"The Immigrant" auf DVD:Zuhälter und Zauberer

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Joaquin Phoenix und Marion Cotillard in "The Immigrant" (Foto: Universum)

Liebeswerben irgendwo zwischen romantischer Buhlerei und sexueller Erpressung. James Grays Film "The Immigrant" kam nie in die deutschen Kinos. Jetzt gibt es das schön pathetische Melodram im Handel.

Von David Steinitz

Wer kleine Kinder hat, schafft es abends nicht mehr ins Kino - das gilt auch für Regisseure. So zumindest erklärte der amerikanische Filmemacher James Gray, warum er tatsächlich keine Ahnung hatte, wer die hübsche Französin war, mit der er vor ein paar Jahren in geselliger Runde zu Abend aß - zu lange nicht mehr im Kino gewesen.

Aber: Dieses Gesicht, diese grünen Augen, gleichzeitig so ruhig und doch so unglaublich aufgewühlt. Wenn dieses Mädchen eine Schauspielerin wäre, dachte sich Gray begeistert, würde ich ihr sofort einen Film auf den Leib schreiben. Dann flüsterte ihm seine Frau ins Ohr, dass es sich bei dem Mädchen um die Oscar-Gewinnerin Marion Cotillard handle.

Sexuelle Erpressung

Das Ergebnis dieses Abendessens ist das bezaubernde Liebesdrama "The Immigrant" geworden. Der Film lief 2013 im Wettbewerb von Cannes, wurde in Deutschland aber leider nie im Kino ausgewertet. Cotillard spielt das polnische Mädchen Ewa, das nach Wochen auf einem überfüllten Flüchtlingsschiff im Jahr 1921 aus dem verbrannten Europa in New York ankommt. Dort gerät sie in die verrauchte und verführerische Welt der Varietés und Vaudeville-Shows - und verliebt sich erstens in einen Zuhälter (Joaquin Phoenix) und zweitens in einen Zauberer (Jeremy Renner).

Deren Liebeswerben um Ewa schwankt irgendwo zwischen romantischer Buhlerei und sexueller Erpressung. Denn Ewas Schwester wird von den Behörden noch auf Ellis Island festgehalten, wo sie im Schatten der Freiheitsstatue wartet, ob sie vielleicht wieder zur Ausweisung verurteilt wird. Zauberer wie Zuhälter behaupten, sie befreien zu können. Es entspinnt sich eine gefährlich-versoffen-hysterische Ménage-à-trois, die aber nicht die einzige existenzielle Herausforderung in diesem Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Denn die neue Heimat ist natürlich auch das Land der unbegrenzten Unterhaltung, weshalb sich für das streng katholische Mädchen sonntags plötzlich die Frage stellt: Kirche oder Kino?

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Ohne Gewackel und Gehampel

All das inszeniert James Gray so, wie es sich heute in Hollywood kaum noch einer traut - nämlich als richtig schön pathetisches Melodram. Das Melodram war zwar einmal eins der großen Steckenpferde des amerikanischen Kinos, des Kinos überhaupt. Aber da sich heute die meisten Filmemacher gerne hinter ironischen Brechungen und in sarkastischen Notausgängen verstecken, ist es mit seiner rührenden romantischen Ernsthaftigkeit nicht mehr so richtig angesagt.

Deshalb ist "The Immigrant" ein sehr hübscher Anachronismus im Gegenwartskino. Nicht nur durch die Flüchtlingsgeschichte, mit der Gray an seine großen, Pathos-geschulten Vorbilder wie Francis Ford Coppola und Martin Scorsese anknüpft, deren filmische Urkonflikte ebenfalls im Immigrantenmythos liegen, sondern auch durch die Inszenierung: elegisch-lange Einstellungen, kein unnötiges Kamera-Gewackel, kein wildes Schnitt-Herumgehampel. Also ein totaler Verzicht auf jene Stilmittel, mit denen viele Kinomacher heute Tempo und Aktion simulieren, die ihre Storys oft gar nicht hergeben.

Meister des Melodrams

James Gray gehört mit seinen wilden New-York-Studien, von denen "The Immigrant" die bislang weiteste Reise zurück in die Vergangenheit ist, zu den spannendsten amerikanischen Filmemachern, auch wenn ihm der große Durchbruch bislang nicht geglückt ist.

Auf Festivals ist er zwar ein gern gesehener Gast, bereits mit 25 hat er in Venedig 1994 den Silbernen Löwen für sein Kinodebüt, das Familiendrama "Little Odessa", bekommen. Sein Gangster-Thriller "Helden der Nacht/We Own The Night" über das verkokste, hedonistische Party-New-York der Achtziger und seine Brooklyn-Borderline-Romanze "Two Lovers" (2008) liefen, wie nun auch "The Immigrant", im Wettbewerb von Cannes. Aber am Boxoffice sind die Meister des Melodrams mittlerweile eben einfach nicht mehr so gefragt. "Nicht ich habe den Mainstream verlassen", kommentierte Gray das einmal lakonisch, "sondern der Mainstream mich."

"The Immigrant" ist als DVD (12,99 Euro), Blu-Ray (14,99 Euro) und Video on Demand (zum Beispiel bei Google Play oder Amazon Instant Video, ab 3,99 Euro) erhältlich.

© SZ vom 02.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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