Im Interview: Anna dello Russo:Die Mode-Jägerin

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Sie ist die meistgebloggte Frau im Netz, ihre Outfits sind berüchtigt und ihre Klamotten wohnen in einem eigenen Appartement: Anna dello Russo, Chefin der japanischen Vogue.

Julia Werner

Für drei Wochen Modenschauen benötigt sie 100 Outfits. Deshalb verfügt Anna Dello Russo über zwei Apartments: eines für ihre Kleider, eines für sich und ihre Pinscherhündin Cicciolina. Kein Wunder, dass manche in der 48-jährigen Apulierin ein übergeschnapptes Fashion-Victim sehen. In der Modewelt aber ist Anna Dello Russo, die in Mailand lebt und arbeitet, längst berühmt für ihre virtuos zusammengefügten Outfits: Lanvin-Cocktailkleid am helllichten Tag, Worth-Couture bei Schneesturm.

Da freut sich Signora dello Russo: Sie sitzt bei allen wichtigen Fashion Shows in der ersten Reihe und berichtet darüber in ihrem beliebten Mode-Blog. (Foto: Getty Images)

Und mittlerweile ist sie auch im Internet so was wie ein Star: Sie ist die meistgebloggte Frau im Netz. Der Erfinder des Modeblogging, The Sartorialist Scott Schuman,erklärt sich das so: ,,Die meisten Menschen kleiden sich aus Statusgründen. Anna tut es ganz einfach, weil sie Mode liebt.'' Zum Interview erscheint sie allerdings in Abercrombie & Fitch - ihr Morgen ist Yoga und Schwimmen gewidmet, denn ,,Sport ist essentiell, wenn Mode gut aussehen soll.'' Der erste Eindruck: gar nicht übergeschnappt. Eher sehr sanftmütig.

Süddeutsche Zeitung: Signora Dello Russo, Sie bezeichnen Ihre Existenz als Modeblog-Ikone als zweite Karriere, aber auch als harte Arbeit. Was ist so anstrengend daran, hier und da ein wenig für die Blogger und Fotografen zu posieren?

Anna Dello Russo: Wir Modeleute standen schon immer im Wettbewerb: die Engländer, die Italiener, die Franzosen, alle wollen immer am besten angezogen sein. Dieser ,,Dress-up-Spirit'' herrschte schon immer. Und ich bin modebesessen, es ist also nicht so, dass ich mich nur wegen der Fotografen plötzlich gut anziehe. Die Schauen waren stets ein großer Mode- Moment: Partys, Networking, neue Gesichter. Früher waren wir für Außenstehende nicht sichtbar. 2005, als das Mode-Blogging begann, war ich wirklich überrascht: Ein Schnappschuss hier und dort, das kannte ich, das hat die japanische Vogue schon immer gemacht, aber ganze Mauern von Fotografen? Unglaublich! Mittlerweile sind die ganze Zeit Kameras auf mich gerichtet, und man ruft meinen Namen, als sei ich ein Hollywood-Star. Es ist, als ob wir Stylisten und Modejournalisten die ganze Zeit unter Wasser waren und jetzt aufgetaucht sind.

SZ: Aber Sie könnten sich doch auch einfach entspannen und so weitermachen wie bisher ...

Dello Russo: Die Blogs haben mein Leben verändert. Und zwar, weil ich das, was ich schon immer gemacht habe, nicht mehr mit den Models realisiere, sondern mit mir: ein professionelles, fototaugliches Styling. Es ist mein Job zu wissen, was fotogen ist und was nicht, und deshalb mache ich jetzt Fotostrecken mit mir selbst. Dabei bin ich seit 2005, als die Blogs geboren wurden, natürlich von Jahr zu Jahr genauer geworden. Es gibt ja immer mehr Blogger! Und ich finde es faszinierend, wie sie Moderedakteur für ihre Webseiten spielen: Wen sie auswählen und auf welche Details sie achten. Von der jungen Moderedakteurin mit Anfangsgehalt bis zur reichen Pariserin im Designerlook ist alles dabei. Die Blogger sind das Radar der Mode: Plötzlich sind wir alle zusammen eine Art Volk - das Modevolk!

SZ: 100 Outfits für vier verschiedene Städte. Mal abgesehen vom Übergepäck - wie organisiert man das?

Dello Russo: Wie die Produktion einer Modestrecke. Ich mache die Stylings schon vorher. Und ich fange damit sofort nach den Schauen für die nächsten an. Wenn im Februar die Shows sind, hängen die Läden voll mit Sommer-Kollektionen. Aber es schneit. Deswegen muss man das sehr gut programmieren. Ich kaufe etwas, was ich eigentlich gerade nicht brauche, immer im Hinblick auf die nächste Fashion Week. Es gibt sicher auch Leute, die das etwas spontaner sehen. Und das ist ja auch gut so, dass jeder anders tickt.

SZ: War es nicht ursprünglich der Sinn der Fashion-Blogs, eben diese spontane, unschuldige Stilsicherheit einzufangen?

Dello Russo: Es sind jetzt zwanzig Jahre, in denen ich mir Modenschauen ansehe, und Leute wie Carine Roitfeld waren immer so perfekt angezogen wie jetzt. Vielleicht waren wir Stylisten schüchterner - aber immer Perfektionisten. Jetzt macht es uns eben Spaß, auch mal vor der Kamera zu stehen. Und deshalb muss alles makellos sein - von den Haaren über die Beine bis zu den Füßen. Fotokameras sind gnadenlos. Und dann muss ich mich auch noch die ganze Zeit umziehen, denn ein Look kann ja nicht zweimal fotografiert werden.

SZ: Warum denn nicht?

Dello Russo: Sobald etwas fotografiert worden ist, ist es für mich: vorbei, verbrannt! Ich trage höchstens Schuhe und Taschen ein zweites Mal.

SZ: Das sind allerdings wirklich Hollywood-Star-Allüren.

Dello Russo: Zum Glück liebe ich Kleider und sammle sie. Ich frage mich übrigens immer, wie die anderen das machen: So viele junge Mädchen auf den Schauen sind so gut angezogen. Dafür braucht man doch in Wahrheit jede Menge Klamotten und jede Menge Geld.

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SZ: Hollywood-Diven werden von den großen Modehäusern aus Werbegründen gratis ausgestattet. Sind jetzt Stylisten die neuen Litfaßsäulen? Fashion-Blogs sind schließlich wahnsinnig populär.

Dello Russo: Wir werden nie die Kommunikationsmacht von Schauspielern besitzen. Celebrities bleiben Celebrities. Wir sind nur Fashion People. Man kriegt nach wie vor ab und zu mal eine Tasche geschenkt. Sonst nichts. Hollywood-Stars verkaufen Träume, wir Modeleute ganz einfach nur die Möglichkeiten, wie man Mode einsetzen kann. Die Blogs sind nur ein Resonanzkörper der Mode . . .

SZ: ... aber doch ganz sicher eine neue Inspirationsquelle für Designer.

Dello Russo: Einen Einfluss auf deren Arbeit hat das bestimmt, vor allem im Hinblick auf Trendrecherchen. Aber es ist keine Werbefläche. Ich bin ein Fashion Victim, ich liebe Mode, und es ist schön für die anderen, mich bei diesem Amüsement mit Kleidern zu beobachten. Magisch wie die Traumwelten des Kinos oder der Kunst ist das nicht. Alles andere zu behaupten, wäre abgehoben.

SZ: Vor zehn Jahren wusste niemand außerhalb der Branche, wer Anna Wintour ist. Heute gibt die US- Vogue-Modechefin Grace Coddington Interviews im COS-Magazin . ..

Dello Russo: Ja, die Modewelt war mal sehr elitär und versnobt. Wir lebten in unserer abgeschirmten Welt und glaubten, das sei der Nabel der Welt. Das hat uns, glaube ich, ganz schön unsympathisch gemacht. Die Einstellung war sehr unmodern. Und auf einmal war die Mode an sich aus der Mode gekommen, während die Welt da draußen sich rasend schnell veränderte. Die Blogs haben der Mode ermöglicht, wieder ein Teil des wahren Lebens zu werden, ein Spion der Kultur, so wie es Musik und Kunst sind. Diese Demokratisierung war lebensnotwendig. Endlich ist es allen erlaubt, über Mode zu reden. Wie Tavi, die dreizehnjährige Bloggerin irgendwo aus Oregon, die plötzlich zu den Shows geladen wird! Aber wir müssen aufpassen, dass uns dieser momentane Celebrity-Status nicht über den Kopf wächst. Die Blogger sitzen plötzlich in der ersten Reihe neben Anna Wintour. Es ist eine Revolution im Gange. Aber wohin das führen wird, weiß ich auch nicht. Man fragt mich gerade ständig nach Interviews und Videos, und ich fühle mich natürlich geehrt, weil es schön ist, eine Art Botschafterin der Mode zu spielen. Aber plötzlich wie ein Star behandelt zu werden, ist schon übertrieben.

SZ: Vor allem weil man ja nur dafür gefeiert wird, gut angezogen zu sein.

Dello Russo: Kleider sind meine Art der Kommunikation, ob sie gefällt oder nicht. Mode kommuniziert immer unbewusst. Mode ist wie ein Stück Torte: Oben drauf sitzt die Kirsche, also das Kleid, und darunter finden sich unzählige Cremeschichten, mit verschiedenen Bedeutungen. Es gab schon immer Leute, die das Tortenstück einfach gedankenlos verschlungen haben. Und ja, die Gefahr der Oberflächlichkeit ist da. Ich bin froh, dass es die Blogger erst jetzt gibt, nachdem ich schon Karriere gemacht habe. Als junges Mädchen hätte man mich fotografiert, und ich hätte wahrscheinlich gedacht: Jetzt habe ich es geschafft. Eine Karriere in der Mode ist aber etwas anderes.

SZ: Sie sind also jetzt eine berühmte Virtuelle, aber Sie arbeiten ja auch immer noch für einen Print-Titel.

Dello Russo: Ja, aber ich konzentriere mich zurzeit sehr auf den Ausbau meiner Berater-Tätigkeiten. Zum Beispiel habe ich einen Kurs am ,,IED Istituto di Design'', das ist sehr interessant. Früher habe ich nur für Zeitschriften gearbeitet, heute glaube ich weniger an Print. Wir sind ja längst in andere Sphären aufgebrochen. Wir haben zu viele Zeitschriften und zu viele identische Informationen auf den Markt geworfen, und irgendwie ist es jetzt nicht mehr modern, in einer Zeitschrift zu blättern. Wunderschöne Bilder, aber nicht von heute. Deshalb habe ich wohl angefangen, den Leuten mit meinen Looks im Netz Geschichten zu erzählen.

SZ: Aber im wahren Leben läuft man nicht im Cocktailkleid über die Straße. Und auch nicht mit Mörder-High-Heels. Finden Sie, dass es sich Frauen heutzutage zu einfach machen?

Dello Russo: Ich sage immer: Mode bedeutet nicht Komfort. Wenn ich abends auf eine Party gehe, interessiert es mich nicht, ob ein halber Meter Schnee liegt: Ich ziehe dann was Partytaugliches an. In Wahrheit finde ich immer eine Entschuldigung für ein schönes Kleid. Das ist für mich ein therapeutisches Ritual: der Moment, wenn man sich ein Kleid überstreift, und dann den Schmuck auswählt. Aber es gibt im modernen Leben nun mal Momente, in denen man rennen muss - deswegen sind Turnschuhlooks natürlich absolut in Ordnung.

SZ: Dann sehen wir uns auf den Schauen...

Dello Russo: Dress up!

© SZ vom 31.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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