Fotoalbum:Dagmar Berghoff

Lesezeit: 5 min

Die erste Sprecherin der "Tagesschau" hat über zwanzig Jahre lang die Nachrichten gelesen und stets die Nerven bewahrt.

Von Julia Rothhaas

Von ihrer Wohnung im schicken Hamburger Stadtteil Eppendorf schaut Dagmar Berghoff durch große Fenster auf einen Kanal. Fast perfekt, wäre da nicht die große Buche vor dem Haus, findet die erste Sprecherin der "Tagesschau". Der Blick ist jetzt aber egal, die 75-Jährige zieht schlanke Zigaretten aus einer verzierten Schatulle und erzählt in ihrer rauchig-markanten Stimme aus ihrem Leben.

Feuerprobe

Ich bin nicht sportlich, aber mutig. Deswegen haben sie mich bei "Stars in der Manege" an das Brett eines Schweizer Messerwerfers gestellt. Wenn die Messer neben mir im Holz einschlugen, habe ich mich ziemlich erschreckt. "Wenn sie erst stecken, ist es zu spät für die Angst, oder?", versuchte mich der Messerwerfer zu beruhigen. Im zweiten Durchgang hat er mit brennenden Klingen geworfen, da hat mein Kleid Feuer gefangen. Zum Glück während der Probe. Ich war später noch ein zweites Mal im Circus Krone, diesmal stand ich mit Bären in der Manege. Eine Woche lang wurde geprobt, währenddessen durfte ich kein Parfüm tragen, damit sich die Tiere an meinen Geruch gewöhnen. Bei der ersten Probe bin ich mit dem Dompteur durch den Käfig gegangen, mit der Hand an seiner Schulter, damit wir für die Bären wie eine Person wirkten. Beim zweiten Durchlauf ging ich vor ihm, beim dritten allein. In dem Moment setzte das Orchester unvermittelt ein und die Tiere erschreckten sich so, dass ein Braunbär und ein Eisbär zu kämpfen begannen. Was für ein Gefauche, so eine Naturgewalt habe ich noch nie erlebt. Ich hatte vor meinem Auftritt ziemliche Bedenken, denn während einer Aufführung ist es ja auch unruhig. Die Messer von dem Schweizer waren nichts dagegen.

(Foto: Privat)

Anfänge

Mit diesem Foto habe ich mich nach der Schauspielschule bei verschiedenen Theatern beworben. Mein Vater war dagegen, er wollte, dass ich erst das Abitur mache und dann studiere. Mein Plan sah aber anders aus: Also bin ich nach dem Abi im Streit von zu Hause weggegangen und habe als Au-pair in Paris und London gearbeitet, um die Sprachen zu lernen. Kaum war ich 21 Jahre alt und nach damaliger Gesetzeslage volljährig, stand ich vor der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Die Aufnahmeprüfung habe ich bestanden. Mein Vater fiel aus allen Wolken, als ich ohne Ankündigung nach der langen Zeit wieder vor der Tür stand. Anfangs wurde ich behandelt wie ein Gast, es wurde immer das gute Geschirr für mich aufgetragen. Nach einem halben Jahr standen die alten Teller auf dem Tisch. Und ich war wieder Tochter.

Karriere

Wenn ich gewusst hätte, dass mich dieses Bild mein Leben lang begleitet, hätte ich mir etwas anderes angezogen. Dunkelblauer Rolli unter gemustertem Kleid: Na ja, ich fand das schön. Meinen ersten Auftritt in der "Tagesschau" hatte ich am 16. Juni 1976 um 16 Uhr, mein Chef war mit im Studio, um einzuspringen, falls ich vor Aufregung zusammenbreche. Einer Frau hat man diesen Job wohl nicht zugetraut. Dabei war ich nicht besonders aufgeregt, denn ich arbeitete ja zuvor schon als Ansagerin beim SWR in Baden-Baden.

Während man die Sprecher heute zwei Jahre in sämtlichen Formaten ausprobiert, bevor sie das erste Mal um 20 Uhr auftreten dürfen, wurde ich schon nach zwei Sendungen eingesetzt. Für den Job braucht man starke Nerven, auch bei schwierigen Wörtern wie Kanalisation oder Massachusetts, meinen persönlichen Zungenbrechern. Das hab ich Loriot mal erzählt, der hat daraus den Sketch "Mutters Klavier aus Massachusetts" gemacht. Als ich 50 Jahre alt wurde, wollten viele Journalisten von mir wissen, wann ich denn aufhöre. Uli Wickert ist einen Monat älter, den hat aber niemand nach seiner Rente gefragt. Meine letzte "Tagesschau" las ich an Silvester 1999, der Wechsel ins neue Jahrtausend war der perfekte Zeitpunkt. 2016 bin ich zu meinem 40-jährigen Sendungsjubiläum noch einmal als Überraschungsgast bei den "Tagesthemen" aufgetreten. Aber ich habe mich danach totgeärgert, denn ich vergaß, mit "Guten Abend, meine Damen und Herren" anzufangen. Dabei war das doch mein Erkennungszeichen!

Abenteuer

Für die Fernsehsendung "Heimat in der Ferne" bin ich sechs Jahre lang durch die ganze Welt gefahren, um deutsche Auswanderer zu besuchen, die es geschafft haben, sich in der Ferne eine neue Existenz aufzubauen. Auf diesem Bild war ich in Thailand und habe eine Art Elefantenmassage bekommen. Das Tier war so vorsichtig, ich habe kaum etwas von seinem Gewicht gemerkt. Leider konnten diese Sendungen nie wiederholt werden: Der Produzent hatte darin Produkte platziert. Talkshows zu moderieren war eine gute Erfahrung, aber ich bin dabei an meine Grenzen gekommen. Ich wollte nicht weiter nachhaken, wenn mein Gegenüber beim Erzählen seiner Geschichte anfing zu weinen. Gefallen hat mir auch nicht, die Gäste ständig unterbrechen zu müssen. Aber man muss nachfragen, so ein reines Geplaudere will ja niemand sehen.

Kindheit

Auf diesem Bild bin ich sieben Jahre alt, kurze Zeit später ist meine Mutter gestorben. Wir lebten in Ahrensburg nordöstlich von Hamburg, mein Vater arbeitete allerdings in Wilhelmsburg und kam nur mittwochs und samstags nach Hause. Eine Frau, die wir Tante Grete nannten, passte in der Zeit auf meinen jüngeren Bruder und mich auf. Ein herzensguter Mensch, aber trösten konnte sie uns nicht. Ich war ein sehr schüchternes Kind, trotzdem wollte ich unbedingt Schauspielerin werden. Mit 15 Jahren habe ich schließlich vorgesprochen, ich wollte nämlich herausfinden, ob mein Berufswunsch überhaupt Sinn hat oder nicht. Damals wusste ich aber gar nicht, was ein Vorsprechen eigentlich ist. Ich dachte, dass man dafür einmal lachen, einmal weinen und einmal schreien muss. Das Schreien fiel mir besonders schwer. Zum Üben bin ich also in unseren Keller gegangen und habe dort laut in einen Stapel Handtücher hineingebrüllt.

Dreh

Meine erste Rolle bekam ich 1971 beim Fernsehspiel "Deutschlandreise" von Herbert Lichtenfeld, das mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Dieter Wedel sah mich in dem Film und wollte mich für "Einmal im Leben" haben. Wedel hat da viel reingeschrieben, was bei dem Bau eines Hauses alles schief laufen kann. Der Bungalow ist ja tatsächlich gebaut worden. Später habe ich erfahren, dass da noch viel mehr in die Hose gegangen ist. Trotzdem ist das Haus hübsch geworden. Über die Missbrauchsvorwürfe gegen Dieter Wedel möchte ich nichts sagen. Ich wünsche ihm nur, dass er da irgendwie wieder gut rauskommt.

Royaler Besuch

Im November 1987 waren Prinzessin Diana und Prinz Charles im "Tagesschau"-Studio zu Gast. Die Armen mussten vorher bei Schietwetter eine Barkassenfahrt auf der Elbe durchstehen. Entsprechend war Di's Laune: Sie hat nicht gelächelt und keinen Ton gesagt, nicht mal Hallo. Dabei sah sie viel hübscher aus als auf Fotos. Ich glaube, die Ehe war schon zerrüttet. Charles hingegen war sehr charmant. Während meiner Zeit als Sprecherin habe ich Hans-Dietrich Genscher, Michail Gorbatschow und Fürst Rainier von Monaco kennengelernt. Mit ihm habe ich über Fußball gesprochen, da kenne ich mich gut aus.

(Foto: imago/teutopress)

Showgirl

Ich hatte das Glück, dass ich mich in meinem Berufsleben um nichts aktiv bemühen musste, die Anfragen kamen immer zu mir. Deswegen habe ich eins nicht gelernt: Ellbogen einsetzen. Manchmal waren Aufträge dabei, mit denen ich inhaltlich nicht so viel anfangen konnte. Etwa das Hörbuch "Atari Programmieren", von Computern verstand ich nichts. Das ARD-Wunschkonzert hingegen hat mir viel Spaß gemacht, gemeinsam mit Max Schautzer habe ich die Musiksendung acht Jahre lang moderiert. Besonders beeindruckt hat mich Joe Cocker, er sagte in seiner rauen Stimme immer "my love" zu mir.

© SZ vom 30.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: