Mode: Der Ostblock-Chic:Die Mauerblümchen

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Blasse Farben, monströse Trenchcoats und russische Fellkappen: Auch die Mode feiert den Mauerfall. Wie? Ist doch klar: Mit dem Ostblock-Chic.

Verena Stehle

Mal angenommen, die ehemalige DDR wäre eine Farbe: Sie wäre ein ins Plattenbaugrau gehendes Beige-Grün. Sie würde also, laut einer dieser Farbtabellen, zwischen "Chino" und "Distelgrün" changieren. Das genau ist auch der Ton, den die neuen, zu groß geschnittenen Herbsttrenchcoats von Burberry Prorsum haben. Diese und andere Schützengrabenmäntel tragen neuerdings auch junge Modemenschen spazieren, nicht selten mit großen Schulterpolstern. Zuletzt sah man solche monströsen Trenchcoats an einem ganz bestimmten Tag: dem Tag, als die Mauer fiel.

Eine neue Generation Trümmerkinder: Die Mode feiert den Mauerfall. (Foto: Foto: Cheap Monday)

Pünktlich zu den Mauerfall-Festlichkeiten zelebriert die Mode, das antizyklische Luder, eine kleine, feine Ostalgie-Party; und eingeladen sind reiche Töchter, hybride Stylisten und modetolle Großstadtkids. Es ist fast, als würde die Mauer noch stehen: In manch einem Trendshop kommt man sich vor, als stünde man gerade am Wühltisch im JuMo-Kaufhaus, der DDR-Version von H&M.

Etliche Modeartikel strahlen genau jenen Ostblock-Chic aus, wie er in seiner uniformen Tristesse nur am Tag des Mauerfalls sichtbar wurde, als er sich an den Grenzübergängen zusammenballte und in die Geschichtsbücher einging.

Heute sind sie alle zurück: diese unsäglich blassen Töne, bei denen man wirklich nicht von Farben sprechen kann. Unförmige Karottenjeans und noch unförmigere Jacketts. Oder diese russischen Fellkappen und "Chapkas", Pelzmützen mit Ohrenklappen, wie direkt aus dem Spind der NVA. Und wer im Jahr 2009 ein respektierter Schuhdesigner sein will, muss weiße, knöchelhohe Turnschuhstiefelchen in seiner Kollektion haben, die aussehen wie jene vor 20 Jahren: Der kalifornische Modemacher Rick Owens scheint seine von Mauerfallbildern abgepaust zu haben, bei seinem französischen Kollegen Pierre Hardy sind sie schon ausverkauft.

Das Comeback der Dauerwelle

Es sind nicht sehr viele, aber es gibt sie: Leute, die sich heute sehr bewusst so kleiden, wie das vor zwanzig Jahren in der DDR und noch weiter im Osten Sitte war. Vor allem in skandinavischen Modeblogs wie "CopenhagenStreetStyle" stehen zwischen all den vanilleblonden Sophies und Holzfällerhemd-Gustafs immer wieder Wesen, die aussehen als hätten sie sich 1989 in Karl-Marx-Stadt einfrieren und jetzt wieder auftauen lassen.

Pelzhauben mit sozialistischem Flair sind, wie schon gesagt, sehr angesagt. Taillenhohe Bundfaltenhosen. Und olle Flohmarkt-Stiefel. Und eh man sich's versieht, fährt in einem Berliner Blog eine junge Frau in einem enormen DDR-farbenen Trenchcoat am Mauerpark vorbei. Nein nein, hier werden nicht wieder nur die späten Achtziger abgefeiert! Die jungen Leute sehen aus, als würde noch der Schutt der Mauer zwischen ihren Füßen liegen. Sie geben sich wie eine neue Generation Trümmerkinder.

Ein solches Mauerfallmädchen trieb sich kürzlich sogar in London herum. Wer hier aussieht wie irgendeine Zonen-Peggy, ist die Tochter des Altrockers und chronischen Weltverbesserers Bob Geldof, Little Pixie, die gerade von Heathrow zu einem Plattenstudio rübermacht. Die Britin war bei der Wende zwar noch nicht mal geboren, beherrscht den Mauerfall-Chic aber, als wäre sie am 9. November dabei gewesen: Auf dem Kopf etwas, das aussieht wie eine rausgewachsene Dauerwelle (Dauerwellen, prophezeihen Starfriseure, sind wieder schwer im Kommen).

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Und erst ihr Oben-Jeans-unten-Jeans-Look! Auch die Bewohner der ehemaligen DDR waren regelrechte Jeans-Junkies: Sie gierten nach dem besten Stoff, Levi's, und weil der meist unerreichbar war, kompensierten sie das mit so viel Jeans wie möglich. Der Jeans-Jeans-Trend war in westlicheren Gefilden über Jahrzehnte nicht geduldet, bis ihn kürzlich Twenty8Twelve für Frühjahr 2010 auf den Laufsteg schickte, das Modelabel der britischen Schauspielerin und Stilikone Sienna Miller. Richtig authentisch wäre Miss Geldofs Outfit mit einem blassen Genossen an ihrer Seite - in Marmorjeans und Trainingsjacke. Und einer Kiste Bananen.

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Die Marmorjeans waren gewissermaßen das Crystal Meth der Deutschen Demokratischen Republik. Die gefleckten Jeans konnte man leicht selbst herstellen, und was man dafür brauchte, war billig und stand im Putzschrank. Die verknotete Hose badete man in Bleiche, bearbeitete sie mit dem Bimsstein, und schon war selbst tiefstes Nachtblau marmoriert.

Am Tag, als die Mauer fiel, trugen ganze Großfamilien Marmorhosen und oft auch Marmorblousons. Im West-Jargon heißen die Hosen seit jeher Moonwashed-Jeans; und es dürfte wenig überraschen, dass auch die marmorierte Hose unter heutigen Szenehüpfern als das Fundament ihrer Garderobe gilt. Je unförmiger, desto besser; und die besten machen die Schweden von Cheap Monday.

So viel steht fest: Der Ostblock-Chic hat ob seiner weltweiten Ausmaße - Berlin, Kopenhagen, London, und er wurde auch schon in Los Angeles gesichtet - mutmaßlich mehr mit dem globalen Zeitgefühl zu tun als mit einem Jahrestag. Erst recht nichts hat er mit der Ostalgie zu schaffen, dieser Sehnsucht nach dem Osten, die um das Jahr 2003 das Land mit kitschigen DDR-Memorabilien überschwemmte wie Honecker-Shirts und Ampelmännchen-Kaffeebecher.

Der aktuelle Ostblock-Chic bedient sich nur der Ost-Ästhetik, und das in fast fotorealistischer Weise. Im Grunde ist er nichts weiter als eine hässliche Ausdünstung der Mode: eine dieser Anti-Moden, die die Branche immer wieder braucht, um mal runterzukommen von ihrer Grellheit und Exaltiertheit. Und für reiche Töchter, hybride Stylisten und modetolle Großstadtkids ist es die Chance, endlich wieder richtig aufzufallen. Vielleicht ist das überhaupt der einzige Look, den unsere Zeit verdient. Die Welt da draußen - Schneeregen, Schweinegrippe, Staatshaushalt - ist ja auch ein bisschen trist und hässlich, wenn man von den paar goldenen Herbstblättern einmal absieht.

Etwas Schönes bringt dieser Trend doch mit sich. Für den Osten wird diese Entwicklung vielleicht eine kleine Genugtuung sein: Über Jahrzehnte verzehrte er sich nach West-Utensilien, und wer nicht eine spendable Großtante Erna im Westen hatte oder in einem Extraverkauf vor Weihnachten eine Levi's abgreifen konnte, musste sich mit DDR-Imitaten begnügen wie Cottino-Hosen. Und jetzt, nach all dieser Zeit, will der Westen selber so aussehen.

Ob das den Osten freut? Insgeheim bestimmt! Schließlich weiß keiner so gut wie er, was plattenbaugraues Beige-Grün bewirkt: einen Teint, als hätte man Schweinegrippe im Endstadium.

© SZ vom 07.11.2009/bre - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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