Tourismus in der Schweiz:Ein Glück, die Chinesen kommen

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Alles, was es braucht, sind ein paar Skilehrer mit Mandarin-Kenntnissen - oder? Nicht alle Touristen aus China haben Zeit für die Berge. (Foto: mauritius images)

Erstfeld in der Schweiz ist vor allem für den Gotthard-Tunnel bekannt. Trotzdem übernachten hier immer mehr Chinesen - auch wenn sie vom Ort nicht viel sehen.

Von Charlotte Theile

Wer sich die Schweizer Berge als Paradies vorstellt, der war noch nicht in Erstfeld. Die kleine Gemeinde im Kanton Uri ist der letzte Ort der Deutschschweiz, wenn der Zug einige Hundert Meter weiterfährt, rauscht er in den 60 Kilometer langen Gotthard-Tunnel. Auf der anderen Seite des Berges sprechen die Menschen Italienisch, es gibt Palmen, die Sonne scheint. In Erstfeld werfen die Berge fast den ganzen Tag bedrohliche Schatten.

In früheren Zeiten übernachteten hier Bergarbeiter und Eisenbahner, inzwischen haben viele Hotels geschlossen. In bester Lage, direkt gegenüber dem Bahnhof, verrottet der Nachtclub "Nightbar Taverne". Der Besitzer wurde in einem abenteuerlichen Verfahren zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, so kam auch Erstfeld zu nationaler Bekanntheit.

Erstfeld, ein Touristen-Trendort?

Seit einigen Jahren aber taucht der Name Erstfeld immer mal wieder auf. Selbst deutsche Zeitungen haben die kleine Gemeinde in den vergangenen Wochen entdeckt - als Trendsetter. Der Trend, bei dem Erstfeld plötzlich zu den wichtigen Playern der Schweiz gehört? Fernreisen-Tourismus. Ja, Fernreisen-Tourismus. Gäste aus aller Welt in Erstfeld?

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Paul Jans, früher Besitzer des Hotels "Frohsinn", drückt die Tür des Hotels auf und lächelt. "Nein, nicht aus aller Welt. Die kommen alle aus einem Land." Jans deutet auf den überdimensionierten Reiskocher, der unter einem historischen Eisenbahngemälde im Eingangsbereich thront.

Reisende aus China sind für viele Schweizer Hoteliers die Antwort auf alle Probleme, die der hiesige Tourismus zuletzt hatte: Der starke Franken machte die ohnehin teure Schweiz für Kunden aus Deutschland oder Frankreich fast unbezahlbar. In Österreich und anderswo rüsteten die Wintersportorte auf, Schweizer Bergbahnen dagegen fehlte das Geld für Investitionen.

Dann eben Hühnersuppe zum Frühstück

Und so setzten die Schweizer zuletzt auf neue Touristengruppen: Reisende aus den Golfstaaten und aus China bekommen maßgeschneiderte Pakete, Schweiz Tourismus unterhält Werbebüros im Nahen und Fernen Osten - und nicht wenige Hotels bieten Hühnersuppe zum Frühstück an. Doch es gibt auch Probleme. Die Gäste sind manchen Schweizern nicht geheuer, Zeitungen schreiben von "Ansturm", geplünderten Buffets und Reisenden, die auf den Boden spucken.

Doch beim "Ansturm" dachte man bislang eher an die klassischen Ziele; Luzern, Jungfraujoch, Engelberg. Doch unterdessen ist er auch im Frohsinn angekommen. Schließlich gibt es chinesische Reisende, die aufs Geld achten müssen.

Die "Swissness" schwindet

Der Frohsinn war bis vor wenigen Jahren ein Treffpunkt für Stammtische und Gemeindeversammlungen. Jans, der lange in der Politik war, stellte seine Räume auch kostenlos zur Verfügung. Sein Blick fährt über die Holzmöbel im Alpenstil, die geblümten Tischdecken, die bei ihm dazugehörten, gibt es nicht mehr, die "Swissness", also das Schweizerische, mit dem das Land seit der Jahrtausendwende wirbt, wird hier jeden Tag ein bisschen weniger.

Doch Jans will nicht den verbitterten Alten geben, der guten Zeiten hinterhertrauert. Schon als er den Gasthof 1979 von seinen Eltern übernommen hat, war Erstfeld eine schwierige Destination für Hoteliers. Paul Jans dehnte sein Einzugsgebiet aus, warb erst in Süddeutschland, dann in den Niederlanden für die Unterkunft direkt vor dem Tunnel. "Wir hatten immer schon 80 Prozent ausländische Gäste, wir liegen ideal für Durchreisende."

Jeden Abend halten hier zwei Busse, "VIP" steht darauf. Dann fallen die VIPs sofort ins Bett

Jans erinnert sich an all die "Volvos voller Ketchup und Mayo", die plötzlich aus Utrecht und Umgebung angerollt kamen, an die holländischen Ehefrauen, die es sich nie nehmen ließen, ihren Mann aus der Parklücke herauszuwinken. Nach dem Fall der Mauer kamen Ostdeutsche, Tschechen, Ungarn. Jans hatte seine Stammgäste - und einen Globus, auf dem ihm auch "Eskimos, Uiguren, Amerikaner" zeigen konnten, wo sie herkommen. Schiefe Blicke von den konservativen Innerschweizern? Jans schüttelt den Kopf. Man habe das toll gefunden, spannend, wenn Menschen von so weither im Tal auftauchten.

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Heute ist alles gleichförmiger. Jeden Abend halten zwei Busse vor dem Frohsinn, "VIP" steht darauf. Die VIPs sind meist erschöpft, hinter ihnen liegt eine Tagesreise durch die Innerschweiz oder Italien, geführt und streng getaktet. Eine Schale Reis, dann fallen sie in eines der 80 Betten. Von Erstfeld sehen sie nur wenig.

"Ich glaube, das ist ziemlich typisch", sagt Simon Bosshart, der bei Schweiz Tourismus die Chinesen betreut. "So höre ich das zumindest von den Hoteliers." Er selbst habe mit großen Reisegruppen noch kaum Kontakt gehabt. Bosshart konzentriert sich auf Individualreisende. Chinesen, die mit Vorbildung in die Schweiz kommen, um Ski zu fahren, zu wandern, in Bergseen zu baden, ein bisschen zur Ruhe kommen. Die Urlaube machen, für die man keine neue Infrastruktur errichten, sondern höchstens einige Skilehrer mit Mandarin-Kenntnissen einstellen muss.

Sehenswertes bleibt im Dunkeln

"Von den spektakulären Bergwelten, die es in Erstfeld oder Davos zu sehen gibt, bekommen die Pauschal-Gruppen kaum etwas mit" sagt Bosshart. Wenn man in der Dunkelheit anreise, bringe die Übernachtung im "typical alpine village" wenig.

Paul Jans führt in die Zimmer im ersten Stock. Einige sind so, wie er sie 2014 hinterlassen hat. Helles Holz, Blumen, geschwungene Stühle. In anderen "hat der Discounter zugeschlagen", sagt er warnend, während er den Schlüssel ins Schloss führt. Das Ergebnis ist in der Tat bemerkenswert: Duschzellen an den ungewöhnlichsten Stellen, gelb gemusterte Tribal-Tapete, billige Chrom-Futons.

Es ist das Hotel seiner Eltern, in dem jetzt vieles anders ist, als er sich das vorgestellt hatte. Aber sei's drum. Er hat verkauft. Hin und wieder sieht er die Reisenden aus China im Ort, wie sie Fotos von Alltagsszenen machen. "Die Urner werden hier zu Exoten."

Jans sagt: "Ich halte gar nichts von Angstbegriffen wie 'gelbe Gefahr'. Auch wir sind Urlauber und verändern mit Ferienwohnungen in Spanien und unseren Fernreisen die Welt. Jetzt sehen wir einmal die andere Seite. Ist doch spannend!"

Es ist später Nachmittag, die Sonne ist längst hinter den Bergen verschwunden. Von den VIP-Bussen ist nichts zu sehen. Sind sie am Ende nur ein Gerücht? Jans grinst.

Doch, doch, die würden schon noch auftauchen. "Plötzlich dreht man sich um, und sie sind da."

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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