Skandal um Spenden für krebskranke Kinder:Stiefmütterchen Russland

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Selbst aus Hollywood waren sie gekommen, um zu spenden, und als Krönung sang Putin am Klavier. Bei der Benefizgala in Sankt Petersburg kamen viele Spenden zusammen - nun weiß keiner, was mit ihnen passierte.

Sonja Zekri

Inzwischen ist die Affäre sogar in Hollywood angekommen, jedenfalls bei Mickey Rourke. Ja, Mickey habe im Dezember tatsächlich jenes bewusste Konzert in Sankt Petersburg besucht, sagte dessen Agent russischen Medien. Aber, nein, ob dabei Geld gespendet wurde, könne er nicht sagen.

Wenn Sharon Stone zuhört, greift er gern selbst in die Tasten: Der russische Premierminister Wladimir Putin spielte auf dem Benefizkonzert am Flügel vor und sang sogar zwei Lieder. (Foto: AFP)

Olga Kusnezowa, alleinerziehende Mutter der krebskranken Lisa, ist sicher: Es ist Geld geflossen. Aber ihre Tochter hat davon nichts bekommen und das Kinderkrebskrankenhaus Nr. 31, wo Lisa seit drei Jahren behandelt wird, auch nicht.

Dabei waren sie alle da, Rourke und Alain Delon, Gérard Depardieu, Monica Bellucci und Vincent Cassel und all die anderen, die für die Wohltätigkeitsveranstaltung nach Sankt Petersburg gereist waren, ins Krankenhaus, in Lisas Zimmer. Sharon Stone, zu Tränen gerührt, hatte dem Mädchen sogar einen Glücksbringer geschenkt. Auch das Benefizkonzert am nächsten Tag, organisiert von der Stiftung "Föderation", war den kleinen Kranken gewidmet. Krönung des Abends: Ein Auftritt Wladimir Putins.

Nicht ohne Mühe, aber erkennbar sang Russlands Premierminister den Fats-Domino-Hit "Blueberry Hills", später die KGB-Film-Schnulze "Wo die Heimat beginnt" und klimperte ein wenig auf dem Flügel. Die Stars riss es von den Sitzen. Das russische Fernsehen übertrug. Drei Monate später fragt Mutter Kusnezowa: Zehntausende Euro habe ein Platz am Tisch der Schönen und Berühmten gekostet, wo sei das alles hin? In einem offenen Brief an Präsident Dmitrij Medwedjew bohrt sie: "Wer macht Geld mit todkranken Kindern?"

Damit berührt sie gleich mehrere wunde Punkte: die erbärmliche Gesundheitsversorgung, die Familien im Krankheitsfall ins Elend stürzen lässt, die gähnende Kluft zwischen superreich und bettelarm, die Privilegien so weniger, die so vielen das Leben verderben. Wenn Putin und Medwedjew durch das ausgestorbene Moskau rasen, während die Autofahrer in den Seitenstraßen warten müssen, begleitet sie neuerdings ein infernalisches Hupen. Ihre Umfragewerte sind gesunken. Ein leidendes Kind, während sich die Pradaklasse eitlen Spielen hingibt - so etwas kann schnell entgleisen. Während Medwedjew schweigt, versprach daher Putins Sprecher Dmitrij Peskow: Drei Krankenhäuser, eines in Moskau, zwei in Sankt Petersburg, darunter Lisas Klinik, werden neue Geräte bekommen, finanziert durch die Spendengala. Im Übrigen sei Putin Gast gewesen, nicht Veranstalter.

Bis jetzt hat einzig Gérard Depardieu dem Sankt Petersburger Kinderkrankenhaus Nr.1 für umgerechnet 51.000 Euro künstliche Beatmungsgeräte und Infusionspumpen gespendet, so erklärt der Vize-Chefarzt Pawel Korenew im Gespräch mit der SZ. Anatolij Rywkin, Chefarzt in Lisas Klinik Nr. 31, sagt am Telefon: "Wenn wir Hilfe bekommen - wir freuen uns. Aber bis jetzt hat uns niemand angerufen, keiner hat gefragt, was wir brauchen, nichts."

Ohnehin stellt sich die Frage, ob Putin nicht als Regierungschef eher das Gesundheitssystem renovieren sollte, anstatt auf Benefizveranstaltungen zu singen. Mehr noch: Da exponiert er sich vor Weltstars und das Geld, das in seinem Namen gesammelt wurde, verschwindet: "So etwas ist schlimmer als ein Mordanschlag", giftete das Boulevardblatt Moskowskij Komsomolez.

Und die Sache wird jeden Tag undurchsichtiger. Inzwischen weiß man, dass die Stiftung Föderation als Stiftung nirgends eingetragen ist, also weder VIP-Galas organisieren noch Geld verteilen darf und dass sie überhaupt erst kurz vor dem glamourösen Abend ins Leben trat. An ihrer Spitze steht Wladimir Kisseljow, einst Sänger bei der Popband Die Erdlinge, später eine Art Impresario in Kreml-Diensten, der unter anderem Placido Domingo auf den Roten Platz brachte, zudem ein Freund Putins. Kisseljow dementiert jede Verbindung zum einstigen Präsidenten, Putins Sprecher Peskow allerdings bestätigt: Die beiden seien gut bekannt.

Kisseljow sagt auch, dass niemand auch nur eine Kopeke erhalten habe, weder die Stars noch seine Organisation. Die ganze Sache habe das "Bewusstsein" für die kranken Kinder wecken sollen. Dabei hatten russische Politiker berichtet, dass sie zumindest für das Abendessen am Tag nach dem Konzert einiges hingelegt haben. Und dass Superstars wie Mickey Rourke umsonst ihre Zeit opfern, halten Experten für ausgeschlossen. Zudem stand ja schon auf den Eintrittskarten: "Ziel der Veranstaltung sind Spenden für die kranken Kleinen." Der Schaden ist groß, auch für andere Stiftungen, die fürchten, dass nun alle Wohltätigkeitsbemühungen in Misskredit geraten.

Für Wladimir Putin aber war der Gig ein weiterer Ausflug in eine fremde Welt. In testosterongesättigten Milieus, im Kampfflugzeug, zu Pferd oder im Schießstand, mit Tigern, Walen oder satisfaktionsfähigen Judogegnern, ist er Herr der Lage. Im filigraneren Kontext aber fremdelt er. Als er nach einer Moskauer Aufführung von Gribojedows "Verstand schafft Leiden" den Regisseur tadelte, weil die Hauptfigur zu weinerlich geraten sei, warf sich das gebildete Moskau schier weg vor Lachen, andere erinnerten schaudernd daran, dass der letzte Herrscher mit einem solchen Kunstanspruch Josef Stalin war.

Unvergessen auch ein Vorfall vor zwei Jahren: Björn Again, eine Gruppe von Abba-Imitatoren, hatte berichtet, dass sie vor Putin aufgetreten seien, der in Begleitung einer schönen Unbekannten hinter einem Vorhang gesessen habe. Zu "Mamma Mia" habe er mit den Armen gewunken. Zu "Super Trooper" sei er auf seinem Sitz gehüpft. Nichts dergleichen sei geschehen, erklärte Putin-Sprecher Peskow damals, kein Konzert, kein Hüpfen, kein "Mamma Mia".

Und nun also "Blueberry Hills", ein Klassiker, ein Ohrwurm, ein Text mit unvergesslichen Zeilen. Eine lautet: "All deine Schwüre waren niemals ernst gemeint."

© SZ vom 10.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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