Am 7. Januar erschien Michel Houellebecqs neuer Roman "Unterwerfung", eine rabenschwarze Politsatire, in der 2022 ein Moslem französischer Präsident wird, woraufhin die gesamte Elite flugs zum Islam konvertiert. Das Buch wurde vor dem Erscheinen scharf angegriffen, es sei "pervers" und "hochtoxisch". Am Tag des Erscheinens verübten islamistische Terroristen ein Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Unter den Opfern befand sich auch Houellebecqs enger Freund Bernard Maris. Wir haben den Autor nach seiner ersten Lesung am Montag in Köln gesprochen.
SZ.de: Herr Houellebecq, Sie wurden für Ihre Romane immer schon scharf angegriffen. Als 1998 "Elementarteilchen" erschien, rief der französische Schuldirektorenverband zum Boykott des Buches auf, und die Literaturzeitschrift Les Perpendiculaires, bei der Sie damals angestellt waren, warf Sie raus. Ist die Kritik, die diesmal auf Sie einprasselt, deshalb business as usual - oder trifft Sie das mehr als sonst?
Michel Houellebecq: Das war schon ziemlich viel diesmal.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Ihr Buch sei islamophob?
Das ist kompletter Unsinn. Gleichzeitig sage ich aber nach diesen Attentaten, dass jeder, der darauf Lust hat, das Recht hat, ein islamophobes Buch zu schreiben.
Warum dieser Zusatz?
Weil die Attentate vor allem ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit waren.
Wie haben Sie denn den 7. Januar erlebt? Eigentlich war das ja ein großer Tag: Endlich ein neuer Roman.
Das war einer der grässlichsten Tage meines Lebens. Ich habe anfangs gar nicht kapiert, dass Bernard betroffen ist, und habe einfach versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Aber er ist nicht drangegangen. Ich habe dann vier Stunden immer wieder bei ihm angerufen. Dann war ich mir sicher ...
Wir sitzen hier im Dumont-Verlag. Vor der Tür des Büros stehen zwei Wachleute, Sie stehen seit dem 8. Januar unter Personenschutz. Haben Sie Angst?
Nein. Warum sollte ich? Mein Buch beleidigt den Islam in keinster Weise. Wenn ich Angst habe, dann nur davor, dass jetzt viele Angst haben, ihre Meinung zu sagen. Und ich habe Angst, dass ich mich am Ende der gestrigen Lesung nicht verständlich gemacht habe. Ich will wirklich eine politische Reform. Oh, ich hab meine Zigaretten vergessen.
Literatur und Terror:Lockruf des Schreckens
Er war auf dem Titelbild der jüngsten Ausgabe von Charlie Hebdo karikiert. Jetzt wird dem Schriftsteller Houellebecq vorgeworfen, er habe durch seinen Islam-Roman "Unterwerfung" den Terroranschlag von Paris herbeigerufen.
Gespräche mit Houellebecq sind grotesk und zugleich angenehm. Grotesk, weil er so schrullig ist. Er kaut seine Zigaretten mehr, als dass er sie rauchen würde, der Filter ist nach wenigen Zügen komplett zerquetscht. Er fährt sich im Auge rum, stößt seltsame Laute aus, so als sei inwendig etwas verrostet, und er empfängt in der Hochwasserhose vom vorhergehenden Abend, nur dass sie jetzt über und über mit Zahnpasta bespritzt ist. Aber er ist ausnehmend freundlich, uneitel, ruhig und im Verlag schwärmen sie alle, wie unkompliziert es mit ihm sei. Da ist er auch schon wieder, diemal mit Zigaretten und Bier.
Sie haben sich schon verständlich gemacht, weg mit dem Parlament, alle Macht dem Volke, das den Präsidenten und die Richter wählt, alle entscheidenden Dinge werden per Referendum beschlossen, es lebe das Schweizer Modell.
Genau.
Aber dann glauben Sie ja an die Vernunft des Volkes?
Nicht wirklich, ich denke, ich würde meistens anders stimmen als die Mehrheit. Aber ich glaube, dass die Leute die Demokratie wieder respektieren würden.
Am Tag des Attentats haben Sie in einem Radiointerview gesagt, Sie seien ein Feind der Aufklärung, denn sie produziere nichts als Leere und Unglück. Als Sie vor Jahren gefragt wurden, warum Sie sich nicht umbringen, so traurig, wie Ihre ersten Bücher klangen, haben Sie aber ausgerechnet mit Kant geantwortet, dem wichtigsten aller Aufklärer: Das Leben sei ein Wert in sich. Und die Demokratie gäbe es doch auch nicht ohne die Aufklärung.
Ich richte mich ja auch nur gegen die französische Aufklärung, Voltaire, Diderot, die konnten nicht scharf denken, viel zu viel Rhetorik, die sind eher Polemiker als Philosophen. Kant war schwer in Ordnung. Aber die Aufklärung hat den Menschen die Religion genommen. Und es geht nicht ohne Religion.
Sind Sie denn selbst gläubig?
Nein, das ist ja das Tragische. Ich versuche es immer wieder. Seit ich 13 bin, denke ich, das Universum ist so unfassbar - es kann doch nicht sein, dass das alles einfach so da ist. Aber es gelingt mir trotzdem nicht, zu glauben.
Und warum braucht der Mensch die Religion? Zur Absicherung der eigenen Werte?
Ja. Das Leben ist ohne Religion einfach so über alle Maßen traurig.
Bei Ihren Versuchen, wollten Sie da zum Katholizismus konvertieren?
Stimmt, aber es hat nicht geklappt.
Haben Sie es auch noch mit einer anderen Religion versucht?
Buddhismus. Da saß ich rum, starrte die Wand an und habe mich furchtbar gelangweilt.
Ihr Held François konvertiert ja auch. Allerdings zum Islam.
Ursprünglich wollte ich, dass er Katholik wird. Aber ich habe mehrfach versucht, die Szene zu schreiben, und es fühlte sich immer falsch an. Da kam mir die Idee mit dem Islam.
Stimmt es, dass Ihre Mutter, als sie Sie als kleines Kind weggegeben hat, zum Islam konvertiert ist?
Ach die. Die ist alle paar Jahre irgendwo andershin konvertiert.
Und wo ist sie mittlerweile angekommen?
Bei den Russisch-Orthodoxen.
Ihre Mutter hat ein Buch über Sie geschrieben, in dem sie Sie übel beschimpft hat.
Pfffffff.
Okay, zurück zum Buch. War der Konfessionswechsel Ihres Helden die Grundidee?
Nein. Ich habe angefangen mit François, der ja jetzt im Buch Professor ist. Anfangs war er Student und las den ganzen Tag den Autor Joris Karl Huysmans.
Das tut er als Professor auch. Was hat Sie so an Huysmans fasziniert?
Ich war sehr unglücklich und einsam als Student. Wenn ich damals schon Huysmans' Bücher gekannt hätte, wär es mir ganz bestimmt besser gegangen.
Warum denn das?
Weil er so über die Maßen angeekelt ist von der Welt.
Und das soll einem helfen, durchs Studium zu kommen?
Ja, weil es wahnsinnig komisch ist. Er übertreibt so dermaßen, egal ob er jetzt Käse beschreibt, einen Pfarrer oder eine Straße. Das sind so intensive Beschreibungen des Abscheus, dass daraus plötzlich beim Lesen eine irrsinnig intensive Lebensfreude kommt.
Sie sind schon echt bizarr.
Überhaupt nicht. André Breton hat das ganz genauso empfunden. Probieren Sie es aus, es ist wirklich ein Heidenspaß.
Huysmans stand also am Anfang Ihres Romans?
Ja. Der war anfangs totaler Nihilist und Décadent und wurde später Katholik. Das wollte ich mit einem Helden unserer Tage probieren. Dann kam die Liebesgeschichte dazu. Zu dem Zeitpunkt merkte ich, dass um mich herum die Juden das Land verließen. Also habe ich aus der Geliebten eine Jüdin namens Myriam gemacht, die zusammen mit ihrer Familie nach Israel auswandert.
Im letzten Jahre sind 7000 Juden nach Israel gegangen.
Ja. Der Wahnsinn. Wenn die Juden Frankreich verlassen, können wir den Laden eh zumachen.
Warum wird François denn dann später Moslem?
Weil der Islam gerade enormen Aufwind in Europa hat. Und weil ich überzeugt bin, dass im Grunde nur Zivilisationen überleben können, die auf einer Religion fußen.
2002 brachten muslimische Verbände Sie vor Gericht, weil Sie den Islam als "gefährlich" und als "dümmste aller Religionen" bezeichnet hatten. Dem Richter haben Sie erklärt, Sie hassen oder verachten weder die Muslime noch die Araber, sondern nur ihre "dumme Religion". Es würden zwar alle monotheistischen Religionen eher Hass als Liebe predigen und die Bibel sei "voller Passagen, die so langweilig sind, dass man kotzen könnte", aber wenigstens sei in einigen biblischen Texten Poesie zu finden, im Gegensatz zum Koran. Würden Sie das heute auch noch sagen?
Überhaupt nicht. Ich habe mittlerweile den Koran gelesen, hat mir gut gefallen.
Im Buch sagen Sie, Transzendenz sei "ein selektiver Fortpflanzungsvorteil". Wie meinen Sie das?
Wer gläubig ist, bekommt mehr Kinder. Und die Mehrheit setzt irgendwann ihre Werte und Vorstellungen durch.
Aber reden Sie da nicht einem rechtspopulistischen Biologismus das Wort?
Nö.
Und misogyn finden Sie Ihren Roman auch nicht?
Nö. Warum?
Weil Frauen entweder willige Nutten oder aus dem Leim gegangene Kochmuttis sind.
Stimmt nicht.
Bei Ihrer Lesung haben Sie gesagt, wir Deutschen könnten uns gar nicht vorstellen, wie fundamental die Krise in Frankreich mittlerweile ist.
Ja. Als ich vor zwei Jahren aus Irland zurück nach Paris gezogen bin, konnte ich es erst gar nicht fassen.
Was fiel Ihnen denn da auf?
Überall Obdachlose. Naja, die Arbeitslosigkeit steigt seit Jahren, irgendwann macht sich das eben bemerkbar. Fast noch schlimmer fand ich aber die Art, wie sich die Menschen von der Politik abgewendet hatten.
Wie meinen Sie das?
Sie fühlen sich einfach nicht mehr vertreten durch die bürgerlichen Parteien. Das ist sehr gefährlich. Alle schimpfen nur noch über "die da oben". Seit 40 Jahren versuchen die Parteien und Medien, den Aufstieg des Front National zu verhindern - ohne Erfolg. Wir haben immer mehr Leute, die rechtspopulistisch denken, aber wir haben einen Präsidenten, der einer Partei zugehört, die jedenfalls dem Namen nach der Linken zuzurechnen ist. Das kann nicht mehr lange gutgehen.
In Ihrem Roman kommt es zu bürgerkriegsähnlichen Szenen. Könnten Sie sich das in Frankreich tatsächlich vorstellen?
Naja, kein wirklicher Bürgerkrieg. Aber wenn es 2017 so weitergeht, wenn François Hollande durch einen Bündnistrick tatsächlich noch einmal Präsident werden sollte, könnte ich mir schon vorstellen, dass Leute auf dem rechtsextremen Flügel des Front National zu den Waffen greifen.
Was wählen Sie selbst denn?
Ich wähle doch nicht!
Warum denn nicht?
Ich will durch niemanden vertreten werden.
Glauben Sie, dass die Attentate irgendwas ändern werden in Frankreich?
Nein. Gar nichts.
Und was ändert sich für Sie als Künstler?
Wissen Sie, Osama bin Laden hat mal gesagt, die Terroristen seien uns überlegen, weil sie im Gegensatz zu uns todesmutig seien. Aber es braucht gar keinen Todesmut. Es braucht nur ein bisschen Sturheit. Den Willen, einfach weiterzumachen.