Pseudo-Krimi "Seine Zeit zu sterben":Wem der Hahnenkamm schwillt

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Böses Wintermärchen über die Kitzbüheler "Botoxbuckelpisten". (Foto: Joa Klamar/AFP)

Wenn Männer ihren Schwanz in "Botoxbuckelpisten" stoßen: Albert Ostermaier hat sich in seinem unheimlichen Heimatroman "Seine Zeit zu sterben" auf den Steilhang der Metaphern begeben, um seinen Hass auf die Statusgesellschaft zu artikulieren. Dabei hätte er in knappen Worten mehr erreichen können.

Von Till Briegleb

Was ist das wohl für ein Buch, in dem andauernd Skistöcke in Silikonbusen gestochen werden, Gesichter platzen wie Luftballons, Vorhäute abgezogen, gegrillt und verschlungen werden müssen, Autos absichtlich in Menschenmassen rasen und ein Killer bei der Arbeit Puschkin zitiert? Ein neues Projekt von Quentin Tarantino? Bret Easton Ellis' nächste Folterphantasien? Eine Wiederaufnahme von "Evil Ernie"?

Falsch. Dieses Buch ist ein Kitzbüheler Heimatroman, der zwischen Hahnenkamm und VIP-Zelt spielt, von Abfahrern, reichen Russen, Anwälten und Münchner Galeristen handelt, wo der Champagner in Strömen fließt und Männer ihren Schwanz in ihre "Botoxbuckelpisten" stoßen. Aber leider haben alle diese Menschen einen Hass. Und der lässt sie beim Lächeln, Anstoßen und Skifahren nur diese gewalttätigen Dinge mit viel spritzendem Blut denken. Die mentale Landschaft des Tiroler Nobel-Skiortes ist nach Albert Ostermaier komplett zombiefiziert.

Wie eine 300 Seiten dicke Unterstellung struktureller Zerstörungswut liest sich "Seine Zeit zu sterben", Ostermaiers böses Wintermärchen vom verschwundenen Kind im Bogner-Land. In einer verwirrenden Anzahl von Reichenschicksalen, die am Tag des Hahnenkammrennens nebeneinanderher verlaufen, findet sich in diesem Roman kein einziger Beleg, dass Geld und Erfolg glücklich machen.

Stattdessen misst Ostermaier als Diagnostiker mit einem nach oben offenen Fäulnisthermometer die aggressive Gärung hinter den Prada-Brillen und Chatelet-Scheiben und kommt zu einem eindeutigen Schluss: Die Welt der Reichen und Schönen zieht ihren Wurzelsaft direkt aus dem heißen Magma der Gewaltphantasien.

Mit diesem Interesse am Seelenschwefel findet sich in Ostermaiers Zombühel dann kein einziger echter Mensch mehr, keine Sprache gerader Art, weder im Formulieren noch im Denken. Hier agieren ausschließlich Kunstfiguren, Träger einer These vom Luxus als Hassdeformation. Und entsprechend ist Handlung hier primär eine Addition von Verdachtsmomenten.

Endgültig ins Metaphorische verweht

Ein Kind ist aus seinem Skikurs verschwunden, und da steigen natürlich aus dem männlichen Seelenmorast sofort zahllose Motivnebel auf: Der ehemalige Rennfahrer Franz Huller, der mit seinen Skikurskindern früher immer in einem "Zauberwald" verschwunden ist, der Spielervermittler Ödön Lunge, der sich wie ein Pädophiler benimmt, der Vater des Jungen, von dem seine Frau wiederholt als Kindermörder geträumt hat, oder der üble Russe Vladimir, der seinem puschkinfirmen Killer Andrej tatsächlich einen Auftrag zur Kindesentführung gibt, um einen Geschäftsdeal zu erpressen - jeder von ihnen könnte den kleinen Igor auf dem Gewissen haben.

Und dann erhebt sich auch noch ein apokalyptischer Schneesturm über das Skigebiet und verweht diesen Roman endgültig ins Metaphorische.

Denn der Dichter und Theaterautor Ostermaier kann es auch in seinem dritten Roman nicht unterlassen, eine pathetische Bilderlawine nach der anderen ins Tal der Lesererschöpfung zu schießen. Da muss in "Drachenblut gebadet haben", wer den Blick der attraktiven Polizistin ertragen will, die sich täglich "Sperma einspritzen" lässt, um morgens den "Berg" des neuen Tages zu überleben. Wenn Männer sprechen, fällt entweder "hinter jedem Satz eine Eisentür ins Schloss" oder "jeder Satz war eine Alpenüberquerung mit nackten Füßen". Der Charme ist "wie eine Daunenjacke, wenn die Nächte kälter werden" und Gott "wie ein junger Hund, der dich anspringt, wenn du zu ihm heimkommst". Und dazu bindet der Nebel Schleifchen um die Gipfel.

Wenn nicht aus endlosen Satzketten Metaphern gewrungen werden oder über "Silikonseelen" mit "aufgespritzten Herzen" und "Schwänzen mit Geldchip" nachgedacht wird, dann würdigt Ostermaier die wenigen positiven Eigenschaften, die er seinen Hauptfiguren lässt, mit Vorstößen in den Bereich des Kitsches.

Da hat der Vater des verschwundenen Jungen seine Frau im ganzen Leben "nicht einmal eine Sekunde in Gedanken betrogen", die Polizistenpartner (von denen die Frau Bonnie Klaid heißt) verstehen sich "im Einsatz blind, als wären sie ein Körper", und der immer souveräne Rechtsanwalt Lord Grünsee lebt nach der Devise, dass Hysterie ein "Stilbruch" ist.

Dieser Drang nach Vergrößerung und Verschlimmerung, der Ostermaier durch seine sprachliche Schneelandschaft treibt, endet aber eben meistens nicht in der warmen Stube der Poesie, sondern in der Mausefalle aus Längen und Unklarheiten.

Dabei dürfte ein mutiges Buch über die Kehrseite moderner Gefallsucht gerne drastisch sein. Elfriede Jelinek oder Bret Easton Ellis - deren Stil man an so mancher Stelle durchschimmern sieht - sind bei ihren Betrachtungen von Austernschlürfern und Koks-Hoovern mit kaltem Hasspotenzial auch nie um harte Bilder verlegen gewesen. Aber Ostermaiers atemloses Drechseln von originellen Vergleichen wirkt eben selbst wie eine Form der Gefallsucht - und das führt dann gerade im Verhältnis zu der dezidierten Gewaltthematik und dem Anliegen, den schönen Schein der Kitzbüheler Adabeis zu häuten, zu einem ziemlich prätentiösen Stil.

Plötzlich echte Tragik

Es gibt einige Stellen in diesem Pseudo-Krimi, an denen Ostermaier seine Sprachaufregung beruhigt und plötzlich Geschichte und Atmosphäre sich entwickeln können, gerade gegen Ende des Romans, wenn die meisten Winter- und Gewaltmetaphern bereits mehrfach variiert und verbraucht worden sind.

Dann schimmert durch die Beichte eines Hassmenschen plötzlich eine echte und berührende Tragik, oder das verschollene Kind erklärt in knappen Worten den Horror einer Kinderliebe zu Eltern, die nur mit sich selbst beschäftigt sind. Da auf einmal ist man mit wenigen Sätzen viel näher an den echten Gewalttaten einer Statusgesellschaft, für die das alte irische Sprichwort gilt: Wenn du wissen willst, was Gott vom Geld denkt, dann sieh dir die Leute an, denen er es gibt.

Albert Ostermaier: "Seine Zeit zu sterben." Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 305 Seiten, 18,95 Euro.

© SZ vom 23.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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