Theater:Planet der Waffen

Große Schlachtplatte auf schwankendem Boden : Am Münchner Residenztheater serviert Andreas Kriegenburg Shakespeares "Macbeth" in erlesen schönen Bildern.

Von Christopher Schmidt

Es ist eine stürmische Nacht, in der König Duncan ermordet wird, "der Planet schwankt wie im Fieber", heißt es in der arg kraftmeiernden Übersetzung von Thomas Brasch. Der Regisseur Andreas Kriegenburg hat sich das nicht zweimal sagen lassen und Shakespeares blutrünstige Tragödie "Macbeth" auf eine scheinbar frei im Raum schwebende Plattform gebeamt. Vor einem halbrunden Prospekt kreist dieser Planet um seine eigene Achse, lässt sich heben und senken und selbst bei höherer Drehzahl in halsbrecherische Neigungswinkel kippen.

Die schiefe Ebene, die sich der Bühnenbildner Harald B. Thor ausgedacht hat, ist ein vieldeutiges Theaterzeichen: Sie steht für die abschüssige Bahn, auf die Macbeth sich begibt, als er nach der Königskrone greift. Sie symbolisiert die aus den Fugen geratene Zeit und das Personalkarussell einer mörderischen Castingshow um den schottischen Thron. Sie ist Teufelsrad und Fahrgeschäft des Grauens. Und nicht zuletzt eine Drehorgel, zu der hier die schaurige Moritat von Aufstieg und Fall des Macbeth erzählt wird.

Solcherart versinnbildlicht die Bühne den "Großen Mechanismus" der Geschichte, den ewigen Kreislauf von Schuld und Vergeltung, als den der polnische Shakespeare-Forscher Jan Kott das Thema des "Macbeth" einmal bezeichnet hat, die Menschenmühle, die niemals stillsteht. Von Kott stammt auch die bündigste Zusammenfassung des Stücks: Macbeth "tötet den rechtmäßigen Herrscher. Er muß die Zeugen des Verbrechens töten und die, die ihn verdächtigen. Er muß die Söhne und die Freunde derer töten, die er zuvor hat töten müssen. Dann muß er alle töten, denn alle sind gegen ihn."

Kein Wunder also, dass die Bühne im Münchner Residenztheater die Hauptrolle spielt. Sie ist die Übermetapher für die Macht und ihre Mechanismen, und die Spieler wirken hier nur wie ihre beweglichsten Teile. Kriegenburg bannt das Stück in eine bildgewaltige Allegorie der Gewalt. Und dabei zwingt der schwankende, haltlose Boden dem "Macbeth"-Ensemble, das sich gegen die Zentrifugalkräfte stemmen muss, eine hohe Körperspannung auf. Der drohende Absturz, von dem das Stück handelt, er ist allen buchstäblich in die Knochen gefahren, als höchst reale Möglichkeit.

Nicht zufällig erinnert das katafalkartige Podium auch an die Bühne von Shakespeares Globe Theatre, die den damaligen Hinrichtungsstätten nachempfunden war. Beides waren ja Stätten der Schaulust; auf dem Weg ins Theater kamen die Besucher an den auf der London Bridge aufgepflanzten Köpfen der Enthaupteten vorbei, eine Einstimmung auf den Blutrausch, der sie im Theater erwartete. "Scaffold" heißt sowohl Schafott als auch Bühne.

Thomas Loibl in der Titelrolle und Sophie von Kessels Lady sind ein Traumpaar in einem Albtraum

Blutüberströmt und mit nackten Oberkörpern stehen denn auch zu Beginn die schottischen Recken in einem engen Kreis, keuchend im Blutdampf, ermattet nach geschlagener Schlacht, zwischen sich den Staketenzaun ihrer überlangen Lanzen. Sie wischen sich gegenseitig das Blut vom Leib, schlüpfen in ihre Jackets - der schwarze Anzug über nackter Brust dient hier als "Schlachterkleid", wie es einmal heißt, als Business Dress jener, deren Geschäft das Töten ist. Dann krauchen und klettern die Hexen, drei zottelige Megären, die an japanische Mangageister gemahnen und deren weiße Mähnen ihre Gesichter verdecken, über die Horde der Männer hinweg nach oben. Auf deren Schultern knieend, weissagen sie giggelnd und keckernd Macbeth sein Schicksal.

Vorne an der Rampe, jenseits der Haupt- und Staatsaktionen, wartet, ebenfalls blutverschmiert, Hanna Scheibes Lady Macduff, eine Botin aus dem Totenreich, die das Geschehen als Ein-Personen-Chor kommentiert. Sie ist Kriegenburgs Antipodin, die eine Außensicht auf die Dinge ermöglicht, die Stimme der leidenden Weiblichkeit und der schweigenden Mehrheit, eine Trümmerfrau, begraben unter den Karriere-Kartenhäusern, die über ihr eingestürzt sind.

Kriegenburg fasst das Testosterontheater männlicher Allmachtsfantasien und archaischer Regression in streng stilisierte Choreografien, ebenso effekt- wie affektsicher. Ein Schwerttanz aus erlesen schönen Bildern - selten wurde eine Schlachtplatte so ästhetisch serviert. Da produzieren die kratzenden oder federnd in den Boden gerammten Schwerter subtil metallische Minimal Music, und Lady Macbeth schmiegt sich lasziv an die aufgesteckten Lanzen wie eine Stripperin an die Poledance-Stange. Wenn der heimgekehrte Macbeth sie in seinem Machtrausch glückstrunken durch die Luft wirbelt, dann hinterlassen seine Hände verräterische rote Flecken auf ihrem blütenweißen Seidenhemd.

Die mörderische Symbiose des Paares ist ja von Anfang an sexuell konnotiert. Macbeth spricht von einem "Riss in der Natur", durch den er "vernichtend eindringt". Der Vollzug des Tötens verheißt eine besondere Erotik. "Unsex me", beschwört Sophie von Kessel die Geister, die sie herbeiruft. Sie, die kinderlos blieb, will ihr weibliches Geschlecht ablegen und ein Monstrum gebären. Am Ende zieht auch sie sich einen schwarzen Männeranzug an. Sie ist die (mord-)lüsterne Strategin, die ihren zaudernden Mann antreibt. Aus Macbeth soll ein Macbesser werden. Thomas Loibl spielt ihn als nervösen Bluthund, der erst zum Jagen getragen werden muss.

Auf dem Höhepunkt dreht sich das Paar im Walzerschritt zu den Musette-Klängen eines Akkordeons vor rot entflammtem Himmel, ein Traumpaar inmitten eines Albtraums. Das ist die Wende. Künftig hört der paranoide Macbeth aus dem Lied vom "drunken sailor" immer nur den "Duncan murder" heraus, und plötzlich steht er vor der hochkant gestellten Festtafel, die nun aussieht wie eine Wurfwand. Von jetzt an ist er selbst das Ziel aller Messer.

Die Pause bringt einen ästhetischen Bruch. Statt Schwarz und Rot prägt nun das nebelverhangene Grau der Alltagstyrannei die Atmosphäre. Macbeth verharrt vorne an der Rampe, katatonisch erstarrt, und lässt sein Schwert wie ein Pendel baumeln, als wüsste er, dass seine Zeit bald abgelaufen ist. René Dumonts Macduff bringt zur Gitarre "Hurt" von den Nine Inch Nails zu Gehör. Hier, bei Folk und Volk, scheint sich Andreas Kriegenburg besser aufgehoben zu fühlen. Er inszeniert nun gelöster, auch verspielter. Hanna Scheibes Lady Macduff trommelt sich einen Protestsong von der Seele, voller Wut auf ihren Mann, der sie im Stich ließ. Ihre Kinder werden durch eine Puppe symbolisiert, welche die gedungenen Mörder in Fetzen schlagen. Jeff Wilbusch und Thomas Gräßle als Auftragskiller schwingen sich an Seilzügen Cirque-du-Soleil-haft auf die Bühne und machen aus dem Familienmassaker eine Gruselclownnummer, einen grausigen Slapstick.

Kriegenburg findet starke, körperakrobatische Bilder, aber er findet keine eigenständige Lesart - dafür hat sein Regie-Dolch nicht tief genug gebohrt. Der auf ein Best-of zusammengestrichene Text bleibt Soundtrack zum bewegten Bild. Manche Schlüsselstelle wird vernuschelt. Und die Einheits-Anzüge erschweren mitunter die Identifikation der männlichen Figuren, unter denen die alten Resi-Recken Arnulf Schumacher als väterlicher Duncan und Alfred Kleinheinz als verdatterter Pförtner zu sehen sind. Mathilde Bundschuh spielt Malcolm, Duncans entflohenen Sohn, der ein Heer gegen Macbeth aufgestellt hat. Bei Bundschuh ein großartig fischiger Thronanwärter, eine Art Hospitant der Hölle. Die Gewalt-Sozialisation ist nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Als er zum neuen König ausgerufen wird, ahnt man, was das bedeutet: Der Tyrann ist tot, es lebe der Tyrann!

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