Deutsches Fernsehen:Sterben, wo andere Urlaub machen

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Hilft beim Ermittleln: sinnieren vor malerischer Kroatien-Kulisse - im Bild die Kommissare Branka Maric (Neda Rahmanian, rechts) und Emil Perica (Lenn Kudrjawizki). (Foto: ARD Degeto/Erika Hauri)

Split, Istanbul, Athen, Bozen: Das deutsche Fernsehen erzählt seine Geschichten gerne an malerischen Orten. Auch deshalb bleiben die Produktionen hinter den großen Qualitätsserien zurück.

Von Katharina Riehl

Das Böse lauert überall, aber am besten gefällt es auch dem Bösen natürlich dort, wo es ein bisschen schön ist. In Split zu Beispiel, im Urlaubsland Kroatien, dort wird am kommenden Donnerstag eine Leiche im Hafen gefunden, die unerschrockene Kommissarin Branka Maric wird ermitteln. Oder in Istanbul, wo Kommissar Mehmet Özakin "oft an zwei Fronten kämpft"; oder in Athen, in Bozen, in Tel Aviv, in Zürich oder "im malerischen Urbino", wo glücklicherweise jeweils ebenfalls ortsansässige Ermittler gewillt sind, das Böse innerhalb von 90 Minuten einer Handschelle zuzuführen.

Die Donnerstagskrimis der ARD, in denen seit einiger Zeit konzeptmäßig Mordfälle vor touristisch attraktiver Kulisse gelöst werden, sind nur Teil einer Mode, die einiges verrät über den ziemlich trüben Zustand des deutschen Unterhaltungsfernsehens.

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Noch ein paar Beispiele: Am kommenden Freitag startet, ebenfalls in der ARD, eine neue Reihe mit dem Namen Die Eifelpraxis - Erste Hilfe aus Berlin; am Montag dann zeigt das ZDF den Film Liebe bis in den Mord - Ein Alpenthriller, in der Woche drauf gibt es auf demselben Sendeplatz Die Toten von Salzburg zu sehen. Auch in seinen lieblichen Sonntagsfilmen spielt das ZDF mit den malerischen Kulissen, Mitte Oktober zum Beispiel läuft unter der Rubrik "Herzkino" der Film Ein Sommer in Südfrankreich.

Aus dem Trend wäre sicher keine Masche geworden, wenn die Quoten nicht stimmen würden

Im deutschen Fernsehprogramm, das seinen Tötungsdelikten hin und wieder eine Notoperation untermischt, scheint man statt einer guten Geschichte nur noch einen attraktiven Schauplatz zu brauchen.

Ein bisschen irre ist es schon, dass in weiten Teilen der Welt gerade Fernsehen entsteht, das mit seiner Qualität die Gewissheiten der Unterhaltungsindustrie in Frage stellt, während die Programmmacher in Deutschland das Fernsehen offenbar noch immer so begreifen wie der kürzlich verstorbene Produzent Wolfgang Rademann Anfang der Achtzigerjahre.

Das Traumschiff, auf dem die immer gleiche Crew und wechselnde Gäste exotische Ziele ansteuern, brachte dem deutschen TV-Zuschauer die weite Welt direkt vor den Ohrensessel. Tasmanien? Logo, da waren wir im Dezember 1995 mit dem Kapitän Hansen. Was auf dem Schiff passierte? Egal. Von den unglaublich dichten Geschichten der zeitgenössischen Serien könnte dieser Ansatz nicht weiter entfernt sein.

Klar ist, dass aus dem Trend keine Marotte geworden wäre, gäben die Einschaltquoten den Programmplanern von ARD und ZDF nicht recht. Dass immer ähnliche Geschichten vor wechselnder Kulisse variiert werden, scheint einem ausreichenden Teil des Publikums als kreative Leistung ihrer Gebührenempfänger genug zu sein.

"Unsere Zuschauer sollen wissen, was sie erwartet"

Mal nachfragen bei der Degeto, Produktionstochter der ARD, die nach langen Jahren der Produktion von sprichwörtlich gewordenem Süßstofffernsehen mittlerweile ihr Geld in viele gute Projekte steckt - aber eben auch in die Eifelpraxis und die Krimis aus dem Reisekatalog. Redaktionsleiter Sascha Schwingel erklärt den Erfolg des Umgebungsfernsehens so: "Orte, seien es Städte oder Landstriche, vermitteln besondere Stimmungen, wecken Assoziationen oder legen ein Lebensgefühl nahe. Nicht umsonst spricht man von Lokalkolorit. Unsere Zuschauer sollen wissen, was sie erwartet und worauf sie sich bei einem Film freuen können. Bezüge zum Ort im Titel vermitteln oft schon eine Atmosphäre, ein Gefühl, in sehr komprimierter Form."

Auch im Tatort ist der Schauplatz immer wichtiger Teil der Filme gewesen. Seine Anbindung an einzelne Städte ermöglicht häufig Experimente, die anderswo im deutschen Fernsehen kaum denkbar wären. Wenn die Geschichten größer sein dürfen als Münster oder München.

© SZ vom 14.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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