Kinderbetreuung:Rechtsanspruch auf Kita-Platz hält nicht, was er verspricht

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Eltern haben Anspruch auf Schadenersatz, wenn sie keinen Kita-Platz für ihr Kind ergattern. (Foto: picture alliance / dpa)

Bitten, betteln oder klagen: So sieht die Realität für viele Eltern aus, wenn sie einen Betreuungsplatz für ihr Kind suchen. Das BGH-Urteil ist nun eine Erleichterung.

Kommentar von Ulrike Heidenreich

Was für lächerliche Szenen in Kinderkrippen: Eltern, die Kuchen vorbeibringen, obwohl ihr Kind die Einrichtung noch gar nicht besucht. Frauen mit flachem Bauch, die dringend auf die Warteliste wollen, weil sie ja bald schwanger sein könnten. Derart verzweifelte Aktionen, meint man, seien seit dem 1. August 2013 passé. Schließlich gibt es ja seitdem auf Betreuungsplätze einen Rechtsanspruch. Ein großes Wort: so bürokratisch, so verbindlich. Doch dieser Rechtsanspruch hält nicht, was er verspricht. Die Gerichte müssen, bitter nötig, immer wieder nachjustieren. Es ist eine Erleichterung, was nun der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden hat: Eltern haben Anspruch auf Schadenersatz, wenn sie keinen Kita-Platz für ihr Kind ergattern und folglich nicht arbeiten können.

BGH
:Eltern ohne Kita-Platz haben Anspruch auf Schadenersatz

Das hat der BGH entschieden. Geklagt hatten drei Mütter, die mangels Kita-Plätzen erst später in den Job einsteigen konnten. Das Urteil hat Signalwirkung.

"Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in einer Kindertagespflege." So lautet die Regelung im Sozialgesetzbuch, die seit gut drei Jahren gilt. Nun füllt sich dieser Rechtsanspruch mit Leben: erstens durch all die Betreuungsplätze, die nach seiner Einführung erst mal geschaffen werden mussten, zweitens durch Streitfälle aus dem realen Kindergartenalltag.

Der Rechtsanspruch ist da. Man muss ihn aber auch einfordern

Die Bilanz sieht auf den ersten Blick erfreulich aus: 720 000 Kinder unter drei Jahren besuchen derzeit eine Tagesstätte, jedes Jahr wird ein Plus von 30 000 vermeldet. Das heißt, dass die Kinder dort einen Platz bekommen haben und ihre Eltern ohne nervtötendes Hin- und Her-Organisieren arbeiten können. Insgesamt sind für unter Dreijährige in der vergangenen Dekade weit mehr als 400 000 Betreuungsplätze neu geschaffen worden. Ein gewaltiger Kraftakt von Bund, Ländern und Trägern, der aber nur gelingen konnte, weil Druck da war; zuletzt durch den Rechtsanspruch.

Was dieser noch bewirkt hat? Längst nicht, dass Eltern automatisch, quasi von Staats wegen, einen Kita-Platz bekommen. Das hängt auch davon ab, wo man wohnt, es gibt große regionale Unterschiede. Dramatisch ist der Mangel immer noch zum Beispiel in München und in großen Städten Nordrhein-Westfalens. Hier heißt es: bitten, betteln und manchmal Kuchen backen - oder eben sich das nicht gefallen lassen und klagen. Grundsätzlich ist die Not im Westen größer als im Osten, außer im schnell wachsenden Leipzig. Von dort kommen auch jene drei Mütter, die Lohnausfall geltend gemacht haben und vom BGH im Grundsatz recht bekamen.

In Leipzig ist noch eine dreistellige Zahl von Klagen gegen die Stadt anhängig. Für die Richter gibt es also weiter einiges zu klären. Bisher haben sie Eltern Ersatz für Mehrkosten zugesprochen, wenn diese in eine teurere Privat-Kita ausweichen mussten. Es ist das erste Mal, dass Verdienstausfall ein Kriterium darstellt, und dies ist richtig. Sinn und Zweck einer Krippe ist nicht nur, dass Kinder gefördert werden. Kitas sollen auch die Eltern fördern - indem diese Freiraum bekommen und arbeiten können.

© SZ vom 21.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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