Bilder vom toten Osama bin Laden:Wenn die bildhungrige Welt Nahrung verlangt

Osama Bin Laden und Hillary Clinton: Zwei Fotos versetzen Amerika in Aufregung - doch es stellt sich die Frage: Warum glaubt die Welt so sehr an Bilder?

Bernd Graff

Was ist da los? Mutmaßlich zwei Bilder versetzen die USA gerade in Aufruhr. Da ist zum einen das Bild - oder sind es die Bilder? - der wohl verstümmelten Leiche Osama bin Ladens. Dieses Bild soll, respektive diese Bilder sollen auf Anordnung des US-Präsidenten Barack Obama vorerst nicht veröffentlicht werden.

Osama bin Laden ist tot

US-Vizepräsident Joe Biden (sitzend, v. l.), Präsident Barack Obama, Brigadegeneral Marshall Webb, Vize-Sicherheitsberater Denis McDonough, Außenministerin Hillary Clinton und Verteidigungsminister Robert Gates im Situation Room im Weißen Haus: Alle starren gebannt auf einen Monitor, der nicht im Bild ist, auf dem angeblich die minutiös vorbereitete Erstürmung der Bin-Laden-Villa in Pakistan gezeigt wird.

(Foto: dapd)

Und dann gibt es ein tatsächlich um die Welt gegangenes Foto, das während der Live-Schalte der Militäraktion gegen Bin Laden im "Situation Room" geschossen wurde. Es zeigt unter anderem den Präsidenten, seine Außenministerin Hillary Clinton, den Verteidigungsminister, den Vizepräsidenten, den Vize-Sicherheitsberater und einen Brigadegeneral.

Auffällig an diesem Foto, das gleich nach seiner Freigabe durch das Weiße Haus in nahezu allen Online-Publikationen und Tageszeitungen weltweit veröffentlicht wurde, ist nicht nur, dass es im Vordergrund nur eine Frau unter Männern zeigt. Alle starren gebannt auf einen Monitor, der nicht im Bild ist, auf dem angeblich die minutiös vorbereitete Erstürmung der Bin-Laden-Villa in Pakistan gezeigt wird. Auffällig an diesem Bild ist auch, dass Hillary Clinton auf diesem Foto Emotionen zeigt. Als Einzige.

Während die Männer mehr oder weniger angespannt in Richtung Monitor schauen, sieht man die Außenministerin schreckensstarr. Sie hält eine Hand vor den Mund, ganz so, als ob sie dem eingeblendeten Geschehen nur fassungslos, überfordert, ja verängstigt folgen könne.

Dieses Foto sorgt nun gerade deswegen für Ärger in der US-Regierungsmannschaft. Der mutmaßlich "schwache Eindruck", den Hillary Clinton da macht, passt nicht zum Bild einer starken, durchsetzungsfähigen Außenministerin, das, offenbar ausschließlich, der Welt präsentiert werden soll. Und es passt schon gar nicht zum Bild einer mit ruhiger Hand und konzentriert in jeder Lage agierenden Präsidentin, die Clinton ja gerne geworden wäre - gegen Obama.

Die "38 intensivsten Minuten ihres Lebens"

Angeblich, so hört man, ist Hillary Clinton wegen des Bildes erzürnt, beziehungsweise wegen der Stimmung, die es vermittelt. Und sie sieht sich sogar genötigt, eine Erklärung abzugeben: Zwar seien es die "38 intensivsten Minuten ihres Lebens" gewesen, doch was in ihr vorgegangen sei, als das Foto entstand, wisse sie nicht mehr. Vielleicht habe sie nur ein Husten oder Niesen unterdrücken wollen, erklärte sie.

Warum die Bilder nicht zeigen?

Staatenlenker und Minister wollen funktional, regungslos und stets beherrscht erscheinen, weil die Ikonographie der Macht wohl nur Ausdruckslosigkeit für den einzig adäquaten Code der Souveränität hält.

Das kann man diskutieren: Ist nicht die menschlich auf eine bewegende Szene reagierende Clinton viel souveräner als jene ausdruckslosen Gestalten, die offenbar nichts erschüttern kann. Ist die Stoik der Herren nicht im Gegenteil abschreckend? Man hält Frau Clinton darum nicht für schwach, nur weil diese intelligente Frau emotional berührt ist von dem, was da über den Monitor läuft. Darauf zu reagieren, wie es sich für Menschen gehört, heißt ja aber doch nicht, dass sie schwach, nicht souverän ist.

Aber: So will es die Sprache der Bilder der Macht. Potentaten weinen darauf nicht und kennen keine Angst. Selbst, wenn sie welche haben.

Warum aber muss es einen präsidialen Erlass geben, die Fotos des "zur Strecke" gebrachten Terroristenführers NICHT zu zeigen? Warum also muss sich der Präsident demonstrativ einsam gegen den CIA-Chef und seinen Anti-Terror-Berater stellen, die sich für eine baldige Veröffentlichung der Leichenfotos ausgesprochen hatten.

Auch das kann man diskutieren: Da ist zum einen das plausible Argument, dass die Veröffentlichung ein nationales Sicherheitsrisiko darstellen könnte. Denn Bilder des Grauens können auch Rache heraufbeschwören bei denjenigen, die Anhänger des Getöteten sind. Und die muss man ja nicht unnötig schüren.

Zum anderen ist aber auch klar: Die Welt wartet auf das Bild der Osama-Leiche. Erst der Bildbeweis gilt als Beweis seines Todes. Alles andere mag man für Rhetorik, ja Propaganda, Inszenierung, Kulissenschieberei in Pakistan halten.

Es bedarf daher des präsidialen Machtworts, dieses Bild der Welt vorerst vorzuenthalten. Auch, weil die Präsentation des Erschossenen wie eine "aufgetischte Trophäe" (Obama) wirken, also an jenes archaische Ritual erinnern könnte, die Köpfe der Erlegten aufzuspießen, um den Sieg zu dokumentieren, die eigene Stärke also. Oder daran, wie Jäger ihre "zur Strecke gebrachte" Beute drapieren.

Grundsätzliche Zweifel an der Realität des Abgebildeten

Obama will nicht per Bild jubeln, heißt das - obwohl die bildhungrige Welt gerade in diesem Fall nach Nahrung verlangt. Was nun für Obama deshalb prekär ist, weil man einerseits die gesamte nächtliche Aktion für Propaganda halten kann, weil kein Bildbeweis dokumentiert, dass sie tatsächlich mit der Tötung Osamas endete. Andererseits möchte man aber auch eine Veröffentlichung für ein Mittel der Propaganda gegen den Feind halten. Immerhin befinden sich die USA im Krieg gegen den Terror.

Blendet man nun diese beiden Bilddiskurse übereinander, das angeblich negativ wirkmächtige Bild der Hillary Clinton und das ausbleibende Bild der Osama-Leiche, dann stellen sich indes ganz andere Fragen: Warum glaubt die Welt so sehr an Bilder? Was macht man noch fest an mutmaßlicher Realitätsabbildung, wenn doch klar ist, dass Bilder inszeniert werden können? Dass sie manipuliert und montiert werden können aus Versatzstücken unterschiedlicher Kontexte? Ja, dass sie vollständig synthetisch am Computer erschaffen werden können? Dass sie also nichts belegen, gar nichts klarstellen, dokumentieren und vor Augen führen müssen, weil grundsätzlicher Zweifel an der vermeintlichen Realität des Abgebildeten immer angebracht ist.

Wenn also Bilder Mittel der Propaganda sein können und wenn es Propaganda sein kann, Bilder nicht zu zeigen, dann ist auch als Propaganda zu begreifen, dass ein Bild immer ein Abbild sein soll. Und folglich zu glauben. Der technische Rat zielt daher auf einen Wechsel der Präferenzen: Glaube keinem Bild, das du nicht selber gefälscht hast.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: