Oscargewinner im Profil:"Dies ist kein obdachloser Landstreicher"

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Zottelbart und wilde Haarsträhnen: Oscargewinner Casey Affleck. (Foto: REUTERS)

Zottelbart, die Haare wild: Casey Affleck ist in Hollywood ein Außenseiter, uninteressiert an Starruhm und Kassenerfolgen. Der Oscar belohnt seine Kompromisslosigkeit.

Von Tobias Kniebe

Das ewige Jungsgesicht hinter einem Zottelbart versteckt, die wilden Haarsträhnen hintenrum undefinierbar verknäult: Sonntagnacht im Dolby Theatre in Hollywood machte der Schauspieler Casey Affleck seinem Ruf alle Ehre, einer der unangepassten Geister des amerikanischen Kinos zu sein. "Dies ist kein obdachloser Landstreicher", hatte Gastgeber Jimmy Kimmel noch gewitzelt - da stand der 41-jährige Affleck auch schon mit dem Oscar als bester Schauspieler auf der Bühne. Für viele im Saal war das eine Überraschung.

Casey Affleck ist der jüngere Bruder des wesentlich bekannteren Regisseurs und aktuellen "Batman"-Darstellers Ben Affleck. Dass er ein brillanter Schauspieler ist, daran zweifelt eigentlich niemand. In Kenneth Lonergans Psychodrama "Manchester by the Sea" verkörpert er einen Mann, der einen schier unvorstellbaren menschlichen Verlust verkraften muss. Es ist eine der Schauspielleistungen des Jahres - das stille, furchtlose Porträt eines Menschen, der keinerlei Hoffnung mehr hat.

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Selten zeigt ein Film so viel Mut wie "Manchester by the Sea": Mit tiefen Abgründen voll Gleichgültigkeit und einem Casey Affleck, der gewaltige Dämonen mitbringt.

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Im Lob dieser Performance waren Kritiker und Kollegen einig, der Golden Globe und viele weitere Preise wurden Affleck bereits zuerkannt - zuletzt aber schien die Idee in weite Ferne gerückt, dass er auch den Oscar gewinnen könnte. Denn die goldene Statuette gibt es nie für die Kunst allein - die stimmberechtigten Kollegen der Oscar-Academy urteilen immer auch über alles andere, was sie von einem Kandidaten wissen. Bei Affleck waren dies Klageschriften von zwei Filmkolleginnen, die ihm vorwarfen, er habe sie am Set des Films "I'm Still Here" im Jahr 2010 mit bizarrem Verhalten sexuell belästigt. Affleck hat die Vorwürfe klar bestritten, sich aber auf eine außergerichtliche Einigung eingelassen, über die Stillschweigen vereinbart wurde.

Am Rande der Dysfunktionalität

Schon ein solcher Schatten des Zweifels reicht manchmal, um eine Karriere dauerhaft zu beschädigen, und im Oscar-Rennen schien diese Sache nun den Konkurrenten Denzel Washington zu begünstigen. Der war in "Fences" ebenfalls sehr gut - und von derartigen Vorwürfen unbelastet.

Dass Affleck sich überraschend durchgesetzt hat - ist das auch als Zurückweisung der Idee zu verstehen, Künstler sollten moralische Vorbilder sein? Zum Teil vielleicht. Vor allem aber gilt Affleck als extrem wählerisch, wenn er düstere Rollen wie in "Gone Baby Gone" oder "The Killer Inside Me" annimmt, und als extrem uninteressiert an Starruhm und Kassenerfolgen. In Hollywood macht ihn das zu einem Mann am Rande der Dysfunktionalität, zu einer Art Schrat, dem man dunkle Seiten zutraut - und dann aber auch leichter verzeiht. Seine künstlerische Kompromisslosigkeit trägt ihm viel Bewunderung ein.

Als Sieger auf der Bühne wirkte Affleck genuin verwirrt. Und gab sich dann gleich sehr bescheiden, als er den unterlegenen Denzel Washington als eines seiner Vorbilder rühmte. Dessen Gesichtsausdruck bei diesem Lob sprach allerdings für sich - er sah tatsächlich aus wie ein angewiderter Moralist.

© SZ vom 28.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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