Kinder in Haiti:Adoption ist keine Hilfe

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Nach dem Erdbeben in Haiti melden sich immer mehr Deutsche, die ein Kind aus dem zerstörten Land adoptieren wollen. Experten raten von solchen Spontanentscheidungen ab.

Ulrike Bretz

Bei Jutta und Thomas Diehl aus dem Münsterland steht das Telefon nicht mehr still. Das Paar hat 2006 zusammen mit Freunden den Verein Haiti-Not-Hilfe e.V. gegründet. Schon vorher hat sich das Paar, das drei leibliche Töchter hat, für das arme Land engangiert - und zwei Kinder aus Haiti adoptiert.

In Haiti schlägt die Stunde der Kinderhändler - sie haben im Erdbebengebiet ein leichtes Spiel. Trotzdem stellt die Adoption von Kindern aus dem Karibikstaat im Moment keine Hilfe dar. (Foto: Foto: dpa)

Sie wollen anderen Menschen Mut machen, ein haitianisches Kind zu adoptieren, schreiben sie auf ihrer Homepage. Doch von der Masse der Anfragen, die seit dem verheerenden Erdbeben auf der Insel auf sie einstürmen, ist Jutta Diehl überrascht.

Zehn bis 15 Mal am Tag rufen Menschen bei ihr an, hinzu kommen nochmal so viele E-Mails. Alle haben dasselbe Anliegen: Es sind Paare, die Haiti helfen wollen, in dem sie ein Kind aus dem zerstörten Land adoptieren. Von deren Leichtfertigkeit ist Jutta Diehl überrascht. "Die Leute meinen es natürlich gut", sagt sie. "Aber das sind Spontanentscheidungen. Die Paare denken, sie hätten genügend Platz im Haus, dann könnte man ja ein Kind adoptieren. Aber so eine Entscheidung muss man sich reiflich überlegen."

Besonders verwundert ist sie über die Anrufe von älteren Paaren. "Es rufen Leute an, die über 60 Jahre alt sind und wissen, dass sie eigentlich zu alt dafür sind, ein Kind zu adoptieren. Sie sehen nun ihre Chance, dass es doch noch klappt", sagt Diehl. "Dass das Kind aber erst mal für einige Jahre in der Familie bleibt, daran denken die wenigsten." Deshalb rät sie den Interessenten, lieber noch einmal über diese Enscheidung nachzudenken.

Im Moment steht in dem Karibikstaat ohnehin alles still, die Strukturen sind zusammengebrochen, auch in Sachen Adoption. Darauf hat nun auch die Bundeszentralstelle für Auslandsadoptionen in einer Pressemitteilung hingewiesen - denn auch dort gehen derzeit vermehrt Anfragen von Deutschen ein, die helfen wollen.

An einem Adoptionsverfahren führt kein Weg vorbei

Für diese Hilfsbereitschaft sei man dankbar, heißt es in der Mitteilung. Aber: "Die Adoption von Kindern aus der momentanen Situation heraus stellt keine geeignete Maßnahme zur humanitären Soforthilfe dar." Schließlich sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar, welche Kinder tatsächlich zu Waisen wurden; möglicherweise gebe es noch überlebende Verwandte. Außerdem müssten Bewerber generell "die notwendige Beratung und Überprüfung durch eine Fachstelle durchlaufen haben".

Ähnliches hört man von der Gemeinsamen Zentrale Adoptionsstelle (GZA) in Hamburg. Oft handle es sich bei den Anrufern um Paare, die sich noch gar nicht mit der Frage von Auslandsadoptionen beschäftigt hätten, sagt die stellvertretende GZA-Leiterin Brigitte Siebert. An der juristischen Prüfung der Eltern und ihres Anliegens führe aber kein Weg vorbei. "Die Hoffnung, schnell und unbürokratisch ein Kind aus Haiti aufnehmen zu können, wird sich nicht erfüllen."

Auch beim Verein Help A Child, der normalerweise etwa 60 haitianische Kinder pro Jahr an deutsche Adoptiveltern vermittelt, klingeln die Telefone ununterbrochen. Doch auch dort ist man kritisch und hält ein sorgsames Adoptionsverfahren und eine Vorbereitung der Eltern für unabdingbar. "Einfach zu sagen, wir machen ein Flugzeug voll und dann kriegt ihr ein Kind, das geht nicht", sagte Leiterin Bea Garnier-Merz.

Etwas anderes sei das bei abgeschlossenen Adoptionsverfahren, bei denen Kinder bereits deutschen Paaren zugewiesen wurden. Ihre Organisation bemühe sich beim Auswärtigen Amt darum, dass diese Kinder "sofort" nach Deutschland gebracht würden, sagte Garnier-Merz.

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Laut der britischen Zeitung The Guardian herrscht in den USA dieselbe Situation. Demnach berichtet der Joint Council on International Children's Services, der mehr als 200 internationale Adoptionsvermittlungsstellen vertritt, dass innerhalb von drei Tagen 150 Adoptions-Anfragen eingegangen seien. Normalerweise seien es zehn in einem Monat. Kinderhilfsorganisationen in den USA appellieren nun an adoptionswillige Paare, sich vorläufig noch zurückzuhalten. Sie befürchten, mit Massenadoptionen Familien zu zerstören und dem Kinderhandel Tür und Tor zu öffnen. Wer wirklich helfen wolle, erreiche mit Spenden deutlich mehr.

Die Interessenten müssen sich also in Geduld üben. Und doch: Die Zeit läuft gegen die Kinder von Haiti. Terrre des Hommes warnt bereits vor Kinderhändlern und Schleppern, die derartige Notlagen ausnützen würden. Wie die amerikanische Zeitschrift The Atlantic berichtet, blühe in der zerstörten Hauptstadt Port-au-Prince der Kinderhandel bereits auf. Menschenhändler wittern ihr großes Geschäft, und sie werden fündig.

Ein Kind für zehn Dollar

Denn Tausende traumatisierte Kinder irren durch die Trümmer der Stadt, auf der Suche nach ihren Eltern. Die Lage in den Kinderheimen ist katastrophal, und sie spitzt sich weiter zu, berichteten Helfer. Auch die unzähligen Straßenkinder sind ohne jegliche Betreuung. Weil die öffentlichen Einrichtungen brachliegen und die Menschen ums nackte Überleben kämpfen, haben Kinderhändler ein leichtes Spiel.

Für Unmut hat unterdessen eine Äußerung der Fernsehmoderatorin und Unicef-Botschafterin Sabine Christiansen über Adoption in Haiti gesorgt. In der ARD-Sendung Anne Will Extra hatte sie am Sonntagabend zur Lage vor dem Erdbeben gesagt: "Sie haben eine Adoption für zehn Dollar bekommen. Auf dem Flughafen hat man nur weiße Ehepaare mit kleinen haitianischen Kindern gesehen, weil sie nichts kosteten."

Help a Child e.V. und der Verein Haiti-Kinderhilfe e.V. haben von Sabine Christiansen eine öffentliche Entschuldigung gefordert. Neben den biologischen Eltern würden mit ihren Äußerungen auch die Adoptiveltern beleidigt und mit skrupellosen Menschenhändlern gleichgestellt. Die Moderatorin hat die Vorwürfe inzwischen zurückgewiesen und betont, dass legale Adoptionen in keiner Weise auf eine Stufe mit illegalem Kinderhandel zu stellen seien.

Auch Jutta Diehl aus dem Münsterland hatte sich über die "pauschale Aussage" von Christiansen geärgert. Denn die Adoptionen würden in der Regel rechtmäßig ablaufen - und seien tatsächlich eine große Hilfe.

Deshalb rät sie auch niemandem generell davon ab, ein Kind aus Haiti zu adoptieren. Im Gegenteil: "Wenn es ein langgehegter Wunsch ist, sollte man sich ans Jugendamt wenden - das ist der offizielle Weg", sagt sie. Es dauere ohnehin bis zu einem Jahr, bis ein Adoptionsantrag überprüft ist. Bis dahin könnte es in dem zerstörten Karibikstaat schon anders aussehen. Wenn die erste Not überstanden ist, kommen die Kinder aus den überfüllten Heimen zurück auf die Straße. Und dann sind wieder viele Adoptiveltern gefragt. Auch in Deutschland.

Auch ohne Naturkatastrophen wie das Erdbeben vom 13. Januar bieten die ärmlichen Verhältnisse in dem Land einen Nährboden für Menschenhandel. Experten schätzen, dass jedes jahr 250.000 Kinder Kinder als Sklaven verkauft werden, oftmals von den eigenen Eltern. Die Mädchen werden meist als private Prostituierte gehalten, Jungen als billige Arbeitskräfte. Physischer und sexueller Missbrauch ist bei den Kindern an der Tagesordnung.

Nach Schätzungen von Unicef werden jedes Jahr mindestens 1300 Kinder zu neuen Eltern ins Ausland vermittelt, was dem Land bereits den Vorwurf einbrachte, Kinderhandel zu betreiben. Das wichtigste Aufnehmerland ist Frankreich. Die Dunkelziffer des illegalen Kinderhandels liegt weitaus höher.

© sueddeutsche.de/dpa/AP/AFP/bre - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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