Sexismus in Film und Theater:"Du kannst die Rolle haben, aber lass uns erst mal Spaß haben"

Yazmeen Baker

Yazmeen Baker, 38, lebt in Bonn und spielt mit in "Ultimate Justice" und "Kertenkele".

(Foto: Tanja Weber)

Sexuelle Belästigungen, Anzüglichkeiten und Übergriffe sind in der Filmbranche keine Seltenheit. Weitere Schauspielerinnen haben mit der SZ über ihre Erfahrungen gesprochen.

Von Ulrike Schuster

Alle in der Welt des Films und des Theaters können Geschichten erzählen. Geschichten von sexuellen Belästigungen, Anzüglichkeiten, Übergriffen. Besonders natürlich die Hauptbetroffenen: Schauspielerinnen, Regisseurinnen, Assistentinnen. Fünf deutsche Schauspielerinnen haben mit der SZ über ihre Erfahrungen in der Film- und Theaterbranche gesprochen. Die Debatte um #MeToo zeigt: Hollywood ist überall.

Yazmeen Baker, 38, lebt in Bonn

Spielt mit in: "Ultimate Justice", "Kertenkele"

Das ist meinem Ex-Mann passiert: Matt spielte die Hyäne im Musical "Der König der Löwen" in Singapur. Als sein Tierfell verrutscht war, eilte der Regisseur zu ihm und rückte es wieder gerade. In seinem Schritt angekommen, griff er zu. Matt war 25, der Regisseur 30 Jahre alt.

Das Problem beim Mann: Das Opfer hält still. Ein echter Kerl macht sich nicht zum Opfer.

Das ist mir passiert: Ich sprach für eine Rolle in einem Horrorfilm vor. Der Regisseur sagte: "Du kannst die Rolle haben, aber lass uns erst mal Spaß haben." Um Spaß zu haben (Zwinker, Zwinker) lud er mich auf seine Finca nach Mallorca ein. Ich schrieb ihm: Ich will keinen Spaß mit dir. Ich will professionell mit dir arbeiten. Er schrieb: "Du hast einen fetten Arsch, bist absolut talentfrei, du wirst es zu nichts bringen." Er war 45, ich 28 Jahre alt.

So habe ich reagiert: Ich löschte ihn aus meinen Facebook-Freunden.

Das ist passiert: Ein andermal war ich Gastschauspielerin beim Film. Ich trug ein Top mit tiefem Ausschnitt; für den Regieassistenten war das die Aufforderung mir an den Busen zu fassen. "Wollte schauen, ob die echt oder gepush-upped sind", sagte er und grinste.

So habe ich reagiert: Ich habe kein Wort gesagt. Was hätte ich auch sagen sollen? Wem würde man glauben? Dem Crew-Mitglied oder der dreitägigen Gastschauspielerin?

Das ärgert mich: Einer Schauspielerin glaubt man im echten Leben nicht. Als ich Strafanzeige wegen sexueller Belästigung stellte, hieß es vor Gericht: "Ah, sie sind Schauspielerin. Dann weiß man ja, wer nicht die Wahrheit spricht."

Isabel Thierauch, 32, lebt in Berlin

Isabel Thierauch

Isabel Thierauch, 32, lebt in Berlin, und spielt mit in "Tatort Köln", "Soko Hamburg", "Der Bergdoktor".

(Foto: Enno Schramm)

Spielt mit in: "Tatort Köln", "Soko Hamburg", "Der Bergdoktor"

Das war die Situation: Es war die erste Probe mit dem Regisseur. Ich bewundere ihn. Er schafft es aus jedem Schauspieler das Beste rauszuholen. Nicht so bei mir.

Das ist passiert: Er rief: "Mann, bist du geil", "Ich will es dir von hinten geben", "Oh ja, mehr, Baby".

So habe ich reagiert: Ich versuchte mitzuspielen und konnte es nicht. Ich wollte etwas sagen und blieb stumm. Ich wollte von der Bühne gehen, und blieb stehen. Hinter der Bühne habe ich geweint.

Das machte mich wütend: Ich hatte nicht den Mut zu sagen: "Das ist nicht mehr Kunst."

Das enttäuschte mich: Meine Kollegen. Alle schauten zu und keiner sagte ein Wort.

Das ist der Alltag: Schauspielkollegen schauen mir ungeniert in den Ausschnitt und sagen "schicke Hupen". Ein Regisseur brüllt: "Los, wackel mit dem Arsch!", "Wir wollen Titten sehen!". Ein anderer Regisseur lässt beim Vorbeigehen den Stift fallen und schaut mir beim Aufheben unter den Rock. Sein Kamerateam schaut zu und lacht. Also lässt sich der Regisseur in der Hocke sehr lange Zeit, damit seine Jungs sehr lange was zum Lachen haben.

Das gibt's wirklich: Die Besetzungscouch mit obszönen SMS vorab: "Will dich treffen, find dich heiß, will Sex mit dir." Eine Freundin ist darauf eingegangen. Sie hat die Rolle bekommen. Sie fragt sich immer noch, ob sie die Rolle auch anders bekommen hätte.

Der Regisseur rief: "Mehr Einsatz unter der Bettdecke"

Elinor Eidt, 30, lebt in Berlin

Elinor Eidt

Elinor Eidt, 30, lebt in Berlin, und spielt mit in: "Die Fallers", "Sturm der Liebe", "Im Labyrinth des Schweigens".

(Foto: Stefan Klüter)

Spielt mit in: "Die Fallers", "Sturm der Liebe", "Im Labyrinth des Schweigens"

Das ist passiert: Ich sollte eine junge Frau spielen und möglichst naiv wirken. Der Dramaturg forderte mich auf, mich auf seinen Schoß zu setzen. Ich sollte den Vater in ihm sehen. Ein anderes Mal, in einer Sexszene, ging es nicht heftig genug zur Sache. Der Regisseur rief: "Mehr Einsatz unter der Bettdecke". Und oft stecken einem die Kollegen die Zunge in den Hals, obwohl es das für den Kuss auf der Bühne nicht braucht.

Das passiert ständig: "Jetzt mach doch mal eine Saftkur", "Nimmst du zu viel vom Buffet, nehm ich dir die Hälfte wieder weg", das hört man ständig. Nie ist man dünn genug.

Das frage ich mich: Wo fängt die Rolle an und wo hört sie auf? Wo hört die Professionalität auf und wo fängt die persönliche Lust an? Weiß keiner.

Das ärgert mich: Mit Sprache fängt Sexismus an. In Drehbüchern mit offenen Rollen kann der Regisseur frei wählen, welche Textpassagen er welchem Geschlecht zuteilt. Er könnte es. Er tut aber immer das gleiche: Der Schauspielerin teilt er die naiven, kümmernden Sätze zu, dem Schauspieler die mutigen und intelligenten Sätze. Eine starke Frau will sich kaum ein Regisseur vorstellen.

Das lässt mich hoffen: Die Regisseurinnen wollen sich starke Frauen vorstellen. Sie führen anders Regie. Beispielswiese sehen Frauen Erotik oft schon in einem Blick oder einer Berührung. Männer sehen Erotik meist erst im Wilden. "Streich' ihm über die Wange", sagt die Regisseurin. "Schieb ihr die Hand unter die Bluse", sagt der Regisseur.

Friederike Maria Nölting, 27, lebt in Berlin

Friederike Nölting

Friederike Maria Nölting, 27, lebt in Berlin, und arbeitet als freiberufliche Schauspielerin und Synchronsprecherin an wechselnden Theatern.

(Foto: Julia Tänzer)

Arbeitet als freiberufliche Schauspielerin und Synchronsprecherin an wechselnden Theatern in und um Berlin. Zuletzt spielte sie am Berliner Ensemble in "Faust" und der "Dreigroschenoper".

Das ist auf dem Weg ins Theater passiert: Ich lief durch die Bahnhofshalle, da greift mir ein Kerl in den Schritt und ruft: "Alles Fotzen hier."

Das hat mich geärgert: Ich hatte "Arschloch" auf der Zunge und konnte es nicht sagen.

Auch das ist auf dem Weg ins Theater passiert: Weil der Kerl von der Mitfahrgelegenheit mich von zu Hause abgeholt hatte, sagte er: "Ich habe was für dich getan, jetzt können wir zusammen doch ein bisschen mehr tun." Ich hatte den ersten Fuß schon auf den Asphalt gesetzt, da lachte er und sagte: "Sehe ich wie ein Vergewaltiger aus?" - "Mit 'wir machen ein bisschen mehr', meinte ich, die Fahrt kostet dich mehr. 13 statt 10 Euro."

Das ärgerte mich: Ich stieg wieder ein und schämte mich für mein Verhalten.

Das ist im Theater passiert: Für sechs Wochen langes Proben mit Sechs-Tage-Woche bot man mir zuletzt 1000 Euro Bruttogehalt. Als ich mit dem Regisseur darüber verhandeln wollte, sagte der: "Du bist eine Frau. Du wirst immer weniger verdienen als ein Mann."

Nele Kiper, 34, lebt in Köln

Nele Kiper

Nele Kiper, 34, lebt in Köln, und spielt mit in "Inga Lindström - Das Postboot in den Schären", "Hochzeit in Rom" und "Der Gute Bulle".

(Foto: Fabian Stuertz)

Spielt mit in: "Inga Lindström - Das Postboot in den Schären", "Hochzeit in Rom", "Der Gute Bulle"

Das ist passiert: Mein damaliger Agent sagte zur mir "Zieh dich sexy an, wecke den Beschützerinstinkt bei den Männern."

Auch das ist passiert: Beim Casting für einen Horrorfilm rief der Regisseur: "Zieh dein T-Shirt hoch, beweg dich noch ein bisschen sexier." Meine zwei Schauspielkollegen beorderte der Regisseur direkt zu sich nach Hause. Sie sollten zur Probe Knutsch- und Nacktszenen auf seinem Bett drehen. Er wolle sich überzeugen, dass die Chemie zwischen den beiden stimme. Das Video zeigte er danach allen möglichen Leuten und machte Sprüche über die Brüste der Frau.

Und das ist passiert: Ein Regisseur sah mich in der Hauptrolle für seinen neuen Film. Abends bei Pizza und Wein wollte er mit mir darüber sprechen. Um 20 Uhr ging es am Ku'damm noch um das Drehbuch und die Rolle. Um 22 Uhr ging es um die Frage, ob ich mit zu ihm komme. Ich sagte "Nein". Gehört habe ich nie wieder von ihm, bekommen hat die Rolle eine andere.

Das ärgerte mich: Ich schämte mich. War es meine Schuld, dass ich reduziert wurde? Sollte ich aufhören mich zu schminken, mich unauffälliger kleiden?

Das habe ich gelernt: Sich immer mittags verabreden.

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