Immer regnet es in Deutschland:Traurig triefende Tropfen

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Alles fließt - und grünt so grün: Kindern wachsen Schwimmhäute und es riecht nach alten Männern. Deutschland im Sommer 2009.

Bernd Graff

Die Erkenntnis eines Sommers, sagen wir im Jahr 2009, diesseits der Alpen: Selbst wenn es einmal nicht regnet, dann könnte es regnen. Das muss man wissen und bedenken in diesem Maijuni, in dem das Grün so grün und fleischig, so trofftriefendtropfend schlaff und kalt herunterhängt an Bäumen und Sträuchern - oder sprießt aus matschiger Erde. Herr es regnet: Herr es sprießt, aber lass doch endlich Sommer werden! Vergebens.

Der Schlamm steht bis zum Hals: Deutschland versinkt im Regen. (Foto: Foto: "Apocalypse Now", Coppola)

Im Ernst: Dieser sogenannte Sommer, er ist deprimierend nass. Wie das Frühjahr ja auch schon. Es macht doch gar keinen Unterschied mehr, was man wann anzieht, im Juni wie im November, immer dieselben schweren Plutten, die nach ausreichend Wässerung, und was wäre in diesen Tagen nicht ausreichend gewässert?, lotrecht zum Erdmittelpunkt wollen, so schwer und tropfend sind sie geworden.

Und riechend tut es allerorten nach alten Männern: modrig, sumpfig, Geruch von nassen Hunden selbst in den Parfümabteilungen der Kaufhäuser. Aber gierig grün und blank gewaschen, ist alles Grün dort draußen, da hält kein Stäubchen mehr, so glitschig ist es. Oh Herr, es tropft, es tropft. Und wie es tropft!

Den Kindern wachsen Schwimmhäute, den Damen Meerjungfrauflossen - und der Herrenschneider "Boss" fertigt die neueste Anzugreihe aus Neopren. Flüsse steigen über die Ufer, unsere Isar sieht schon aus wie ein nie bereister Dschungelfluss - mindestens Apocalypse-Now-Kaliber, überall an den Säumen dieses üppige Wuchern. Menschen haben jetzt Algen zwischen den Zähnen. Es gibt rückenschwimmende Kühe auf den Weiden. Es plätschert und pfützt. Scheiben zeigen Schlieren, nur noch verwaschene Schlieren, jedes Aquarium wird blass vor Neid. So viel Wasser.

Angeblich will die Duden-Redaktion die Wörter Dürre, Rasensprenger und Sonnenstich aus dem nassen Wortschatz streichen und dafür siebzig neue Wörter für Regen einführen. Schnürlregen wird heuer Wort des Jahres. Den Allergikern, ja nun, denen geht's ein wenig besser, weil Pollen nicht mehr fliegen, nur fortgespült werden im mahlenden Strom durch Wiesen und Täler.

Ein stetiges Tropfen wie Tinnitus

Und immer sollt ihr bedenken: Sollte es einmal nicht regnen, es könnte doch! In diesem Sommer ohne Sonne wird kein Wein mehr reifen, nur Mineralwasser. Dem Obst fehlt Sonne auch. Die Schutzmittelindustrie liegt darnieder. Die angeschlagene Automobilindustrie, indes, sie sucht Rettung im Bau von Amphibienfahrzeugen. Baron Guttenberg soll schon eines als Dienstfähre geordert haben.

Piëch wird Reeder und Porsche baut Tanker. Frau Merkel absolviert erste Staatsempfänge in Gummistiefeln. Überhaupt die Hersteller von Anglerbedarf und Schirmen und Ostfriesennerzen, sie haben jetzt und immerdar Hochkonjunktur. Sage noch einer, der Deutschen Wasserwirtschaft gehe es schlecht! Pah!

Und im Hintergrund, da vernimmt man dieses stetige Tröpfeln und Tropfen wie Tinnitus, diese Wasserfälle der Herzen, die den Hörgang aushöhlen. Und wer noch nach draußen geht, ist schon patschnass, bevor die Schwelle überschritten ist. Aber wer geht denn noch nach draußen? Was trocknet noch? Wozu Wäsche aufhängen, wie auch? Und ist doch eh alles immer klamm! Feuer, richtig loderndes Feuer, das haben wir auch schon lange nicht mehr gesehen.

Die Raucher, man bedauert sie, können ihrer Lust nicht mehr frönen vor den Gaststätten. Und alle Vögel, sie zeigen sich nicht. Lieder am Lagerfeuer, vergessen, perdu! Staub, weggeflutet und verronnen. Die "Feuchtgebiete" von Frau Roche, sie finden keine Leser mehr. Feuchtgebiete haben wir ja auch so genug.

Haben wir je über England gelacht? Sorry Gentlemen! Wir verstehen euch jetzt, begreifen eure verwässerte Küche und die themseartig wabernden Regierungsansprachen eures Premierministers. Und euch, ihr Frösche, ihr gemeinhin unterschätzten Tiere, euch wollen wir nacheifern. Morast is our Castle. Kiemen und Lungen zugleich, das wär's! Im Radio laufen die Beatles: "Yellow Submarine". Man kann es wirklich nicht mehr hören. Aber morgen wird's besser. Sicher. Morgen.

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