren, überforderte Politiker, korrupte Lobbyisten: Jon Stewart arbeitete sich 16 Jahre lang an Amerika ab. Wer dieses absurde und großartige Land verstehen will, für den ist die "Daily Show" unverzichtbar.

Von Matthias Kolb, Washington

Eric war mein erster Mitbewohner, als ich Anfang 2012 nach Washington zog. Ich schrieb für SZ.de über den Präsidentschaftswahlkampf und Eric wurde als "Presidential Management Fellow" in diversen US-Ministerien ausgebildet. Eric hatte zwei Abschlüsse von Elite-Unis und zockte in seiner Freizeit Computerspiele im Wohnzimmer. Bücher oder Zeitungen las er nie, doch jeden Abend um 23 Uhr schaltete er auf Comedy Central.

Dann erschien Jon Stewart auf dem Bildschirm und erklärte mir, Eric und Millionen anderen Zuschauern die Welt im Allgemeinen und Amerika im Besonderen. Täglich die Washington Post und die New York Times zu lesen, das taten nur Journalisten. Den meisten jungen Amerikanern wie Eric genügte es, von Montag bis Donnerstag erst die Daily Show von Jon Stewart und anschließend The Colbert Report zu gucken. Die beiden sortierten all die absurd-übertriebenen Meldungen der Kabelsender und spotteten über die seltsamsten Wortmeldungen von Politikern.

Während Stephen Colbert mit seiner Kunstfigur als konservativer Talkshow-Moderator die Originale von Fox News zu überbieten versuchte und so ihre hohlen Argumente offenlegte, blieb Jon Stewart immer er selbst. Er war auch in der Daily Show ein überzeugter, liberaler Jude aus New Jersey, der an das gute Amerika glaubt und am Irrsinn der alltäglichen Politik verzweifelt. Gewiss: Stewart war ironisch, aber hinter all seinen Witzen war seine Haltung stets erkennbar.

Auch Konservative schätzen seine Integrität

Kein Wunder, dass er von Obama-Fans wie Eric und von Europäern wie mir verehrt wurde. 2009 wurde er sogar - wenn auch "nur" in einer Online-Umfrage - zum glaubwürdigsten US-Journalisten gewählt; ein Jahr später landete sein Buch "Earth (The Book): A Visitor's Guide to the Human Race" auf der Bestseller-Liste - und in Erics Schrank.

Doch Jon Stewart hat auch zahlreiche konservative Fans. Im Oktober 2012, wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl, forderte Stewart die Fox-News-Ikone Bill O'Reilly zum TV-Duell "The Rumble in the Air-Conditioned Auditorium" heraus. In der Schlange vor der Halle der George Washington University standen mindestens 20 College Republicans, die mir mit leuchtenden Augen von Stewart und Colbert vorschwärmten und Witze der vergangenen Sendungen zitierten.

Natürlich wissen sie, dass Stewart meist konservative Politiker bloßstellt und Bill O'Reilly als "Bürgermeister von Bullshit-Mountain" verspottet, doch trotzdem zweifelt niemand von ihnen seine Integrität an. Der Grund: Auch diese jungen Republikaner greifen sich wohl an den Kopf, wenn Republikaner aus der Provinz Obama als Kommunisten bezeichnen oder gegen die Homo-Ehe wettern. Die meisten jungen Konservativen wollen zwar weiterhin den Staat zurückdrängen und Steuern senken, doch sie haben kein Problem damit, dass Schwule und Lesben heiraten. Über diese Tendenzen hatte ich zuvor mehrfach gelesen, doch die Gespräche mit Stewarts konservativen Fans haben mir erneut gezeigt, dass Amerikas Gesellschaft komplexer und vielschichtiger ist, als man es von Europa aus wahrhaben will.

Mike Huckabee, Hillary Clinton, Malala - alle waren da

Und man konnte noch viel mehr lernen bei Jon Stewart. Egal ob Mike Huckabee oder Marco Rubio, die neue liberale Heldin Elizabeth Warren, Statistik-Guru Nate Silver oder Nobelpreisträgerin Malala Yousafzai: Sie alle kamen zu Interviews in das New Yorker Studio der Daily Show.

Stewart war stets gut vorbereitet, schlagfertig und respektvoll, so dass er auch Hillary Clinton aus der Reserve locken konnte.

Stewart sucht neue Herausforderungen

Jetzt, wo Stewart seinen Rückzug von der Daily Show bis zum Jahresende angekündigt hat, ist es natürlich verführerisch, sein Auftreten der vergangenen Wochen und Monate entsprechend zu deuten. In diversen Interviews (etwa mit Teri Gross von NPR) hat Stewart offen darüber gesprochen, dass er ans Aufhören denkt. Sein Filmdebüt "Rosewater" über einen iranisch-kanadischen Journalisten, der in Iran gefoltert wurde, ließ erahnen, dass er neue Herausforderungen sucht.

Und selten wirkte Stewart fassungsloser und frustrierter als in seiner Reaktion auf die Polizeibrutalität, die zum Tod von Michael Brown in Ferguson und Eric Garner auf Staten Island führte: "Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Ich brauche mehr Zeit, um das zu verarbeiten."

Episoden wie diese über "We can't breathe" zeigen, dass The Daily Show auch im 16. Jahr noch immer wichtig und relevant und lustig ist. Der Gedanke, dass 2016 die Welt und Amerika möglicherweise eine Neuauflage des Duells Clinton vs. Bush erlebt und Jon Stewart dies nicht mehr mit beißendem Spott begleitet, macht mich traurig. Und ich bin mir sicher, dass es Eric, meinem Ex-Mitbewohner, ganz ähnlich geht wie mir.

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