Streit zwischen Russland und dem Westen:Herrgott, wie mir der Kalte Krieg fehlt

Medwedew, Münchner Sicherheitskonferenz

Sieht sein Land selbstverständlich in der Rolle einer Supermacht: Russlands Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew.

(Foto: dpa)

Der russische Ministerpräsident Medwedjew beschwört in der Auseinandersetzung mit dem Westen alte Formeln. Weiß er eigentlich noch, wovon er da redet?

Analyse von Jens Bisky

"Wir sind in einen neuen Kalten Krieg gestürzt", sagte am Wochenende in München der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew. Die Bundesregierung weist die historische Analogie zurück, doch Bild weiß schon, warum Russland ihn verlieren wird, den neuen Kalten Krieg, und der aufgeklärte Zeitgenosse ertappt sich bei dem Gedanken, schön wär's ja, wenn wir ihn hätten. Dann würden sich Putin und Obama auf einem Flugzeugträger oder in Wien oder sonst wo treffen, miteinander reden und für Ordnung sorgen in der Welt.

Aber darum ging es Medwedjew wohl nicht, als er seine Definition der gegenwärtigen Situation vorschlug; eine Definition übrigens, die Russland selbstverständlich die Rolle einer Supermacht zuschreibt. Neuer Kalter Krieg - das sollte in München wohl vor allem auf die Gegnerschaft zwischen "dem Westen" und Russland hinweisen, eine Gegnerschaft, die schon einmal überwunden wurde. Impliziert die Floskel auch eine Einladung, sich noch einmal über die Köpfe der Polen, Esten, Letten, Litauer und Ukrainer hinweg zu einigen? Und auf deren Kosten?

Gehört zu Medwedjews Definition der Lage die im alten Kalten Krieg selbstverständlich mitgelieferte Drohung einer für alle lebensbedrohlichen Eskalation? Die Antwort auf diese Fragen kann den Kreml-Astrologen überlassen bleiben, einer Spezies, die es immer noch gibt.

Über Jahrzehnte faszinierten sowjetische Ideen kluge Köpfe

In diesem Kalten Krieg hatte die Sowjetunion vom ersten bis zum letzten Tag ein ideologisches Angebot, das man ernst nehmen konnte. Es wandelte sich vom Sowjetmarxismus der Fünfziger bis hin zum "Neuen Denken" der kurzen Perestroika-Jahre, als es plötzlich so schien, man müsse nur wollen und einander zuhören und - die Welt würde friedlicher, glücklicher, freier werden.

Über Jahrzehnte faszinierten sowjetische Ideen kluge Köpfe im Westen, sie konnten Picasso oder Theodorakis oder Marcuse heißen. Marx zu lesen, Revolutionsgeschichten zu studieren war selbst dann nicht vergeblich, wenn man sich gegen Revolution und Marxismus entschied. Und heute? Würde man freiwillig den antiliberalen Denker Alexander Dugin zur Kenntnis nehmen, wenn diesem nicht ein gewisser Einfluss nachgesagt würde?

Russland offeriert heute Propagandahäppchen, Eurasien mit Angst-vor-Schwulen-Sauce. Das findet bei rechten Miesepetern und linken Besserwissern Zustimmung, bleibt aber uninteressant, eine Tristesse des postideologischen Zeitalters.

Weder Russland noch "der Westen" scheinen in der Lage, Frieden herzustellen

Der neue Kalte Krieg wäre einer der Propagandatechniken allein, also auch einer der Geheimdienste, aber anders als der "gute" alte kaum eine Auseinandersetzung der Philosophen, Künstler, Intellektuellen. Lohnt es überhaupt, vom neuen Kalten Krieg zu reden, da weder Russland noch "der Westen" in der Lage zu sein scheinen, Frieden herzustellen und Ordnung zu sichern. Auch beide zusammen nicht.

Reden vom Kalten Krieg ist oft von einer gewissen Nostalgie begleitet

Zum Kalten Krieg gehörten immer Verhandlungen, Vereinbarungen, bald schon das strategische Konzept der "friedlichen Koexistenz". Peinlich genau bis ins absurde Detail wurde etwa über Berlin gewacht, über die Einhaltung all der Regeln des Viermächteabkommens von 1971. Weder im Osten der Ukraine noch im syrischen Bürgerkrieg haben internationale Verabredungen bisher Ordnung gestiftet. Auch über den Weg dahin ist man uneins. Insofern ist Reden vom Kalten Krieg oft von einer gewissen Nostalgie begleitet.

In "Casino Royale", dem noch nicht so melancholischen Bond-Film mit Daniel Craig, erklärt "M", also Judi Dench, nach einer Dummheit ihres Mitarbeiters mit Doppelnullstatus: "Wenn früher ein Agent etwas so Peinliches gemacht hat, hatte er den Anstand überzulaufen. Herrgott, wie mir der Kalte Krieg fehlt!"

In Südostasien, Afrika, Lateinamerika dürfte die Erinnerung an den Kalten Krieg weniger nostalgisch ausfallen. Aber selbst in den blutigen Stellvertreterkriegen bot die Polarisierung West gegen Ost Orientierung. Heute fehlen alle Anzeichen dafür, dass die Verhaltenssicherheit zurückkehrt, nach der M seufzt, dass sich neue Routinen des Umgangs mit Konflikten ausbilden. Scharf, aggressiv, bösartig war die Rhetorik im Kalten Krieg, aber beide Seiten handelten relativ vorsichtig, besonnen.

Dunkle Deutungen

Gegenwärtig klingt die Rhetorik eher verkniffen und vergiftet, selten offen aggressiv. Umso gefährlicher wirkt vielfach die Eskalationsdynamik, wirken all die Schritte, die einen Schlagabtausch etwa zwischen Russland und der Türkei provozieren können. Im Süden der Russischen Föderation reiht sich ein eingefrorener Konflikt an den anderen. Ob in Afghanistan oder in Transnistrien, sie scheinen derzeit nicht dauerhaft zu befrieden. Und immer schwerer wird es zu entscheiden, ob dort Frieden herrscht oder Krieg oder eben jener merkwürdige Zwischenzustand.

Die Formel vom neuen Kalten Krieg lässt dunkle Deutung zu - wenn man nicht mit den Siebzigern vergleicht, sondern mit der Frühphase, 1946 bis 1953, zwischen Bürgerkrieg in Griechenland und Koreakrieg. Damals wurde ausgetestet, wie weit man gehen kann. Lektion des neuen Kalten Kriegs seit 2014: Man kommt sehr weit, wenn man die Kampfplätze vermehrt, erst die Ukraine angreift, dann in Syrien bombardiert.

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