Steinmeier-Wahlkampf-Blog:Frechheit siegt

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Man muss das Unmögliche nur denken: Die Autoren und SPD-Fans Sten Nadolny und Tilman Spengler bloggen über die Zukunft, und in der ist Frank-Walter Steinmeier längst Kanzler.

Th. Kirchner

Mit den Intellektuellen und der SPD läuft es normalerweise so: Vor jeder Wahl trommelt der "Heidelberger Graphiker" Klaus Staeck die Seinen zusammen und lässt sie einen Aufruf unterschreiben: Diesmal gehe es wirklich um alles, dramatische Richtungsentscheidung usw. Günter Grass signiert aus Überzeugung, die meisten anderen wohl eher aus Pflichtbewusstsein. Dem Schriftsteller Sten Nadolny ging es zumindest so, weshalb er und der Publizist Tilman Spengler die "klassische Sonate des Wahlkampfs" einmal anders spielen wollen.

Kann Steinmeier Kanzler? Wie die ersten 100 Tage seiner Kanzlerschaft aussehen könnten, wird bereits im Blog erdacht. (Foto: Foto: ddp)

Seit ein paar Tagen schreiben die SPD-Fans Texte auf der Webseite steinmeier-blog.net. Der Witz daran: Die beiden bloggen über die Zukunft, und in der hat Frank-Walter Steinmeier längst gewonnen. Genauer: Die Autoren schreiben über die ersten 100 Tage seiner Kanzlerschaft. Es geht also nicht darum, für den Kandidaten Steinmeier zu werben, vielmehr soll möglichst intelligent begründet werden, warum dieser gewonnen hat. "Denken im Konjunktiv" nennen die beiden das, und es soll die Diskussion beleben, aber auch möglichst skurril und absurd sein.

"Das ist natürlich eine Frechheit", sagt Nadolny, "aber Frechheit siegt." Letztlich folgen die beiden einer Empfehlung von SPD-Chef Franz Müntefering, der jüngst im Spiegel sagte, man solle den Wahlkampf "so oft wie möglich locker machen". Im selben Atemzug warnte Müntefering allerdings vor den Gefahren der Ironie, die auch dieses Projekt umwehen. Das zeigen die ersten Einträge, meist von Spengler verfasst, die zu dem beliebten Genre der fiktiven Nachrichtenmeldung zählen. Da tritt der Chef des Bundesverbandes deutscher Demoskopen zurück, weil sich die Meinungsforscher mal wieder um "teilweise mehr als neun Prozent" geirrt hätten. Besser lässt sich die heillose Lage der Sozialdemokraten kaum beschreiben.

An anderer Stelle philosophiert Spengler über die Frage, ob Steinmeier den Maler Georg Baselitz kopiere, wenn er sein Frühstücksei falsch herum köpfe. Nadolnys Texte kommen etwas nachdenklicher daher, etwa wenn er andeutet, Steinmeiers Last-Minute-Idee vom "sozialen Pflichtjahr" habe den Ausschlag gegeben. Oder wenn er über das "Siegerlächeln vor dem Sieg" schreibt, den Erfolg, der sich nur einstelle, "wenn man ihn gedanklich schon vorweggenommen hat".

Man muss das Unmögliche nur denken, dann wird es schon kommen: Diese Art Fiktion hat Nadolny sich bei Edward Bellamy abgeschaut, dem amerikanischen Utopismus-Pionier, der 1888 den aufsehenerregenden Roman "Life in the Year 2000" (deutsch: "Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 auf das Jahr 1887") veröffentlichte. Es ist der Versuch, durch die Skizzierung einer künftigen Gesellschaft diese auch herbeizuschreiben. Als weitere literarische Quelle nennt Nadolny Bertha von Suttners "Maschinenzeitalter. Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit".

Noch ist nicht viel Betrieb auf der Seite. Spengler und Nadolny laden Autoren zum Mitspielen ein. "Kitzeln" sollen die Texte, alles ist denkbar, und es gibt nur ein Kriterium: "Sie müssen vor unseren Augen bestehen." Und am 27. September ist Schluss. Die Realität ist Gift für Utopien.

© SZ vom 14.7.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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