Heldin der französischen Résistance:Zwischen Wüste und Widerstand

-

Ein Konvoi mit den vier Verstorbenen, darunter Germaine Tillion, fährt an einem Gemälde der Widerstandskämpferin und Ethnologin vorbei. Sie sollen im Pariser Panthéon beigesetzt werden.

(Foto: AFP)

Sie landete als Widerstandskämpferin gegen die Nazis im KZ und war als Wissenschaftlerin ein Vorbild. Nun wird Germaine Tillion mit einer Beisetzung im Pariser Panthéon geehrt. Der Band "Die gestohlene Unschuld" ermöglicht seltene Einblicke in ihr bewegtes Leben.

Von Joseph Hanimann, Paris

An diesem Mittwoch wird mit drei anderen Résistance-Kämpfern Germaine Tillion vom Staatspräsidenten Hollande im Panthéon in Paris beigesetzt. Abgesehen von den Forschergattinnen Marie Curie und Sophie Berthelot ist bisher keine Frau in den Tempel der "Grands Hommes" aufgenommen worden.

Von Germaine Tillion, die in der Zwischenkriegszeit als Ethnologin Algerien bereiste, 1940 in den französischen Widerstand ging, anderthalb Jahre im KZ Ravensbrück verbrachte, danach sich um eine friedliche Lösung im Algerienkrieg bemühte und 2008 im Alter von fast 101 Jahren starb, ist heute eher eine Aura allgemein menschlicher und wissenschaftlicher Vorbildlichkeit geblieben als ein klares Profil.

Ihr wissenschaftliches Werk wird wenig gelesen und noch weniger übersetzt. Umso willkommener ist dieser Band mit ausgewählten Texten aus der ethnografischen Forschungsarbeit, dem politischen und intellektuellen Engagement sowie aus der persönlichen Biografie.

Ins südalgerische Aurès-Gebirge kam Germaine Tillion 1934 durch Vermittlung des Ethnologen Marcel Mauss, und sie gab dort den distanzierten Forscherblick schnell auf.

Wichtiger als die französischen Doktorväter Mauss und Louis Massignon wurden ihr die "Großen Alten" des Berber-Stamms, bei dem sie forschte. Von ihnen lernte sie, dass an der Stelle, wo das Zählen und Aufzählen an seine Grenzen stößt, das Erzählen beginnt: das Eintauchen in die Lebenswelt des Gesagten, Angedachten, unbestimmt Gewollten.

Résistance mit der Widerstandsgruppe des Musée de l' Homme

Die Promotionsarbeit nach diesen über sechs Jahre sich hinziehenden Forschungsaufenthalten blieb unvollendet und ging dann verloren, weil die junge Frau, kaum nach Paris zurückgekehrt, sich 1940 sofort der aktiven Widerstandsgruppe des Musée de l'Homme anschloss. Warum so früh - wurde sie später oft gefragt. Wie schön wäre es gewesen, schreibt sie dazu, hätte man antworten können, es sei aus spontaner Auflehnung gegen die Barbarei des Hitler-Regimes geschehen, doch das sei nicht der Fall.

Ihr Engagement sei vielmehr auf ein Gefühl patriotischer Demütigung nach der französischen Niederlage zurückgegangen. Diese Unempfänglichkeit für heldenhafte Posen und nachgereichte Mythologie, dieses Herunterspielen des Dramatischen aufs Selbstverständliche zieht sich durch Germaine Tillions ganzes Leben und Werk.

"Le Verfügbar aux Enfers"

Im Oktober 1943 erfolgte dann die Verhaftung der Résistance-Kämpferin und die Deportation ins Frauenkonzentrations-lager Ravensbrück, kurz darauf wurde auch ihre Mutter in dieses Lager gebracht, später dort ermordet. Schon 1946 brachte Tillion eine Schilderung des Lagerlebens heraus, eine der frühesten, die teilweise auf unmittelbar gemachte Tagebucheintragungen gestützt war.

Die Welt des KZ bestand für sie nicht nur aus Monstern und Opfern, sondern aus allen möglichen Zwischenstufen. Lassen Hunger, Folter und Todesahnung in der einsamen Gefängniszelle auch mittelmäßige Charaktere durch Widerstand über sich selbst hinauswachsen, schreibt Tillion, so führten sie in der Masse eines Lagers bloß zur Erniedrigung des Menschen, ließen die feinen Fäden der Freundschaft unter der nackten Brutalität des Egoismus verschwinden.

Versteckt in einer Kleiderkiste schrieb sie im KZ eine Operette, als Parodie auf Offenbach

Der im Leiden wie im Spott immer wieder erstaunliche Gleichmut dieser Frau gegenüber dem eigenen Los fand mitunter erstaunliche Ausdrucksformen. In einer Kleiderkiste versteckt, schrieb sie in Ravensbrück eine auf Jacques Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" anspielende Operette mit dem Titel "Le Verfügbar aux Enfers", nach jener Häftlingskategorie, die ohne bestimmte Zuteilung überall zum Einsatz kam und der sie selber angehörte. Dass sie bei der Räumung des Lagers im März 1945 dann, anders als ihre Mutter, dem Tod entging, verdankte Germaine Tillion möglicherweise ihrer Mitinsassin Grete Buber-Neumann, die sie in ihrem Krankenbett unter der Decke vor der Aussortierung durch die SS-Leute versteckte.

Befremdlich war für die dem Lager Entronnene später, bei den Prozessen gegenüber manchen ehemaligen Folterknechten, die nun so kleinlaut und verlegen dastanden, schon wieder so etwas wie Mitgefühl zu empfinden. Noch befremdlicher war dann, im Algerienkrieg, den sie als Entsandte der französischen Regierung miterlebte, dieselben Gewaltmechanismen wie nach 1940 in Deutschland anzutreffen und die gleichen Schimpfwörter der Herrscher über die Beherrschten zu hören - manchmal aus dem Mund ehemaliger Kampfgenossen aus dem Widerstand.

Statt in skeptisch entrückte Spekulationen über die Menschennatur führten solche Erfahrungen bei Tillion, die neben ihrer Forschungsarbeit mitunter auch leitende Ämter in der französischen Hochschule übernahm, in eine bis zuletzt hellwache Form von intellektuellem Engagement, das weniger auf kategorische Stellungnahmen als auf konkrete Alltagsentscheidungen setzte. Der vorliegende Band gibt mit seiner Textauswahl - zum Teil aus dem Nachlass - Einblick in ein bisher unterschätztes Intellektuellenleben.

Heldin der französischen Résistance: Germaine Tillion: Die gestohlene Unschuld. Ein Leben zwischen Résistance und Ethnologie. Mit einem Nachwort von Tzvetan Todorov. Aviva Verlag, Berlin 2015. 330 Seiten, 22 Euro.

Germaine Tillion: Die gestohlene Unschuld. Ein Leben zwischen Résistance und Ethnologie. Mit einem Nachwort von Tzvetan Todorov. Aviva Verlag, Berlin 2015. 330 Seiten, 22 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: