Spanien:Teresa Forcades, die rebellische Nonne

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Weit mehr als eine stille Gläubige: Die Nonne Teresa Forcades hat drei Universitätsabschlüsse, lebt bescheiden - und hält sich politisch nicht zurück. (Foto: Edu Bayer/Polaris/laif)

Nonnen sind demütig und weihen ihr Leben ausschließlich dem Gebet, oder? Spaniens berühmteste Ordensschwester hat drei Abschlüsse, spricht fünf Sprachen - und ist genauso linksradikal wie kämpferisch für Frauenrechte.

Von Fabian Federl

Wie Sägeblätter ragt der Montserrat, heiliger Berg der Katalanen, aus dem kargen Boden; eingeklemmt am äußersten Rand: das kleine Kloster Sant Benet. In einem Kämmerchen in der Eingangshalle sitzt eine sehr genervte Nonne. Durch dicke Brillengläser blickt sie den Besucher kurz an. "Sie suchen Frau Forcades, nehme ich an?" Sie nimmt das Telefon: "Teresa, wieder jemand für dich."

Teresa Forcades am anderen Ende der Leitung ist die wohl berühmteste Nonne Spaniens. Und kaum jemand weiß das besser als ihre Schwester im Eingangskämmerchen. 2015, während der spanischen Regionalwahlen, warteten täglich Hunderte Fans, Journalisten und Gegner vor den Klostertoren. Einige waren weit angereist, die Serpentinen des Montserrat hinauf, eine Stunde nordwestlich von Barcelona, um sie einmal zu sehen, die monja rebelde, die rebellische Nonne, die man hier aus den Talkshows, von Demonstrationen und ihren Youtube-Videos kennt, die Hunderttausende Klicks haben.

Teresa Forcades' Bewegung verhalf der Bürgermeisterin von Barcelona zu ihrem Amt

Bisher steht ein halbes Dutzend Menschen auf dem Schotterweg vor dem Kloster, Gläubige, angereist für das sonntägliche Mittagsgebet in zwei Stunden. Das Tor zum Klosterhof öffnet sich, eine Frau im schwarzen Habit betritt mit hektischen Schritten den Vorraum. "Komm", sagt Teresa Forcades, "wir haben nicht viel Zeit."

Sie spricht, als müsse sie sich beeilen, pointiert, und sehr schnell. Deutsch noch schneller als Englisch. Sie wechselt zwischen den Sprachen. Ob Glauben, Mystik oder Politik, sie kennt die deutschen Fachbegriffe, und wenn nicht, dann weicht sie in eine andere ihrer fünf Sprachen aus. Diese Leichtigkeit hat sie zu einer gefragten Rednerin gemacht.

Teresa Forcades ist Ärztin, Gesundheitswissenschaftlerin, Theologin, Abschlüsse in Harvard, Barcelona, New York State. Seit fast 20 Jahren lebt sie auf dem Montserrat, wo schon eine Koalition aus Katholiken, Kommunisten und Künstlern dem Franco-Regime trotzte und heute drei Dutzend Nonnen in Klausur leben. Sie gibt hier Kurse für Städter, die fühlen, dass etwas fehlt, Ruhe, Selbsterkenntnis. Fündig werden sie in Seminaren zu Mystik, Simone Weil, Hildegard von Bingen; aber sie unterrichtet auch in feministischer Theologie und hält Kurse wie: "Die Revolution, heute."

Linksradikale mit Haube

Ihr zweites Leben, unten in der Stadt, ist das der Linksradikalen in Kutte und mit Haube. Sie ist Gründerin des Procès Constituent, einer katalanischen Separatistenbewegung mit mehr als 50 000 Anhängern, antikapitalistisch und beliebt unter Akademikern und Intellektuellen. In einer Zählgemeinschaft mit Podemos und anderen linksalternativen Parteien verhalf Forcades der 42-jährigen Ada Colau zum Amt der Bürgermeisterin von Barcelona.

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Ihre Berühmtheit und die Faszination, die von ihr ausgeht, gründen sicherlich auch auf dem Kontrast zwischen ihren Aussagen und ihrer Erscheinung. Da ist zum einen das jugendliche Aussehen der 51-Jährigen, der benediktinische Habit, da ist ihre ständige Bezugnahme auf das Evangelium oder die katholische Lehre. Und dann sind da Sätze wie diese: "Eine Spiritualität, die privat und individuell ist, passt in den Kapitalismus, ist aber keine Spiritualität." Oder: "Eine Gesellschaftsform auf Basis der Dreifaltigkeit muss antikapitalistisch sein."

Katholizismus und Linkspolitik - das scheint widersprüchlich zu sein. Links heißt antiklerikal, Kirche heißt reaktionär. Oder etwa nicht? Ein Grund für diese Annahme, sagt Forcades, sei ein kirchlicher: Der Fokus auf Sexualmoral seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Ein anderer liege links: Identitätspolitik statt Verteilungspolitik. Im Grunde aber verfolge die Kirche ähnliche Ziele wie linke Politik: die Beschäftigung mit Benachteiligten, Armen, Schwachen - und deren Ermächtigung. "Das Wichtigste an linker Politik ist die Kritik von Privateigentum als absolutem Recht", sagt sie. "Das ist auch die Soziallehre der Kirche - und die Meinung der Mehrheit der Katholiken." Vor Gott gebe es kein Eigentum, solange jemand anderes darauf angewiesen sei.

Forcades fand spät zum Katholizismus. Ihre Eltern waren nur so religiös, wie man es unter Franco zu sein hatte. Im Bücherregal stand dennoch, wie überall sonst, die Bibel. Mit 15 nahm sie das Evangelium erstmals in die Hand und las. "Jesus hat mich damals berührt", sagt sie. Das sei der Erste ihrer Erweckungsmomente gewesen.

Sie beginnt in Barcelona Medizin zu studieren, wechselt später an die State University New York. Physiologie fasziniert sie, die Haut, die Muskeln; die Kontemplation, zu der das Leiden einen zwingt. "Erst im Moment des Leidens sehen wir die machtlose, ungeschönte Menschlichkeit", sagt sie. "Das Wesentliche am Menschen." Als sie in Buffalo, New York, im Krankenhaus arbeitet, steht sie mit ihrem Klemmbrett in der Eingangshalle und sieht, wie die Menschen verschämt beim Empfangspersonal um Hilfe bitten. Die erste Frage ist: "Do you have insurance?" Lautet die Antwort "Nein", ist das Gespräch beendet. "Ich ertrug das nicht", sagt Forcades. Der zweite Erweckungsmoment.

Sie habe schon immer den Drang zur sozialen Gerechtigkeit gehabt, und damals habe sie gedacht, ihm als Ärztin am besten gerecht werden zu können. Doch der medizinische Humanismus beantwortete nicht ihre Fragen. Sie sucht in ihrer Vergangenheit, erinnert sich an ihre erste Berührung mit der Bibel und findet: "Das Evangelium wurde zu meiner Inspiration." Sie legt ihren Arztkittel ab, schreibt sich in Harvard in Theologie ein, und geht mit ihrer halb fertigen Doktorarbeit zurück nach Barcelona.

Bücher über feministische Theologie und Kapitalismuskritik

1997, mit 31 Jahren, steht sie vor den Toren des Benediktinerinnenklosters Montserrat, auf der Suche nach einem Ort, wo sie in Ruhe ihre Doktorarbeit beenden kann. Die Schwestern geben ihr ein Zimmer. Geplant waren vier Monate, inzwischen sind es fast 20 Jahre geworden. Sie schreibt Bücher über feministische Theologie, über Kapitalismuskritik, Verbrechen der Pharmaindustrie. Sie gibt Lesungen, tritt auf Demonstrationen auf. Sie steht neben Yanis Varoufakis in Wien, neben dem Philosophen Srécko Horvath in Berlin, wo sie 2013 eine Gastprofessur der Humboldt-Uni annimmt.

Zurück in Katalonien gründet sie den Procès Constituent und wird eine öffentliche Figur. Immer öfter stehen Interessierte vor den Toren, das Kloster wird zum Thema in Medien und dieser Ort, der eigentlich ein Ort des Rückzugs sein sollte, wird öffentlich. Bis es den Schwestern zu viel wird.

Forcades sitzt jetzt in einem der bunt gekachelten Gesprächskämmerchen und zeigt durch das Fenster. Draußen sammeln sich die Menschen zum Gebet, es wird laut geredet, kein Vergleich aber mit dem Aufruhr von früher. "Ich musste meine Schwestern schützen", sagt sie. Also reicht der Orden eine Petition im Vatikan ein, überraschenderweise kommt die Genehmigung: Forcades darf drei Jahre lang, bis zur nächsten katalonischen Wahl 2019, die einzige Teilzeitnonne von Sant Benet sein.

Das Kloster aber nimmt sie mit in die Politik. Als Vorbild. "Frauen sind natürlich auch in der Kirche strukturell benachteiligt", sagt sie. "Aber: Das Kloster wird seit dem 14. Jahrhundert von Frauen geführt. Ihre Schriften, Mühen und Arbeit bleiben jahrhundertelang in Erinnerung." In der Abtei seien außerdem alle gleich: "Die Klosterregeln des 6. Jahrhunderts besagen: Wer eintritt, legt seinen Namen und damit seine Herkunft ab. Ob Germane oder Grieche ist dann weder nachvollziehbar, noch relevant." Selbst die überzeugendsten linken Bewegungen seien nicht so egalitär.

"El País" nennt sie eine Fake-Nonne

Ihre politische Arbeit hat sie nicht nur zur gefragtesten, sondern auch zur meist kritisierten Nonne Spaniens gemacht. Der Vatikan rügte sie mehrmals wegen ihrer Forderung nach Gleichstellung von Homosexuellen und Frauen in der Kirche. Nach der Veröffentlichung ihres Buches über die "Verbrechen der Pharmaindustrie" wird sie regelmäßig von Ärzteorganisationen verunglimpft, auch weil sie ein sehr fragwürdiges Medikament bewirbt. Die Pharmaindustrie nennt sie "Verschwörungstheoretikerin". Auch ihr Engagement für alternative Medizin bringt ihr viel Kritik ein, El Pais nennt sie sogar Fake-Nonne.

"Ich belege meine Vorwürfe", sagt sie. Sie sei zwar oft angegriffen, noch nie aber verklagt worden. "Der Beweis, dass meine Fakten stimmen."

Der Aufruhr vor dem Klostertor wird unüberhörbar, Forcades steht auf, "kommen Sie mit". Durch die Tür geht es auf den staubigen Vorplatz, die Besucher drängen sich in den Seitenflügel, wo das Gebet stattfinden wird, wie jeden Sonntag. Dass so viele kommen, sagt sie, sei Symptom einer Welt, die die Suche nach Status mit Suche nach Sinn verwechselt. "Die 68er hielten Religion für überwunden." Eine "sozial reflektierte Spiritualität" habe aber überlebt und sei heute stärker denn je. Im Procès Constituent wie im Kloster zieht sie mit ihrer Mischung aus Spiritualität, alternativer Medizin und Kapitalismuskritik Künstler, Akademiker, das grün-linke Bürgertum an. Menschen, die in einer zunehmend global denkenden Welt im Natur-Erlebnis Antworten suchen. "Wer die Suche aufmerksam betreibt, kritisch denkt und von Hoffnung getrieben ist", sagt sie, "kommt automatisch zur Kapitalismuskritik."

© SZ vom 04.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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