Trend zum Vegetarismus:Gemüse ist mein Fleisch

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Die Zeiten, in denen Vegetarier ein Hauch von Ökohaftem umwehte, sind vorbei: Immer mehr Trendrestaurants kochen fleischlos - und stoßen dabei auf ganz neue Herausforderungen.

Thomas Platt

Mit einer eigentümlichen Bestimmtheit erklären heute immer mehr Leute ungefragt, dass sie viel weniger Fleisch essen würden als früher, so manche Woche sogar überhaupt keines. Und nun hat auch noch der Luxus-Caterer Klaus Peter Kofler das ausgesprochen, was in der Luft zu liegen scheint: "Die Zukunftsküche wird auf jeden Fall vegetarisch sein."

Lebt seit ihrem achten Lebensjahr absolut fleischlos: Schauspielerin Natalie Portman. "Ich liebe Tiere einfach und handele nach meinen eigenen Werten", sagt die "Black Swan"-Darstellerin. 2001 wurde sie dafür von der Tierschutzorganisation PETA mit dem Titel "Sexiest Vegetarian Celebrity" belohnt. (Foto: AP)

Damit stellt der Initiator des Berliner Pop-up-Restaurants "Pret A Diner" ein Trendmuster auf, das nichts mehr mit dem Ökohaften und Grobgestricken zu schaffen hat, das bislang alles Vegetarische umwehte.

Dieser neuen Szene fehlt nur noch ein glamouröser Protagonist. Vielleicht könnte es Michael Hoffmann sein. Doch dem Chef des Berliner Gourmetrestaurants "Margaux", der sich für vergessene Gemüsesorten einsetzt und bahnbrechende vegetarische Menüs zaubert, mangelt es an Vermarktungswillen. Den besitzt wiederum zwar Alfred Biolek, genau wie Eckart Witzigmann, aber beide haben trotz eines erfolgreichen vegetarischen Kochbuchs etliche Fleischgerichte auf dem Gewissen. Bliebe zuletzt noch Jochen Gaues aus Hannover, der exzentrische Bäcker der Hochgastronomie, der seine Brote auf Kohlblättern backt. Wenn bloß die Wurst nicht wäre.

Ob sich diese Form der Ernährung wirklich durchsetzen wird, ist noch längst nicht ausgemachte Sache. Bislang ernähren sich bei uns kaum einmal drei Prozent konsequent auf diese Weise. Ins Gespräch bringt man sich damit aber allemal - denn der Verzicht auf Fleisch und Fisch verdient wie jede Askese zunächst einmal Respekt. Zudem stiftet er ein Band, wie es zwischen Reisegefährten besteht, die im Nachtzugabteil die gleiche Ungemütlichkeit erleben.

Es gibt eine unlösbare Aufgabe, vor der die vegetarische Küche steht: den Gerichten ein Zentrum zu geben. Das gilt sowohl hinsichtlich der geschmacklichen Hierarchie als auch der Anordnung auf dem Teller. Gemüse steuern im Allgemeinen bloß Halbtöne bei. Trotz Sellerieschnitzel, experimenteller Chrysanthemen-Tempura oder Kürbisrösti springt die Aufmerksamkeit deshalb rasch zu den Kohlehydraten.

Diese Kohlenhydrate hören heute auf die Namen Amarant, Topinambur oder Quinoa. Obwohl vegetarische Köche sie mit Kräutern, Pilzen und Nüssen, Früchten, Beeren, Blüten und Gewürzen vorwiegend aus der asiatischen Tradition aufmotzen, werden sie den Beigeschmack der Sättigungsbeilage einfach nicht los. Womit wir beim Tofu wären, dem eiweißstarren Schwamm aus Sojabohnen. Für deren Anbau werden ganze Urwälder weggeklappt, was dem Ruf des Tofus aber nicht schadet, genauso wenig wie sein wenig reizvoller Geschmack. Er ist halt ein großer Imitator: Mit seiner Hilfe lässt sich vielleicht kein Steak, dafür aber eine Bolognesesauce täuschend echt nachahmen.

Der Preis für die Ausbreitung

Womit wieder die Tiere ins Spiel kommen. Es ist zu vermuten, dass die Rinder, Schweine und Hühner den Preis für ihre enorme Ausbreitung über den Globus mit den Leiden der Massentierzucht und Tiermassentötung bezahlen. Zu den Verbindlichkeiten der Realität gehört, dass wir bei der Ernährung in eine unerbittliche Ordnung gefügt sind, die von der Nachhaltigkeitswelle kaum gemildert wird. Physiologie und Ethik lassen sich dort kaum auf einen Nenner bringen.

Vielleicht ist es an dieser Stelle nötig, sich der Tradition und des eigentlichen Ursprungs des Fleischverzichts zu erinnern. Vor dem Vegetarismus stand die Armut - Fleisch konnten sich mancherorts nur wenige leisten. Aus einer der rückständigsten Regionen Italiens, der Basilikata, stammt ein Artischockenrezept, das Pino Bianco in seinem Berliner Restaurant "Trattoria da Muntagnola" auf den Tisch bringt. Dafür wird das Wintergemüse ausgehöhlt und mit einem Teig aus Weißbrot, Ei, Knoblauch, Petersilie und Parmesan gefüllt. In simmerndem Wasser entsteht dann eine Art Soufflé, das in sich selbst ruht und kulinarisch überzeugt.

Trost spendet es leider nur bedingt. Genau den aber hatte der römische Bürger Petrus im Sinn, als er schrieb: "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras."

© SZW vom 5./6.2.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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