Griechenland-Krise:In der Not wird Angela Merkel Fernsehkanzlerin

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Im Feuerwehranzug und mit großer Gebärde begegnet Kanzlerin Merkel im TV-Studio der griechischen Gefahr. Egal, ob ZDF oder ARD: Kurz vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen setzt sie flächendeckend auf Beruhigung in der derzeitigen Apocalypse-now-Stimmung.

Melanie Ahlemeier

Der Economist meint es in seiner aktuellen Ausgabe nicht gut mit der Kanzlerin. "Acropolis now" steht auf dem Cover in Anlehnung an den Hollywood-Film Apocalypse now rund um den abtrünnigen US-Colonel Walter E. Kurtz im vietnamesischen Dschungel.

Fronteinsatz Fernsehen: Angela Merkel erklärte auf vielen Stationen ihre Griechenland-Politik. (Foto: Foto: ddp)

Die britische Wirtschaftszeitschrift zeigt Angela Merkel (CDU) im Tarnanzug und mit sehr ernster Miene, links neben ihr die griechische Akropolis im Sonnenuntergang, geziert von sieben kleinen schwarzen Helikoptern, geschickt vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Union. Darunter steht: "The Horror. The Horror."

Der Spiegel hatte die schlichtere Variante "Euroland, abgebrannt" auf Lager.

Es wurde Zeit für die Regierungschefin, in Medien auf all die bösen Medien zu antworten - als Botin in eigener Mission. Griechenland soll nicht ihr Vietnam werden.

So feuerte Merkel am Montagabend auf allen Kanälen zurück. So besetzte sie das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Jene Plattform, die ihr Regierungssprecher Ulrich Wilhelm in einigen Monaten als Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR) beleben wird. Der rhetorischen Ornamentalik dienten Kurzfilme in den kargen Nachrichtensendungen des Privatfernsehens. Der Kanzlerin konnte man in diesen Stunden Staatsfernsehen nicht entgehen.

Angela Merkel tritt an diesem Acropolis-now-Abend nicht im Tarnanzug an, sondern im knallroten Blazer, der Frauen im Fernsehen so gut stehen soll. Ihre Miene ist ernst. Zuerst weilt die Heldin von "Acropolis now" im ZDF ( Was nun, Frau Merkel?), eine knappe Stunde später dann in der ARD ("Euro-Angst: Wie sicher ist unser Geld?").

Fazit: Zu den nahezu gleichen Fragen gibt's die nahezu gleichen Antworten.

Bürgschaften in Höhe von mehr als 20 Milliarden Euro wird Deutschland in den kommenden drei Jahren absichern müssen. So leistet die Republik ihren Anteil, damit Griechenland nicht in die Pleite schlittert - und damit nicht Staaten wie das angezählte Portugal und Spanien (zwei weitere der von Finanzkrise gebeutelten sogenannten PIIGS-Staaten Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) folgen. ZDF-Chefredakteur Peter Frey und Hauptstadtstudioleiterin Bettina Schausten, beide neu im Amt, setzen Merkel mit zackigen Fragen und ohne übertriebenen Respekt zu. Die Kanzlerin bleibt bei ihrer Linie. Sie hat alles im Griff.

Kanzlerin in Erklärungsnot

Merkel ist nach dem Schnüren des europäischen Rettungspaketes für Athen, vor allem aber nach dem Verabschieden der milliardenschweren Kredite im Kabinett, in Erklärungsnot. Ein Großteil der Bevölkerung bringt derzeit kein oder fast kein Verständnis für die Frage auf, weshalb Deutschland die Statistik-Trickser von der Ägäis stützen soll.

"Wir setzen uns ein für die Stabilität unserer Währung", sagt Merkel im ZDF. Und: "Wir schützen das Geld unserer Bürgerinnen und Bürger in Deutschland." Das klingt, als sage sie eine Broschüre auf. Und die Szenerie erinnert an den Oktober 2008, als die Kanzlerin gemeinsam mit ihrem Finanzminister, damals noch Peer Steinbrück (SPD), nach dem Lehman-Fiasko und der Fast-Pleite der Hypo Real Estate garantierte, die Spareinlagen der Deutschen seien sicher. Auch damals machte Merkel ein ziemlich betroffenes Gesicht. Damals waren die Banken down, heute sind es Staaten.

Attacken der ZDF-Journalisten Schausten und Frey, die Entscheidung zur Griechenland-Hilfe sei doch viel zu spät gekommen, wimmelt die Kanzlerin rigoros an. "Das war genau zum richtigen Zeitpunkt", argumentiert sie. Schließlich sei dem maroden Athen doch ein nun wirklich anspruchsvolles Programm auferlegt worden. Und ohne diese Reformen hätte sie nie zugestimmt. Ein Schröder-Basta auf merkelisch.

Merkel versichert dann noch, nein sagen zu können - in Antwort auf die Steuerentlastungs-Arien des liberalen Koalitionspartners, die angesichts des aktuellen Finanz-Moussaka immer unwahrscheinlicher werden. "Madame Non" wird zur "Frau Nein", das ist schon mal eine Erkenntnis.

Das Ganze ist so schwierig

Ungefähr eine Stunde später in der ARD mit den Moderatoren Sigmund Gottlieb (BR) und Jörg Schönenborn (WDR) nahezu das identische Bild. Wieder schützt Angela Merkel das Geld im knallroten Blazer. In Berlin interviewen Thomas Baumann und Ulrich Deppendorf die Regierungschefin - alles an diesem Abend schon mal da gewesen.

Farbe bekennen heißt das Format zwei gegen eine im ARD-Sprech. Jetzt sagt Angela Merkel Sätze wie: "Wir schützen das Ersparte unserer Bürgerinnen und Bürger." Auf die Was-nun-Frage der ARD-Journalisten, ob der Staat nicht erpressbar geworden sei, erinnert die Kanzlerin an die strikten Auflagen für die Regierung in Athen. Ohne Auflagen keine Hilfe aus Berlin, so der Tenor. Selbst für das Novum, dass die Europäische Zentralbank seit Montag sogar griechische Ramschanleihen akzeptiert, hat Angela Merkel nur positive Worte parat: "Ich denke, dass dieser Schritt klug ist."

Nach Ende des ARD-Gesprächs will Interviewer Schönenborn Optimismus, aber auch Skepsis entdeckt haben. Und der politikerfahrene Kollege Gottlieb konzediert, die Kanzlerin wisse, "wie schwierig das Ganze ist". Demnächst kann er sich im Bayerischen Rundfunk mit dem Noch-Regierungssprecher Willhem darüber näher austauschen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Angela Merkel das "Problem an der Wurzel" packen will.

In beiden Sondersendungen zur Griechenland-Krise will die CDU-Chefin, wie sie selbst sagt, "das Problem an der Wurzel packen". In beiden Sechs-Augen-Fernsehgesprächen verteidigt sie ihr Anliegen, den Internationalen Währungsfonds (IWF) mit ins Boot geholt zu haben. Nur weil der Fonds die Entschuldung mitbeaufsichtige, sei Deutschland überhaupt zur Hilfe bereit. Und in beiden Sendungen wird der Zuschauer das Gefühl nicht los, dass sich Merkel hier eine sehr genehme Arena gesucht hat, um auf recht komfortable Art und Weise ein Millionenpublikum zu erreichen.

Die Zeit drängt. Nicht nur für die unglücklichen Griechen, sondern auch für die unglücklichen Christdemokraten. Die wollen am Sonntag in Nordrhein-Westfalen eine Landtagswahl gewinnen, was schon ohne das Griechenland-Debakel schwerfällt. Da sagt Merkel nur: "Schauen Sie, wir haben hier ein globales Ereignis."

Gleiche Fragen, gleiche Antworten

So lässt die Parteichefin alle Fragen zur Beteiligung der Banken an der Athen-Entschuldung, der Finanzmarkttransaktionssteuer oder der Steuerentlastung an sich abprallen. Die ARD schafft es zuweilen sogar, die Reihenfolge der Fragen, die das zuvor sendende ZDF gewählt hat, einzuhalten.

Sehr konzentriert und zugleich aufs Wesentliche komprimiert kommt die Mainzer Erklärstation mit ihrer Sondersendung daher. Gut 20 Merkel-Minuten reichen hier.

Die ARD dagegen längt auf eine Stunde, zeigt mehrere Einspieler, die beispielsweise Konsumenten in einem griechischen Supermarkt einfangen. Zuschauerfragen werden aufgenommen und Experten ins Studio geholt: Finanztest-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen, Ökonom Joachim Starbatty sowie Henrik Enderlein. Dieser war bereits vor gut einer Woche in der ARD-Sendung Anne Will als Fachmann aufgetreten. Das alles täuschte Opulenz vor, wo Prägnanz angezeigt gewesen wäre.

Ist der Wähler jetzt beruhigt, weil die Dame im knallroten Feuerwehranzug gesprochen hat? Für den Economist steht das Urteil fest: "Europe's debt crisis spins out of control", formulieren die Briten als Untertitel, Europas Schuldenkrise sei außer Kontrolle.

Vielleicht muss "Angie" Merkel mal in die BBC.

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