Nebendarsteller:Martin Brambach: Der Mann in der zweiten Reihe

Die Stadt und die Macht

Brambach als genialisch überdrehter, Thomas Bernhard zitierender Wahlkampfberater Lassnitz in "Die Stadt und die Macht".

(Foto: ARD/Frédéric Batier)

Man kennt diesen Typen, weil man ihm so oft schon begegnet ist: Martin Brambach spielt selten Hauptrollen. Trotzdem prägt er Filme - und jetzt auch den "Tatort".

Porträt von Hans Hoff

Martin Brambach sitzt in Caspers Café in Recklinghausen, der kleinen Stadt im Norden des Ruhrgebiets. Renate Künast, Ralf Möller und Hape Kerkeling wurden hier geboren, hier im Abseits. Recklinghausen hat noch kaum je eine Hauptrolle im Ruhrgebiet gespielt. Recklinghausen war stets ein geachteter Nebendarsteller. Das passt zu Martin Brambach.

Den könnte man in Caspers Café leicht übersehen zwischen all den plauschenden Damen, die hier ihre Mittagszeit verbringen. Brambach fällt nicht weiter auf. Er sitzt da mit einem verspäteten Frühstück und erweckt mit seinem schütteren, leicht verwilderten Resthaar sofort ein Gefühl der Vertrautheit. Man kennt diesen Typen, weil man ihm so oft schon begegnet ist. So einen würde man auf der Straße vorsichtshalber grüßen und sagen: "Das ist doch der, der Dings, na, wie heißt er noch gleich?"

Martin Brambach heißt er. Er ist Nebendarsteller. Vielleicht ist er inzwischen sogar der bekannteste Nebendarsteller in der Fernsehrepublik. In der Miniserie Die Stadt und die Macht war er der leicht überdrehte Wahlkampfberater der Hauptfigur, im Film Der Fall Barschel spielte er den dubiosen Medienreferenten Reiner Pfeiffer. Gerade gab er neben Natalia Wörner wieder den Kommissar Brauner im ZDF-Montagskrimi; außerdem dreht er für die ARD jetzt auch an der neuen sechsteiligen TV-Serie Frau Temme sucht das Glück; darin spielt er einen manisch veranlagten Versicherungschef. In Krimis und auch sonst ist Brambach oft der Zuarbeiter. Der mit den Fragezeichen im Gesicht.

Der knorrige Kommissariatsleiter vom alten ostdeutschen Schlag

Das wird auch von 6. März erst einmal so sein, wenn er ein klein wenig aus dem zweiten Glied heraustritt und im neuen Dresdner Tatort den beiden fortschrittlich weiblichen Hauptfiguren den knorrigen Kommissariatsleiter vom alten ostdeutschen Schlag gegenüberstellt. Brambach liefert dann das Kontrastmittel, das die Profile der anderen hervorhebt.

"Ich krieg ja nicht so oft Hauptrollen angeboten", sagt er ganz ohne Beschwerde in der Stimme. Brambach hat die Tugend aus der Not gezogen. "Es gibt Nebenrollen, die dankbarer sind als Hauptrollen", sagt er und beschreibt dann seine Abhängigkeit von den anderen. "Glück ist, wenn die Kollegen Raum geben."

Ganz offensichtlich geben die Kollegen immer mehr Raum, wohl auch, weil sie verstanden haben, dass es auch ihre Rolle aufwertet, wenn Brambach glänzen darf. Wobei glänzen vielleicht das falsche Wort ist. Brambach spielt vorzugsweise diese eher glanzlosen Typen. Auf sein Gesicht lässt sich ungeheuer viel Durchschnitt projizieren. Brambach ist so etwas wie die ideale Benutzeroberfläche. So einen braucht eigentlich jeder Film, einen, der laut Pass erst 48 Jahre ist, aber auf Wunsch viel älter wirken kann. In Brambachs Gesicht spiegelt sich gerne mal die Last des Alltags.

Jan Josef Liefers ist sein Stiefbruder, erst spät trafen sie sich

Vielleicht hat das zu tun mit seiner langen Geschichte. In Dresden wurde er geboren, in Berlin ist er aufgewachsen. Der Mann seiner Mutter war Karlheinz Liefers, der Vater des inzwischen berühmten Jan Josef. Darüber sprach man in der Familie nicht. Erst spät konnten sich die Stiefbrüder treffen. "Wir haben nicht wirklich eine Geschichte miteinander", sagt Brambach. Erst als Liefers auf die Schauspielschule ging, hängte sich die Verwandtschaft an seinen Rockzipfel. "Da bin ich ihm ziemlich auf den Keks gegangen", sagt Brambach.

Schauspielerei, das war sein Ding. Schauspielschule nicht so. Auf die Bühne kam er trotzdem. Er spielte in Bochum, in Köln, in Wien und in Berlin. Lange hat er Theater gespielt, aber irgendwann ließ das schmale Einheitssalär an der Berliner Schaubühne keine Zukunft mehr erhoffen. "Ich hatte bei drei Banken Schulden", erinnert sich Brambach. Also sagte er dem Theater Adieu und heuerte beim Fernsehen an: "Ich habe erst einmal alles gemacht, ohne Berührungsängste".

Ausgerechnet bei der Soko Wismar, der schlechtesten aller Soko-Ausdünstungen des ZDF, landete er. Aber auch das war gut für ihn, weil er das mit dem Fernsehen anfangs noch nichts so richtig drauf hatte. "Ich fand mich oft erschreckend. Ich spielte Theater vor der Kamera", urteilt er im Rückblick.

"Ich begreife mich als Künstler. Ich male live ein Bild"

Inzwischen hat sich das gebessert, was vor allem wohl Brambachs Perfektionsdrang zu verdanken ist. Wenn er eine Rolle annimmt, dann verschreibt er sich deren Charakter und möchte sich unbedingt auch an deren Ausgestaltung beteiligen. Nicht jeden Regisseur freut das. Brambach ist das egal. Man kauft ihn so ein, wie er ist, oder eben nicht. "Ich habe 1000 Ideen am Drehort, und ich muss die aussprechen, sonst bin ich unglücklich", sagt er. "Ich begreife mich als Künstler. Ich male live ein Bild."

Ohne Perfektion geht es für ihn nicht. Auch wenn es manchmal mühsam ist. "Es gibt Sätze, die muss ich 500 Mal sprechen, um rauszukriegen, dass sie nicht funktionieren", sagt er. Und wenn dann gedreht wurde, findet er noch immer keine Ruhe. "Ich lese am Abend das ganze Buch nochmal, um zu sehen, ob das stimmt, was ich gespielt habe." "Der Beruf ist wie Jazz", sagt er: "Das hat ganz viel mit Musik zu tun." Aber es ist wie beim Jazz, es geht auch um Können. Man muss beherrschen, was man verändern will.

Kürzlich erst wieder war seine Kunst der spontanen Enwicklung gefragt. Nach dem Vorbild des Improvisationsfilms Altersglühen hat er mit Regisseur Jan Georg Schütte Wellness für Paare gedreht. Genau 48 Stunden dauerten die Dreharbeiten, bei denen 20 Kameras fünf Paare verfolgten, die zusätzlich zu den üblichen Anwendungen auch noch Paar-Therapie-Sitzungen bekamen - ohne dass einer der Schauspieler wusste, was dabei so zur Sprache kommen würde.

"Ich hatte ein ganz doofes Gefühl, weil ich mich nicht vorbereiten konnte", berichtet Brambach. Aber das änderte sich mit dem Rotlicht der Kamera. "Am nächsten Tag ist es nur so aus mir herausgesprudelt", erzählt er. Das hat nicht allen gefallen. "Du machst alles kaputt", hat ihm jemand vorgeworfen, aber Brambach hatte die perfekte Entgegnung: "Das bin nicht ich - das ist die Figur."

In Recklinghausen tragen viele ein Allerweltsgesicht wie er

Vielleicht ist genau das seine große Qualität. Dass er sich selbst verlässt, um jemand anders zu sein. Dass er nicht einfach nur spielt, anknipst und wieder ausknipst, dass er vielmehr komplett in jemand anderen hineinzuschlüpfen versteht.

Auch in Recklinghausen ist er hineingeschlüpft und lobt die kleine Stadt. Seine Frau, die Schauspielerin Christine Sommer, hat er bei der Arbeit kennengelernt, und sie wohnte halt in Recklinghausen. Hier lebt Brambach nun seit 13 Jahren, hier hat er Wurzeln geschlagen, hier tragen viele ein Allerweltsgesicht wie er. Hier ist Brambach aber auch sichtbar. Vier Schirmherrschaften hat er übernommen, für Flüchtlinge, für ökologische Belange und für ein Kinderhospiz setzt er sich ein und nimmt dafür sogar in Kauf, dass er öfter als ihm lieb ist, erkannt wird.

"So absurd es mir erscheint, wenn mich die Leute auf der Straße ansprechen, so hilfreich ist es, wenn ich mit der Prominenz etwas bewirken kann", sagt er, aber ein bisschen wundert es ihn immer noch, dass die Menschen ihn sehen wollen, ihn, der kein Abitur hat und es nur kurz auf der Schauspielschule aushielt. "Ich kann gar nichts", sagt er und grinst, was einen unweigerlich an eine dieser höchst erstaunlichen Brambach-Nebenfiguren erinnert. Natürlich kann er was.

Das Rührei ist gegessen, das Leben erklärt, und nun muss er mit dem kleinen Sohn zum Zahnarzt.

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