"Unterwerfung" als Theaterstück:Wie politisch aktuell "Unterwerfung" ist

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Houellebecq auf dem Titelbild des Charlie Hebdo vom 7. Januar 2015. (Foto: oh)

In Frankreich grassiert die Angst vor Fremden und Islamisierung. Michel Houellebecqs Roman greift die Debatte geschickt auf - und verwebt sie mit dem Front National.

Von Alex Rühle

Michel Houellebecqs "Unterwerfung" ist gleich in mehrfacher Hinsicht mit den islamistischen Terroranschlägen vom Januar 2015 verwoben. Der Roman kam an dem Tag in die Buchläden, an dem die Brüder Kouachi in Paris ihren Anschlag auf die Charlie-Hebdo-Redaktion verübten. Auf dem Titelbild der Hebdo-Ausgabe, die an jenem Tag erschien, war Houellebecq selbst zu sehen - als Hellseher, im Zaubermantel. Sein enger Freund Bernard Maris, der in besagter Ausgabe eine hymnische Besprechung des Buchs geschrieben hatte, starb bei dem Anschlag.

Und dann ist da natürlich noch die inhaltliche Verbindung: "Unterwerfung" spielt 2022. Das Land steckt in einer Art Bürgerkrieg, in den Banlieues gibt es Nacht für Nacht Anschläge und Gefechte. Seine Vision, das macht den Roman so raffiniert, ist nun aber nicht düster, sondern rundum harmonisch: Um die Machtergreifung durch den Front National zu verhindern, verhelfen die beiden großen Parteien einem gemäßigten Islamisten auf den Präsidentensessel. Dadurch kehrt endlich der soziale Friede im Land ein. Alle Frauen verschwinden von einem auf den anderen Tag vom Arbeitsmarkt. So entsteht Vollbeschäftigung (natürlich nur für die Männer), das ganze Banlieue-Prekariat kommt in Lohn und Brot, die Wirtschaft prosperiert.

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Aber auch für die Eliten springt viel dabei raus. Gut, der Halbmond weht über der Sorbonne, die ab sofort von den Saudis finanziert wird, aber selbst ein hässlicher Tropf wie François, Houellebecqs grauer Held, der auf dem freien Markt des Begehrens keine Chance mehr gehabt hätte, kommt plötzlich in den Genuss eines kleinen Harems: Er wird drei Frauen seiner Wahl heiraten. Kein Wunder, dass er ohne zu murren den sanften illiberalen Wandel hinnimmt: Von nun an gelten strengere Bekleidungsvorschriften, die Bürger sollen bitte konvertieren - und akzeptieren, dass so überkommene Dinge wie die Menschenrechte oder die Presse- und Meinungsfreiheit einkassiert werden. Die Saudis zahlen dafür traumhafte Gehälter. "Ich hätte nichts zu bereuen" - so resümiert der Icherzähler François im letzten Satz des Romans diese totale Kapitulation.

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Sogar Frankreich, dieses immer tiefer in einer Dauerkrise versinkende Land, blüht hier wieder auf, ja es wird endlich wieder Großmacht: Der neue Präsident schmiedet ein Imperium zusammen, das die Größe des Römischen Reiches umfasst, inklusive all der Maghreb-Staaten.

Houellebecq treibt in seinem Buch ein frivoles Spiel mit den handelsüblichen Überfremdungsängsten: In Frankreich leben zwischen 3,5 und sechs Millionen Muslime, das sind zwischen fünf und neun Prozent der Bevölkerung. Eine Machtübernahme durch eine islamistische Partei nebst kultureller Hegemonie in naher Zukunft sind eher unwahrscheinlich.

Eine der Perfidien des Buches besteht aber darin, die Ideologie des Front National mit dem Regierungsprogramm der gemäßigten Islamlisten verschwimmen zu lassen. Der FN hat mittlerweile tatsächlich eine Art kultureller Hegemonie in Frankreich erlangt. Er bestimmt politisch die Themen und den Ton. Nachdem François Hollande nach den November-Attentaten dem IS den Krieg erklärt hat und seine Regierung die Verfassung dahin gehend ändern lassen will, dass einheimischen Terroristen ab sofort die mit der Geburt erworbene Staatsangehörigkeit entzogen werden kann, lobte ihn Marine Le Pen generös: "Der FN hat ein realistisches und seriöses Programm, das sogar François Hollande als Inspirationsquelle dient."

Die Franzosen danken es Le Pen: Nie war die Sehnsucht nach einem starken Führer größer in Frankreich, nach einer Le Monde-Umfrage sagen 88 Prozent der Franzosen, Autoritäten würden nicht genug respektiert, 83 Prozent meinen, das Land brauche einen wahren Chef, der wieder für Ordnung sorge.

Am 8. Januar 2015, einen Tag nach dem Terroranschlag auf die Charlie-Hebdo-Redaktion, erklärte der französische Premierminister Manuel Valls empört: "Frankreich, das ist nicht 'Die Unterwerfung', das ist nicht Michel Houellebecq!" Was für ein unsinniger Satz. Wie soll ein Land ein Roman sein? Eigentlich zeigt er nur, welch immenses Gewicht Houellebecq in der französischen Öffentlichkeit hat. In den ersten fünf Tagen nach dem Erscheinen wurden 130 000 Exemplare seines Buchs verkauft.

Für die französischen Rechtsextremen läuft weiterhin alles wie geschmiert, schließlich geht es dem Land weiterhin schlecht: Die Arbeitslosenzahlen steigen, die Wirtschaft stagniert, der öffentliche Dienst siecht vor sich hin. Bei den Departmentswahlen im Dezember war der FN - wie schon bei den Europawahlen im Mai 2014 und den Departementswahlen im März 2015 - stärkste Kraft. Gleichzeitig benachteiligt das französische Wahl- und Proporzsystem den FN aber stark: Er stellt weiterhin nur zwei von 577 Abgeordneten und zwei von 348 Senatoren - weshalb die Partei leichtes Spiel dabei hat, wenn sie sich als Paria darstellt, als Sprecher all der Zukurzgekommenen im Lande und als Opfer der inzestuösen Pariser Parteielite.

Die aber macht weiter wie bisher. Nach den Departmentswahlen empörte sich Hollande im Fernsehen darüber, dass ausgerechnet im Land der Menschenrechte der FN solche Erfolge einfahre. In derselben Sendung gab dann Ministerpräsident Valls bekannt, dass die Anhebung des Mindestlohns nun doch nicht überprüft werde. 2017 sind Präsidentschaftswahlen. Hollande wird wieder antreten. Marine Le Pen kann es kaum erwarten.

© SZ vom 06.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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