ARD-Film "Bornholmer Straße":Banalität der Petersilie

ARD-Film "Bornholmer Straße": Aus der Entfernung beobachten die Grenzer in Christian Schwochows Bornholmer Straße die Menschenmengen am 9. November 1989.

Aus der Entfernung beobachten die Grenzer in Christian Schwochows Bornholmer Straße die Menschenmengen am 9. November 1989.

(Foto: Nik Konietzny)

Christian Schwochow möchte seinen Titel als DDR-Korrespondent des deutschen Films ablegen, aber die ständige Ausreise verzögert sich. Für die ARD hat er die Nacht des Mauerfalls als Komödie verfilmt.

Von Cornelius Pollmer

Wäre dieser Text kein Text, sondern ein Film von Christian Schwochow, er würde bestimmt nicht mit folgender, eben nur scheinbar alltäglicher Szene beginnen: ein Abend in Berlin, Prenzlauer Berg, in der Trattoria Paparazzi kommt der Kellner gerade zum Abräumen an den Tisch. Schwochow hat aufgegessen, nur ein trauriges bisschen Deko-Petersilie liegt zurückgelassen auf seinem Teller. Ob es denn nicht geschmeckt habe, fragt der Kellner und bringt die Petersilie ins Spiel. Schwochow überlegt kurz. Doch, doch, sagt er dann, es habe sogar hervorragend geschmeckt, "aber die Petersilie, die hätte es banal gemacht".

Man könnte die Petersilie nun als Beweismittel sichern und sie hernach dem Deutschen Filmmuseum überlassen, als wildwüchsigen Beleg für eine wesentliche Fähigkeit des Regisseurs Christian Schwochow, 35: das Auslassen von Banalitäten. Es ist ja leider so, dass der deutsche Film regelmäßig an der Darstellung von Alltag scheitert, mit Dialogen nur leicht über dem Niveau von "Warum liegt hier eigentlich Stroh?".

In den Filmen von Christian Schwochow ist dies verlässlich anders, weil er sich Momenten des Alltags genauso behutsam und ernsthaft nähert wie den großen Bumm-Knall-Schnief-Schlüsselszenen. Wer dafür neben der Petersilie noch einen weiteren frischen Beleg einholen möchte, dem sei Bornholmer Straße empfohlen, Schwochows sehenswerter Beitrag zur großen Erinnerungs-Expo 25 Jahre nach dem Mauerfall. Er lief bereits im Juni auf dem Filmfest München, nun in der ARD, und wenn jetzt gleich nach der Nennung nur der wichtigsten Beteiligten noch Platz ist, geht es weiter im Text, versprochen. Also, die Grenzer wurden besetzt mit Charly Hübner, Milan Peschel, Rainer Bock und Max Hopp, produziert haben Nico Hofmann und Benjamin Benedict (UFA Fiction), koproduziert der MDR, die Degeto und der RBB.

Von Verhöhnung der Opfer keine Spur

ARD-Film "Bornholmer Straße": Aus sicherer Entfernung beobachten die Grenzschützer in Christian Schwochows Fernsehfilm Bornholmer Straße die Menschenmengen am 9. November 1989.

Aus sicherer Entfernung beobachten die Grenzschützer in Christian Schwochows Fernsehfilm Bornholmer Straße die Menschenmengen am 9. November 1989.

(Foto: Nik Konietzny)

Erzählt wird "die unglaubliche, aber wahre Geschichte von OL Schäfer", und fast genauso unglaublich ist, dass Schwochow diese als Komödie erzählt, erzählen musste, wie er sagt. Er habe sich oft mit Harald Jäger, der Vorlage für Schäfer, getroffen, schon in dessen Darstellung klang die Nacht der Grenzöffnung "wie ein Stück von Ionesco, Theater des Absurden". Dem geübten Zeitkritiker flattert da sofort ein empörtes "Verhöhnung der Opfer!" durch die Hirnlappen, der Film aber lässt diesen Vorwurf aus vielen Gründen unzulässig erscheinen. Hier sind ein paar davon: Das Drehbuch haben die Eltern von Schwochow geschrieben, Heide und Rainer, und die ganze Familie darf ja in der Kategorie Zeitzeugen geführt werden. Alle drei gingen in der Zeit vor dem Mauerfall zu den Mahnwachen in der Gethsemanekirche, die Eltern passierten den Grenzübergang in der Nacht des 9., der da bereits schlafende Christian dann am 10. November.

"Diese Zeit, der ganze Herbst 89, das ist noch so irre präsent", sagt Schwochow heute. Er könne sich sogar noch daran erinnern, wie er auf der anderen Seite angekommen sei, im Westen, und dass er dann dachte: Hm, irgendwie riecht's hier komisch.

"Im Westen stinkt's"

Viele dieser Erinnerungen hat Schwochow als kleine Überhöhungen in seinen Film eingewebt. Als etwa Melitta aus dem Wedding zu ihrem jungen Grenzer-Freund Axel in die DDR zurückkommt, da lächelt sie ihn an und sagt: "Im Westen stinkt's." Küsschen. Versöhnung. Noch ein bisschen lustiger trifft es Oberstleutnant Schäfer (Charly Hübner). Als er nach dieser unglaublichen, aber wahren Nacht, in der er erzwungenerweise Weltgeschichte gestaltet hat, zu Hause in der Tür steht, da sagt seine Frau nur: "Bist aber spät dran."

Solch "vordergründig Undramatisches" hat Schwochow vielfach zugelassen, ohne dabei diesen großen Konflikt zu vergessen, nämlich den zwischen der Realität von 20 000 Bürgern vor dem Schlagbaum und der Scheinrealität der 16 Grenzer dahinter. Wut und Sehnsucht der einen zeigt Schwochow mit Ernst, die Hilflosigkeit der anderen mit Komik, und "irgendwann bricht diese Naturgewalt des Volkes herein und dann vermischen sich die Ebenen".

Eine Komödie, das ist nicht der erste Gedanke, der einem zufliegt, wenn man sich filmisch einer Nacht widmen möchte, in der realistischerweise auch Menschen hätten ihr Leben lassen können. Das Volk übte sich in Occupy Bornholmer Straße, bei einem Grenzer zitterte die Hand am Halfter - reale Dramatik, aber auch: bekannt. Schwochow sagt, er finde es "unheimlich anstrengend, Filme zu sehen oder Bücher zu lesen, die wie Wiederholungsschleifen wirken, die mich null provozieren, Dinge noch einmal anders zu betrachten".

Es gab auch Alltag in der DDR

Die gewesene DDR ist da natürlich ein fruchtbares Betätigungsfeld, das Christian Schwochow nicht zum ersten Mal bestellt. In Dresden und anderswo im Osten gab es über Uwe Tellkamps Turm die Meinung: Da hat ein Ossi die DDR mal so beschrieben, wie sie sich die Wessis schon immer vorgestellt haben. Schwochows Film wurde gnädiger bewertet, womöglich weil er einen Ausschnitt des Buchs betonte, für den in der Wiederholungsschleife vieler Retrospektiven oft kein Platz ist. Am Turm, sagt Schwochow, da habe ihn fasziniert, "einfach mal zusagen: So, Freunde, ja, Staatssicherheit hat es gegeben, Unterdrückung hat es gegeben, und es hat viele Leute gegeben, die einem unheimlichen Druck und Leid ausgesetzt waren. Aber: Es hat auch Alltag gegeben in der DDR. Punkt."

Wie bitte, in der DDR haben die Leute also nicht den ganzen Abend die Pionierhemden der Kinder gebügelt, sondern auch einfach mal so zu Abend gegessen? Eine Feststellung, nur theoretisch so unnötig wie Deko-Petersilie. Praktisch ist es schon gut, dass Christian Schwochow sich noch einmal zu einer filmischen Einreise in die Deutsche Demokratische Republik entschlossen hat. "Eigentlich wollte ich da raus, ich will ja nicht der DDR-Korrespondent des deutschen Films sein, aber wahrscheinlich bin ich es längst", sagt er.

In dieser Funktion hat er mit Bornholmer Straße auch ein Porträt Harald Jägers mitgebracht, eines Mannes, der sein Leben lang von Herzen ein fragwürdiges System unterstützte, der aber auch im richtigen Moment die Kraft fand, sich gegen es zu stellen. Das muss man nicht heroisieren, man kann es anerkennen. Das ist dann nicht schwarz, nicht weiß, es bleibt: ambivalent. Und es erzählt dann schon ein wenig über die herrschende Sicht auf Geschichte, wenn Christian Schwochow sich erst zu dieser Ambivalenz bekennt, um sich dann fast entschuldigend über sich selbst zu wundern: "Ich bin immer so ausgewogen."

Bornholmer Straße - Die unglaubliche aber wahre Geschichte von Oberstleutnant Harald Schäfer, ARD, 20.15 Uhr

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: