Radiofeature über Spitzelwesen:Mit dem Ohr an der Türe des Geheimdienstes

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Anhand von Originalmaterialien dokumentiert das Radiofeature "Genosse V-Mann, Kamerad Quelle" spannend und authentisch die Abgründe des deutschen Verfassungsschutzes. Darunter sind auch unveröffentlichte Bänder eines V-Mannes.

Annette Ramelsberger

Günter X. klingt nicht unsympathisch. Eine dunkle, etwas gepresste Stimme mit süddeutschem Einschlag. Gewählte Worte, geübt im Beschreiben. Wenn er seine Beobachtungen in das Diktiergerät spricht, dann hört man zwar ein paar Mikrokratzer, aber keinen Belastungseifer, keinen Verfolgungswahn, nur die bürokratische Detailgenauigkeit: "Ein anwesender junger Mann, mittlere Größe, keine Brille, schlank, hellbraune, mittelkurze Haare ..."

Dauerdiskussion um V-Mann-Einsatz: Der Vorsitzende im NSU-Untersuchungsausschuss, Sebastian Edathy (SPD). (Foto: dpa)

Nichts Besonderes, und doch ist das etwas sehr Besonderes. Es sind Berichte aus dem Innenleben des Spitzelwesens, die sonst nur Polizei und Verfassungsschutz zu hören bekommen. Ein Glücksfall der Recherche, ein Glücksfall des Radios: Dem Autor Ulrich Chaussy sind die Bänder des V-Mannes Günter X. in die Hände gefallen, sie wurden bei der Wohnungsauflösung nach dessen Tod gefunden. Günter X. ist im Frühjahr gestorben - als hoch geschätztes Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die ihm eine ehrenvolle Trauerfeier ausrichtete. Aber auch als hoch geschätzter V-Mann des Bayerischen Verfassungsschutzes, für den er jahrelang die eigenen Leute ausgespäht hatte.

Chaussy macht sich immer wieder auf in jene Zwischenwelten, die nicht von Schwarz und Weiß, sondern von den Grautönen leben: Er hat in seinem Buch über das Oktoberfestattentat die rechtsradikalen Hintergründe besser aufgeklärt als Polizeiberichte dazu. In seiner Rudi-Dutschke-Biografie hat er die neonazistischen Verstrickungen des Attentäters durchleuchtet.

Frage nach "dem großen Bumm"

Chaussy ist beim BR der Mann für die Tiefenrecherche. In dem ARD-Radiofeature Genosse V-Mann, Kamerad Quelle ist ihm ein fesselnder Blick in die Abgründe staatlichen Spitzelns gelungen. Oft fühlt sich der Hörer, als presse er gerade verbotenerweise sein Ohr an die Tür des Geheimdienstes - und das, obwohl nichts nachgespielt wird. Dieses Feature ist kein Dokudrama, es liefert nur journalistische Recherche, aber das so spannend, so authentisch, dass man atemlos zuhört. Plötzlich gewinnt die Diskussion um den V-Mann-Einsatz rund um die rechtsradikale Zwickauer Zelle eine historische Dimension.

Denn Chaussy spürt den französischen Spitzel auf, der den Rechtsradikalen Martin Wiese begleitete, als der einen Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegung für das jüdische Gemeindezentrum in München plante. Und er problematisiert, ob Wiese oder nicht doch eher der Spitzel die Frage nach "dem großen Bumm" stellte. Chaussy spricht mit dem Politologen Tilman Fichter und dessen jüngerem Bruder Albert, der in den 60er Jahren als Verbündeter der Palästinenser einen Sprengsatz im jüdischen Gemeindehaus von Westberlin deponiert hatte - den Brandsatz hatte ein V-Mann geliefert, Peter Urbach, der im Auftrag der Sicherheitsbehörden die linke Studentenszene in Berlin ausspähte. Fichter erzählt, wie Urbach ihn auch animieren wollte, einen Brandsatz ins Gebäude des Alliierten Kontrollrats in Berlin zu werfen. Und Urbach war es auch, der dem APO-Anwalt Horst Mahler eine Pistole verschaffte. Die Spitzel-Karriere ging erst zu Ende, als Urbach vor Gericht als Zeuge im Fall Mahler aussagen musste. Da war er verbrannt.

Was Chaussy von V-Männern hält, machen diese Abgründe deutlich. Deswegen hätte er sich die letzten drei Minuten sparen können, in denen ein ehemaliger Verfassungsrichter quasi stellvertretend für den Autor sagt, dass nicht V-Leute gegen Extremismus helfen, sondern nur eine gerechtere Gesellschaft. Das ist so eindimensional, dass es den 50 Minuten davor nicht gerecht wird.

Genosse V-Mann, Kamerad Quelle , SWR2, Mittwoch, 22:05 Uhr; SR 2 KulturRadio, 29. September, 9:05 Uhr; Bayern 2, 29. September, 13:05 Uhr und 30. September, 21:03 Uhr; Nordwestradio (RB), 30. September, 9:05 Uhr; NDR Info, 30. September, 11:05 Uhr; WDR 5, 30. September, 11:05 Uhr und 1. Oktober, 20:05 Uhr; hr2-Kultur, 30. September, 18:05 Uhr.

© SZ vom 25.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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