Neue Dokus im TV:Deutschland, deine Glitzerwelt

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Ein Playmate und ein ehemaliger Bundeswehr-Ausbilder wollen sich und ihre vierjährige Tochter auf schwäbische Art ins Glamourleben hieven, während die Nachkommen des deutschen Kaisers aus ihrem immer noch anstrengenden Alltag zu berichten wissen: Nach Olympia und in der Sommerpause hat das TV vor allem neue Dokus zu bieten. Das ist nicht immer schön.

Ruth Schneeberger

Deutschland ist nicht gerade bekannt für übermäßigen Glamour. Hier gibt es Bodenständigkeit statt Leichtigkeit, Klöße und Bier anstatt Garnelenschwänzen mit Champagner, wir haben Landwirtschaft und Präzisionsarbeit anstelle von französischem Laissez-faire oder amerikanischem Showbiz. Und doch: So ganz können es weder die Macher von RTL 2 noch die des Zweiten Deutschen Fernsehens lassen, einem leichten Glitzern nachzuspüren, das auch durch deutsche Lande wehen soll.

Bitte lächeln: Mia Gray mit Mann Oliver und Tochter Chanel posieren im Stroh. Was sonst? (Foto: RTL 2)

Vermeintlich fündig wurden sie in zwei neuen Dokus, die an diesem Montag und Dienstag anlaufen, wobei sowohl das angesprochene Publikum als auch die Protagonisten unterschiedlicher kaum sein könnten: Die Doku "Mia Gray und die Modelmacher" (Montagabend um 22:10 Uhr auf RTL 2) dreht sich um ein Playmate und ihren frisch angetrauten Ehemann, der sich als ihr Manager versucht und die vierjährige Tochter und ein paar Möchtegern-Models und seine Freunde auch gleich mitvermarkten möchte. In der Doku "Der deutsche Adel" geht es am Dienstag, 14. August, und am Dienstag, 28. August, um jeweils 20:15 Uhr im ZDF um die Nachkommen des deutschen Kaisers und weitere Fürsten, Grafen, Barone und Adelsfamilien, die lange nach dem Ende der Monarchie immer noch am liebsten unter sich bleiben würden - zumindest, was das Heiraten angeht.

Zwei Seiten einer deutschen Medaille also, die man getrost Post-Olympia und dem Sommerloch zuschreiben darf. In denen man aber trotzdem ein paar bemerkenswerte Entdeckungen machen kann, denn es ist ja mitnichten so, dass alles aus diesen Kreisen bereits bekannt wäre.

Dass beispielsweise Oliver Burghart, 40, aus dem schwäbischen Esslingen seine 26-jährige Ehefrau und Mutter seiner Tochter auch in der Öffentlichkeit "Miezi" nennt, scheint in einschlägigen Kreisen für normal gehalten zu werden: Die Bild-Zeitung philosophierte vor Ausstrahlung der Sendung schon darüber, ob "Miezi" wohl die neue "Katze" werde, also der blonden Daniela Katzenberger nun die Show stehle. So viel vorab: Das ist nicht zu befürchten.

Die Kosenamen bayerischer Gattinen

"Mia Gray", die von ihren Eltern auf den Namen Michaela Helga Grauke getauft wurde, hält zwar einen Rekord in Sachen Playmate des Monats in aller möglichen Herren Länder (19 sollen es sein, aber da ist sie sich selbst nicht so ganz sicher) und war "Playmate des Jahres 2009" in Deutschland, weshalb sie bereits ins Hugh Hefners Playboy-Mansion nach Los Angeles eingeladen wurde und dort nun "für immer" willkommen ist. Das liegt aber weniger an ihrem außerordentlichen Showtalent oder ihrer übernatürlichen Anziehungskraft als an zwei nach eigenen Angaben künstlich vergrößerten Körperteilen. In Verbindung mit dem sonstigen Kleinmädchenkörper, über den ihr Göttergatte streng wacht ("Keine Kohlenhydrate! Die machen dich groß und breit!") wirkt das schon ziemlich schräg - aber es gefällt offenbar. Und was den Kosenamen angeht: Da haben führende bayerische Politiker ihren Angetrauten schon schlimmere Namen verpasst.

Also alles gar nicht so schlimm? Doch. Weil "die Modelmacher" keine sind und stattdessen mit ganz viel Gel im achtsam verstrubbelten Haar und mit sorgfältig hochgestellten Hemdkragen schwäbelnd durch die Gegend ziehen und "Bro-Check" machen (beim Brother-Check versichern sich die beiden seit der Jugend befreundeten Männer per Handbewegung ihrer Brüderlichkeit im Geiste), weil der Gatte seiner Holden den Vorschlag macht, den Dachboden des gemeinsamen Hauses in einen "Gentleman's Club" zu verwandeln, in dem sie für ihn vor seinen Freunden nackt tanzen soll, weil der ehemalige Ausbilder bei der Bundeswehr selbst die vierjährige Tochter schon im Dirndl zu "Jobs" und "Shoots" schickt - und weil die Mama zu allem nur lächelt und artig "Danke" sagt - auch wenn er vor der Kamera über ihren Hintern philosophiert, für dessen generalstabsmäßig geplanten "Auftritt" in einer Dorfdisco er 1000 Euro abgreift. Das ist Gütergemeinschaft 2.0.

Den beiden Hauptakteuren, die der Adoleszenz nie wirklich entkommen zu sein scheinen, scheint das Spaß zu machen, dem Zuschauer ist es eher peinlich. Auch wenn "Mia" über deutlich weniger Erregungspotential verfügt als Daniela Katzenberger, weil sie nebenbei auch noch gerade Sätze sprechen kann. Weshalb es eventuell dabei bleiben könnte, dass die Sendung nur einmal ausgestrahlt wird - und dann nie wieder. Sicherheitshalber hat der Sender die erste Folge "Pilot" genannt.

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Ruth Schneeberger

Da hat das ZDF mit dem deutschen Adel schon mehr zu bieten, wenn auch nur ein bisschen: Im ersten Teil der zweiteiligen Serie erfahren wir an diesem Dienstag, wer Deutschland wohl regieren würde, wenn die Monarchie nicht abgeschafft worden wäre: Georg Friedrich Prinz von Preußen, Ururenkel des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II., heiratet im August 2011 in Potsdam Sophie, eine geborene Prinzessin von Isenburg. Wäre die Geschichte anders verlaufen, wären die beiden heute Deutschlands Kaiserpaar. Ist sie aber nicht, weshalb die beiden und der Rest von Deutschlands übrig gebliebenem Adel nur so tun, als hätten sie noch alle Rechte und Pflichten gegenüber dem niederen Volk.

Standesgemäße Trauung: Kaiser-Ururenkel Georg Friedrich Prinz von Preußen und Sophie Prinzessin von Isenburg. (Foto: Paul Schirnhoferhaus/reuters)

Im zweiten Teil der Serie sieht der geneigte Zuschauer, was es damit auf sich hat: Die immerhin noch rund 80.000 Mitglieder des in Deutschland langsam aussterbenden Adels versuchen tapfer, sich ihrer rechtlich nicht mehr vorhandenen, aber in den Köpfen offenbar immer noch weiterlebenden Vormachtstellung gegenseitig zu versichern - und möglichst untereinander zu heiraten. Das führt dazu, dass schon die Jugend bei Teambuilding-Aktionen wie "Adel auf dem Radl" zarte Bande zu knüpfen hat, dass die Sprösslinge am liebsten altehrwürdige Universitäten wie Freiburg, Heidelberg oder Göttingen besuchen, wo die Damen Kunstgeschichte und die Herren Jura studieren und sich dabei näherkommen sollen.

Und der Zuschauer erfährt, dass der Adelige an sich "gerne tanzt, denn das hat er als Kind schon gelernt", am liebsten natürlich im Schloss, und das die ganze Nacht lang. Dabei würden so schön viele Herzen zueinanderfinden, erklärt eine junge Adelige schief lächelnd im Sissi-Look, man sei mit den von der Familie auserwählten männlichen Begleitern hoch zufrieden.

Auch das ist Gütergemeinschaft 2.0 in Deutschland: einen ebenbürtigen Partner zu finden, der in der Lage ist, die Etikette zu wahren (weiblich), das verfallende Schloss zu finanzieren (männlich) und dabei um Himmels willen in der Bibel des deutschen Adels aufgeführt zu werden, dem Nachschlagewerk für adlige Familienstammbäume, genannt "Gotha". Denn wie schwadronierte schon Wilhelm II. im Doorner Exil? Eine Verbindung zwischen einem Prinzen und einer Bürgerlichen sei wie "die Verbindung zwischen einem Schwan und einer Gans".

Zu kurze Hosen und abgerissene Jacketts

Kein leichtes Erbe - auch wenn das britische Königshaus heute anderes vorlebt. Und während "Fürstin" Gloria von Thurn und Taxis, die einst mit schrillen Punk-Frisuren von sich reden machte, noch einmal ihr Leben Revue passieren lässt (seit der mehr als 30 Jahre ältere Gatte verstorben ist, managt sie den erheblichen Familienbesitz alleine - und muss sich inzwischen von ihrem erwachsenen Sohn dafür rügen lassen, wenn sie zu lange auf der Toilette war), erklärt ihr Bruder in die Kamera, woran man einen echten Adeligen heutzutage erkenne: Das seien weniger solche Leute, die nach Fürst oder Graf aussehen, mit gemachtem Haar und tadellosem Beinkleid. Sondern eher solche, bei denen die Hose ein wenig zu kurz und das schöne alte Jackett ein bisschen abgerissen aussähen. Weil viele Adelige inzwischen verarmt und auch ansonsten eher understatementmäßig unterwegs seien. Sowieso erkenne man echten Adel an der inneren Haltung, von der sich der Rest der Bevölkerung in Sachen Engagement und Gemeinwohl durchaus noch etwas abschneiden könne.

Da muss Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg wohl etwas falsch verstanden haben. Zumindest mit dem äußeren Erscheinungsbild kann dann irgendwas nicht stimmen.

Wie auch immer: Ob Miezi, Muschi oder Sissi - ein bisschen mehr Glamour als gedacht hat Deutschland also schon zu bieten, hinter weit geöffneten bis halbwegs verschlossenen Türen. Dass es dabei wider Erwarten aber noch so ursprünglich zugeht, hüben wie drüben, das ist dann doch erstaunlich. Und es muss ja nicht nur zum Nachteil sein, wenn das Fernsehen uns daran erinnert, wenn auch bisweilen ein wenig unsanft. In Sachen Gleichberechtigung jedenfalls scheint Deutschland, ob in Adels- oder Playmate-Kreisen, noch ein Entwicklungsland zu sein. Glamour hin oder her. Das eint die beiden doch so unterschiedlichen TV-Dokus auf gruselige Weise.

"Mia Gray und die Modelmacher", montags, 22:10 Uhr auf ProSieben

"Der deutsche Adel", Zweiteilige Dokumentation, Dienstag, 14. August, und Dienstag, 28. August, jeweils 20:15 Uhr im ZDF

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