Kinder - der ganz normale Wahnsinn:Suche nach der Schule des Lebens

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Bald werden aus den "Großen" wieder "Kleine", doch davor muss noch die passende weiterführende Schule für sie gefunden werden. (Foto: J. Hosse)

Um die beste Schule für ihr Kind zu finden, vergleichen Eltern pädagogische Konzepte, Fremdsprachen-Angebote und das Mittagsmenü der weiterführenden Schulen. Ihr Kind hat bei der Auswahl allerdings ganz andere Prioritäten.

Eine Kolumne von Katja Schnitzler

Es roch genau wie früher, da konnte sich die Schule noch so modern präsentieren. Schon beim Eintreten war den Eltern dieser Geruch nach Kreide, alten Turnschuhen und billigen Putzmitteln in die Nase gestiegen. Er weckte Erinnerungen an die eigene Schulzeit, nicht nur angenehme.

An den Mathe-Meier, der seinen Neid auf die pubertär-potenten 15-Jährigen nie verhehlen konnte und sich mit gemeinen Ausfrage-Techniken rächte. An die Sport-Faber, die bei den Mädchen nur noch "Sport, fader" hieß, seitdem die Lehrerin sie an ihrer Schwangerschaftsgymnastik teilhaben ließ. Oder an den Latein-Schmid, der wohl über die Abschaffung des Titels "Oberlehrer" ein paar Tränen vergossen hatte und im Unterricht lieber gezielt mit Kreide warf, als seine Schüler aufzurufen.

Auch wegen solcher Erinnerungen waren die Eltern hier: Ihr Kind sollte es einmal besser haben. Und das hing sicher auch von ihrer Entscheidung für die weiterführende Schule ab. Wählten sie die falsche, hätte ihr Kind womöglich unter Lehrern im Selektionswahn, langweiligem Unterricht und sozial inkompatiblen Klassenkameraden zu leiden. Dann würde ihr Kind schlechtere Noten bekommen, nicht das Studienfach seiner Wahl belegen können, vom ungeliebten Beruf frustriert sein, deswegen eine unglückliche Ehe führen und dereinst zu wenig Rente bekommen. Wenn es noch halbwegs gut lief.

Diesen Eindruck hatten die Eltern zumindest bekommen, wenn sie sich im Lauf der Grundschule mit anderen Müttern und Vätern unterhielten. Diese hatten schon in der dritten Klasse an den Informationsabenden der weiterführenden Schulen teilgenommen und ausführliche Plus-Minus-Listen angelegt.

Nun betraten die Eltern mit ihrem Viertklässler an der Hand die erste der drei Schulen, deren Infoveranstaltung sie besuchen wollten, und sogen den Schulgeruch ein. Sie waren gut vorbereitet, hatten das pädagogische Konzept der Einrichtung studiert. Der Sohn hatte seine Freunde gefragt, auf welche Schule sie gehen würden.

Die Schule hieß sie mit einem durchdachten Programm für alle Beteiligten willkommen: Für die Eltern waren in der Turnhalle Stuhlreihen aufgestellt, auf dem Podium saß das halbe Kollegium und sah ergeben zu, wie die hereinströmenden Mütter und Väter vorschnelle Urteile über die Lehrer fällten.

Die Kinder mussten weder still noch störend eineinhalb Stunden neben den Eltern ausharren. Sie wurden mit einem eigenen Programm umworben: Die Kinderschar erhielt eine Hausführung: "Seht her, unsere Cafeteria. Und hier, ein typisches Klassenzimmer (das vom engagiertesten Pädagogen der Schule, der Wert auf Wohlfühlatmosphäre legte und sonst von den anderen Lehrern dafür belächelt wurde). Da, im Musikzimmer, ein Schlagzeug (dieses war eigens für den Abend schön ausgeleuchtet in die Raummitte gerückt worden). Und dort, ein Boulderraum, da könnt ihr in den Freistunden am künstlichen Fels klettern!". Die Kinder waren begeistert.

Die Mütter und Väter noch nicht. Die saßen in der Turnhalle und stellten zum Wohle ihrer Kinder kritische Fragen. Wie mit Mobbing in der Schule umgegangen werde? Ob jeder einfach so ins Gebäude spazieren könne? Wie der G8-Stress abgemildert werde? Und was den Ganztagskindern mittags serviert werde, doch wohl Biogerichte aus der Region?

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Der Schulleiter gab sein Bestes, antwortete auf alle möglichen Fragen ("Nein, wir haben keine hohe Lehrerfluktuation, das waren in den vergangenen Jahren alles Wechsel wegen Schwangerschaften.") ebenso wie auf die unmöglichen ("Ich denke, der Ausländeranteil sollte hier eigentlich kein Thema sein, aber er liegt bei etwa 15 Prozent."). Das Kollegium nickte dazu und war sichtbar erleichtert, als der Direktor die Tanzgruppe der Neuntklässler ankündigte, "damit Sie sehen, dass es bei uns mehr gibt als nur den Lehrplan".

Der Vater ließ den ganzen Abend einen Lehrer rechts außen nicht aus den Augen. Sah der nicht ein wenig aus wie der verhasste Mathe-Meier? Und fixierte er die tanzenden Neuntklässlerinnen nicht ein wenig zu sehr? Stirnrunzelnd blickte der Vater zur Mutter hinüber. Diese lächelte zufrieden, die Vorführung im Videoclip-Stil hatte nichts gemein mit dem Biegen und Beugen der Schwangerschaftsgymnastik.

"Und nun sollen Sie unsere Schule noch besser kennenlernen", verkündete der Schulleiter. Mit Dutzenden, gefühlt Hunderten anderen Müttern und Vätern schoben sie sich durch die Flure des Gebäudes und stauten sich am Vorzeige-Klassenzimmer. "Wie bei einer Wohnungsbesichtigung", murrte der Vater.

Die Mutter versuchte, in der Menge einen Blick auf die wohlgestalteten Wände des Schulraumes zu erhaschen, die mit kreativen Werken von mehr und weniger begabten Kindern behängt waren. Der Sohn war bereits überzeugt: Die Cafeteria! Das Schlagzeug! Und, haltet euch fest, ein Kletterraum! Die Eltern waren sich der Sache nicht so sicher.

Immerhin standen noch zwei Schulen aus. Die eine fiel beim Sohn durch: Kein Schlagzeug! Kein Kletterraum! Die Wände der Cafeteria wiesen eindeutig Spuren von Cola-Spritzern auf, die dort vor langer Zeit angetrocknet waren. Und überhaupt: Seine Freunde wollten dort auch nicht hin.

Die andere klang vielversprechend, hatte sie doch den Ruf, die beste Schule im Viertel zu sein. Allerdings kannte auch die Schulleitung diesen Ruf. Während die anderen beiden Einrichtungen um die Schüler geworben hatten, war es dieses Mal anders herum. Nur die Direktorin stand vor den Müttern und Vätern, die allein gekommen waren, da ihnen nahegelegt worden war, ihre Kinder bitteschön zuhause zu lassen. Auch das Kollegium durfte daheim bleiben.

Schließlich ging es der Direktorin allein darum, klarzumachen, dass nur Kinder für diese Schule geeignet seien, die lernbegierig und leistungsbereit seien, gut erzogen sowieso. "Am besten schmutzen sie auch nicht", knurrte die Mutter.

An diesem Abend beschlossen die Eltern zur großen Freude ihres Sohnes, dass es auf die erste Schule hinauslaufen würde. Schließlich wollten sie seinem Aufstieg nicht im Weg stehen. Und sei es nur der an der Kletterwand.

Falsche Elite-Gedanken, Drogen-Probleme, zu alte Schülerbilder an den Wänden: Jede Schule hat unterschiedliche Stärken und Probleme. Nicht jede Bildungseinrichtung passt gleich gut zu jedem Kind. Schulpädagogin Katrin Höhmann erklärt im Interview, worauf Eltern bei der Auswahl der weiterführenden Schule achten müssen.

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